MIT ERFOLGEN WIE „BLOCKBUSTAZ“ UND „HINDAFING“ IST DIE MÜNCHNER PRODUKTIONSFIRMA NEUESUPER EINE DER TOP-ADRESSEN FÜR SERIEN. WAS AUTHENTISCHES STORYTELLING UND DER HUMAN FACTOR IM ALGORITHMUS DAMIT ZU TUN HABEN, VERRATEN DIE NEUESUPER-GRÜNDER RAFAEL PARENTE, SIMON AMBERGER UND KORBINIAN DUFTER IM INTERVIEW.

Interview: Ayla Amschlinger

Die Corona-Auflagen schwächen die Wirtschaft und davon ist auch die Film- und Fernsehbranche nicht ausgenommen. Denn Dreharbeiten können nun einmal nicht im Homeoffice stattfinden. Neben den deutschlandweiten Maßnahmen gegen das Virus gibt es weiterhin länderspezifische Regelungen, teils unterscheiden sie sich von Stadt zu Stadt, was die Lage unübersichtlich macht. In Bayern sind bis 19. April Drehs auf öffentlichem Grund verboten, was viele Produktionen abbremst.

Gleichzeitig ist Fernsehen und Streaming eine der wichtigsten Freizeitunterhaltungen in der Pandemie geworden, in der Kinos, Restaurants und Museen schließen mussten. Die Nachfrage nach neuem Content und neuen Formaten also steigt. Produktionsfirmen wie die Münchner NEUESUPER blicken daher trotz großer Herausforderungen zuversichtlich nach vorne und arbeiten im Rahmen des Erlaubten am Anschlag. Unter strengen Hygienemaßnahmen begannen im Sommer 2020 auch wieder erste Drehs, die dafür sorgen, dass es auch weiterhin Nachschub an spannenden Geschichten gibt …

Zwischen Großmarkthalle und dem ehemaligen Arbeiterviertel Sendling liegt das Büro der Münchner Produktionsfirma NEUESUPER. „Bei uns ist es schon immer so gewesen, dass unsere Firma weit mehr ist als die Leute, die hier fest angestellt arbeiten“, meint Mitgründer Rafael Parente. So zählt zur NEUESUPERFamilie mittlerweile ein immer größer werdender Kreis an langjährig befreundeten Kreativen aus der Filmbranche.

neuesuper.de

»Internationale Streaming­plattformen bieten auch regional Film­schaffenden die Gelegen­heit, Geschichten auf hohem Niveau zu erzählen, die man dann in der ganzen Welt sehen kann.«

RAFAEL PARENTE



NEUESUPER produziert sowohl für Streaminganbieter als auch für klassische Fernsehsender. Ändert sich euer Anspruch je nach Format?

Korbinian Dufter: Wir selbst haben ja immer den höchsten Anspruch an unsere Filme. Wenn wir im Writer’s Room sitzen, macht es für uns zunächst keinen Unterschied, ob wir für einen klassischen Sender oder für eine Plattform schreiben. Uns liegt die Geschichte am Herzen. Wir wollen immer die spannendste Erzählung finden. Erst später berücksichtigen wir man beschränkende Faktoren wie das Budget, das natürlich einen Einfluss darauf hat, wie groß und mit welchen Mitteln man die Geschichte erzählen kann.

Rafael Parente: Unserem Eindruck nach ist auch der Anspruch der Einkäufer und Zuschauer extrem gestiegen. Mit einer Geschichte und deren Umsetzung muss man heute einen viel höheren Sehstandard erreichen, als noch vor zehn Jahren. Für uns ist das eine große Herausforderung und eine großartige Chance zugleich, wirklich außergewöhnliche Geschichten aus Deutschland und Bayern zu erzählen. Internationale Streamingplattformen bieten auch regional Filmschaffenden die Gelegenheit, Geschichten auf hohem Niveau zu erzählen.

Denkt ihr ein potenzielles internationales Publikum als Produzenten immer mit?

Korbinian Dufter: Wir wollen so authentisch wie möglich erzählen, gerade auch bei regionalen Gegebenheiten. „Hindafing“ ist als Serie ein ganz gutes Beispiel, das mit der bayerischen Lebenswelt und lokalen Gegebenheiten arbeitet. Die Emotionen und Haltungen versteht aber jeder. Wir stellen fest, dass Authentizität und Wahrhaftigkeit international erfolgreich sind.

Simon Amberger: Wenn ich zu einem amerikanischen Roman greife, wird mir der auch nicht alles im Detail erklären, sondern mir seine Welt erzählen. Fremde Welten sind unter anderem ein Grund, warum man sich ausländische Serien überhaupt anschaut.

Wie reagieren Fernsehsender auf den Konkurrenzdruck durch die internationalen Streamingriesen?

