Mitten in Münchens Innenstadt entstehen im Ruffinihaus kreative neue Medienformate, Kunst und Musik. Kulturschaffende haben dort ein ganzes Stockwerk zur Zwischennutzung bezogen und machen das Gebäude zum Innovations-Hotspot.
Von Marie Heßlinger
Goldbraunes Parkett, große, alte Fenster, frisch gestrichene Wände, und jeder Raum ganz eigen eingerichtet – man ahnt, dass hier Menschen mit Sinn für Ästhetik sind. Es gibt einen Besprechungsraum, und einen für einfache Tonaufnahmen, ein Gemeinschaftszimmer und das Büro, in dem Christina Schepper-Bonnet sitzt. Die Projektleiterin unterstützt die Kreativen und sorgt dafür, dass sie nach außen sichtbar werden. „Es geht darum, zu zeigen, was für ein transformatorisches Potenzial in der Branche steckt“, sagt Schepper-Bonnet. Im Ruffinihaus sollen sich die Kreativen nicht nur untereinander vernetzen, sondern auch mit der Wirtschaft – um „eine wirkliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu bewirken.“
Unter den Bewerber:innen für einen Arbeitsraum im Ruffinihaus wählten Schepper-Bonnet und ihre Kolleginnen des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadtverwaltung jene aus, in denen sie ein besonderes „Innovations-Transformationspotenzial“ sahen. Außerdem wollten sie die 27 freien Räume möglichst vielseitig besetzen: Unter den 50 Ruffinihaus-Kreativen sind nun Designer:innen, Architekt:innen und Musikproduzent:innen, sowie eine ganze Reihe innovativer Medienunternehmer:innen. Einige von ihnen haben uns ihre Bürotüren geöffnet und verraten, was sie antreibt.
Das Ruffinihaus am Rindermarkt unweit des Münchner Marienplatzes beherbergte eigentlich Verwaltungsbüros der Stadt. Bis es 2017 saniert werden musste. Kreative zogen in 80 Räume ein, bemalten die Wände, vernetzten sich, arbeiteten dort über vier Monate lang – und machten schließlich den Bauarbeitern Platz. Seit 2020 kann das Kompetenzteam Kultur und Kreativwirtschaft die erste Etage des Ruffinihaus erneut als Creative Hub nutzen – in neuem Ambiente, und für zwei Jahre.
KONTEXTLAB
Kontextlab entwirft visuelle Netzwerke, bereitet darin Wissen auf und setzt es in den zugehörigen Kontext. „Während des Studiums habe ich gemerkt, wie unheimlich schwierig es ist, sich selber eine politische Meinung zu bilden“, erinnert sich Gründerin Julia Köberlein an die Anfänge ihres Unternehmens. „Spätestens beim Wahl-O-Mat habe ich gemerkt: Oh, so einfach kann ich das nicht beantworten.“ Sie stellte fest: „Es gibt keinen Mangel an Informationen da draußen, aber vielleicht braucht es ein neues Format um sie einzuordnen.“ Denn: „Die Vermittlung von Kontext wird immer relevanter in unserer Zeit, wo so viele Infos auf einen einprasseln.“
Das Format von Kontextlab sieht so aus: Auf dem Bildschirm können die Leser:innen eine Mindmap zu einem bestimmten Thema heranzoomen, die immer vielschichtiger wird und ermöglicht, tiefer in die Materie einzutauchen. Eine „digitale Wissenslandkarte“, wie Köberlein sie nennt.
Dafür hat Kontextlab ein webbasiertes Tool entwickelt. Mit diesem können Kunden sehr einfach ihre individuelle Wissenslandkarte erstellen und auf der eigenen Webseite veröffentlichen.
Kugel und Niere
Zur Podcast-Firma Kugel und Niere gehören acht Journalist:innen, die sich allesamt vom linearen Radio ab- und einer neuen Form des Storytellings zugewandt haben. Christian Alt, einer der Gründer, stellt die beiden Formen einander gegenüber: „Der Sprecher hat eine total perfekte Radiostimme“, sagt er über den klassischen Hörfunk. Zwischendrin gebe es ein paar O-Töne von Experten, „aber es ist nicht wirklich persönlich.“ Anders bei den Podcasts von Kugel und Niere: Es gehe ums Geschichtenerzählen und Dramaturgie, „jemand erzählt dir das auf Augenhöhe“, sagt Alt. Gleichzeitig seien die Hintergründe gut recherchiert, mit „enormem redaktionellen Aufwand.“ Und das Konzept geht auf: Seit der Gründung im Januar 2018 hat Kugel und Niere zehn Podcasts herausgebracht, 2021 sollen es nochmal so viele werden. Das Label setzt auf Themen-Vielfalt. Zu den bisherigen Stories zählen verrückte Dates genauso wie das Fiasko des Berliner Flughafens oder dumme Ideen, die es nicht ins Geschichtsbuch geschafft haben.
MUCBOOK
Das Münchner Stadtmagazin MUCBOOK nutzt mit seinem Team nicht nur das Ruffinihaus als Co-Working-Space – es organisiert neuerdings mit dem Projekt „Clubhaus“ auch selbst Büros zur Zwischennutzung in München. „Das war immer schon die Idee, dass wir nicht nur ein Stadtmagazin sein wollen, das publiziert und aussendet, sondern auch einen Austausch fördert“, sagt Jan Krattiger, Co-Chefredakteur von MUCBOOK. 2009 ging der Blog MUCBOOK online, 2014 folgte das Printmagazin, das seitdem zweimal jährlich erscheint. Die vergangenen beiden Ausgaben hat MUCBOOK über Crowdfunding finanziert. Aktuell will das Team sein Member-Konzept ausbauen. Wer Mitglied im Member Club wird, bekommt das Magazin zwei Mal im Jahr nach Hause geliefert und profitiert von anderen Angeboten wie Gutscheinen und Verlosungen. Zusätzlich sind nun monatliche Events geplant.
Für das MUCBOOK-Team sei das Thema Zwischennutzung im Ruffinihaus „wichtiger denn je“, sagt Krattiger: „Weil wir darauf angewiesen sind, mit Leuten in Austausch zu gehen.“
Sarah Schill
Als Kind wollte Sarah Schill Geschichtenerzählerin werden. Sie studierte Filmproduktion und Drehbuch, arbeitete als Drehbuchautorin, jedoch: „Literatur kam immer wieder rein.“ 2014 erschien ihr Sachbuch Anständig leben, in dem sie ihren Selbstversuch eines veganen, plastikfreien Lebens beschreibt. Auch das Kinderbuch, an dem sie im Moment arbeitet, widmet sich unter anderem dem Thema Nachhaltigkeit.
Schill ist Wiederholungstäterin: Vor knapp vier Jahren war sie schon einmal zur Zwischennutzung im Ruffinihaus. „Ich bin hier, weil ich das beim ersten Mal so toll fand“, erklärt sie. Die zentrale Lage sei praktisch, das Haus „ein guter und inspirierender Ort.“ Und: „Nach einem Jahr Homeoffice und Homeschooling ist es wahnsinnig schön, die Tür zumachen zu können“, sagt Schill und lacht. Ihr Büro teilt sie sich mit einer anderen Drehbuchautorin, die sie erst mit ihrem Einzug ins Ruffinihaus kennengelernt hat. Schill hofft, dass die Stadt München Projekte wie das Ruffinihaus auch über die zwei Jahre hinaus ermöglichen wird: München brauche Freiräume für Kreative. „Weil München ein kreativer Ort ist und eine kreative Tradition hat.“
So splendid
Die Künstlerin Rike Michaelsen und die Graphikdesignerin Andrea Mönch haben sich zwar schon vor einer Weile zu So splendid zusammengetan, aber im Ruffinihaus teilen sie sich zum ersten Mal ein Büro. Und es läuft: „Super. Wir ergänzen uns so gut. Das ist eine totale Freude“, sagt Mönch.
Die beiden Kreativen designen Poster und Bildbände, sie entwerfen Logos, Instagram-Auftritte und Websites. Ihre Schriftspiele bewegen sich zunehmend: mit animierter Typographie. Ihre Kundschaft arbeitet immer mehr an ihrem Online-Auftritt. Die Corona-Krise hat diesen Effekt verstärkt. „Die Leute merken, sie müssen sich besser darstellen“, sagt Michaelsen, und dabei „so authentisch wie möglich rüberkommen.“
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