Korbinian

 

Korbinian Dufter: Jetzt, wo die Streamingplattformen schon ein paar Jahre auf dem Markt sind, merkt man, dass auch eine gewisse Befruchtung stattgefunden hat. In letzter Zeit sind wirklich spannende Serien bei den linearen und traditionellen Sendern entstanden, die sich vielleicht auch in der Tonalität und Themenwahl in Bereiche vorwagen, die früher den Streamern vorbehalten waren. Umgekehrt merkt man auch, dass die Streamer breiteres Entertainment suchen.

Kann man als Produktionsfirma unmittelbarer und schneller auf das Feedback zu Streamingserien reagieren?

Rafael Parente: Das Wissen, das Streaminganbieter über das Nutzerverhalten generieren, ist sehr restriktiv. Wir als Produzenten bekommen da leider viel zu wenig Einblick. Wie können wir also überhaupt beurteilen, ob etwas ein Hit war? Früher konnte man einfach sagen, das ist ein Straßenfeger, das haben 15 Millionen im Fernsehen gesehen, und dann können Produzenten und Kreative mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein bei dem Sender auftreten. Das ist heutzutage nicht mehr so einfach. Trotzdem kriegt man natürlich über Social Media viel Feedback. Es ist prima, als Filmemacher auf diesem Weg in einem beständigen Austausch zu sein.


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Noch nie haben so viele Menschen in Deutschland Filme und Serien gestreamt: 38 Prozent der Deutschen nutzen Streamingdienste wöchentlich, 16 Prozent sogar täglich.


Auch der Algorithmus, der fortlaufend personalisierte Empfehlungen generiert, ist machtvoll.

Korbinian Dufter: Ich habe erst kürzlich wieder erlebt, wie machtlos der Algorithmus und wie stark die Mund-zu-Mund- Propaganda ist. Plötzlich haben mir mehrere Freunde den deutschen Netflix-Film „Freaks“ ans Herz gelegt. Der wäre mir nur aufgrund meines Sehverhaltens wahrscheinlich nicht vorgeschlagen worden. Ich habe ihn angeschaut und fand ihn toll. Das hat mir gezeigt, wie großartig es ist, Empfehlungen außerhalb meiner digitalen Bubble zu bekommen, von echten Menschen, die vielleicht auch einen ganz anderen Geschmack haben als ich. Man sehnt sich als Mensch danach, dass man Anstöße von außen kriegt und in den Austausch mit anderen tritt.

 

Rafael Parente: Manchmal wird dem Algorithmus auch zu viel Objektivität und Wissenschaftlichkeit angedichtet vonseiten der Entscheider. Gerade in der Vergangenheit gab es immer wieder auch Start-ups, die behauptet haben, sie könnten mithilfe von Algorithmen den neuen Hollywood-Blockbuster vorhersagen. Die sind bisher alle ziemlich auf die Schnauze gefallen.

 

Rafael

In die Röhre schaut mittlerweile nur noch etwa die Hälfte aller Zuschauer:innen in Deutschland: 54 Prozent schalten nach wie vor den Fernseher ein, der Rest bevorzugt Video-on-Demand-Angebote (Quelle: Statista).

Wenn nicht datenbasierte Kalkulation, was braucht eine Streamingserie, um erfolgreich zu sein?

Korbinian Dufter: Film und Serie haben immer etwas Gemeinschaftsstiftendes. Wenn eine Serie heute erfolgreich ist, dann auch deshalb, weil sich sehr viele Menschen darüber austauschen und gemeinsam etwas für gut, unterhaltend und kulturell bedeutend befinden.

 

Simon

 

Simon Amberger: Die ganz großen Streamingserien werden oft ja auch nicht mehr auf einen Schlag online gestellt, sondern wieder wöchentlich veröffentlicht, um das Lagerfeuergespräch anzufachen.

Korbinian Dufter: Denn eine Gemeinschaft entsteht über den Diskurs, auch über den Diskurs von Filmen und Serien. Ob sich letztlich das lineare Fernsehen oder Streaming durchsetzt: Klappen wird es nur mit gutem Inhalt, den alle sehen wollen und zu dem sich möglichst viele Zuschauer bekennen.

Lektüre Tipp: Unser Report „New TV – ein Business transformiert sich“

Fernsehen ist überall, audiovisuelle Inhalte können jederzeit und auf jedem Bildschirm konsumiert werden. Aber welche Voraussetzungen braucht es dafür? Was bedeuten on Demand und Streaming für Produktion und Storytelling? Und wie sieht es mit der Rechtesituation für neue TV-Funktionen aus? Unser Report ist Dein Guide zu den Entwicklungen in der Film- und Fernsehbranche und gibt einen Überblick über spannende neue Geschäftsmodelle aus Bayern.

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