&Töchter

„Ein klassischer Verlag passt nicht zu uns.“

Der Münchner Verlag &Töchter denkt das Publizieren neu und will Literatur nicht nur zwischen Buchdeckeln erlebbar machen. Wie digitale Literatur­vermittlung bei Instagram funktioniert und warum sich die Zukunft des Buches nur gemeinsam gestalten lässt, haben uns die Verlegerinnen Elena Straßl, Lydia Hilebrand und Laura Nerbel im Gespräch verraten.

Autorin: Ayla Amschlinger
Titelfoto: Studio Seidel / Martina Borsche

Verlagsmenschen sind Überzeugungstäter:innen. In München gibt es davon besonders viele: Mit über 140 Verlagen, die jährlich mehr als 8.000 neue Bücher produzieren und dabei rund 1,2 Milliarden Euro Umsatz erzielen, gehört die bayerische Landeshauptstadt zu den größten Verlagsstädten der Welt. Verlagshäuser wie C.H. Beck, Piper, Hanser oder Random House sind hier angesiedelt. In der Branche geht es kollegial zu, das große Geld lockt bei unzähligen zu prüfenden Manuskriptseiten nicht: Für die Arbeit lesen Lektor:innen häufig in ihrer Freizeit, Durchschnittsgehälter schneiden im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen deutlich schlechter ab. Eine Prise Idealismus braucht es also, um Verleger:in zu werden. Und eine klare Vision dazu.

Verlag mal anders

Abgeschreckt hat das die fünf Freundinnen Laura Nerbel, Lydia Hilebrand, Jessica Taso, Sarah Zechel und Elena Straßl nicht. Seit 2019 hat München einen unabhängigen Verlag mehr. Mit &Töchter verwirklichten die Buchwissenschaftlerinnen ihren Studientraum: „Wir haben uns zuallererst aus Liebe zu den Büchern als Buchverlag gegründet, weil wir gerne Bücher produzieren und verkaufen wollten. Wir wussten aber von Anfang an: Ein ganz klassischer Buchverlag passt nicht zu uns. Es muss digitaler sein“, sagt Elena Straßl, die sich um Veranstaltungen und Vertrieb bei &Töchter kümmert.

Digitale Konzepte, innovative Vermarktungsansätze und nachhaltige Buchproduktion – so will &Töchter den Zeitgeist treffen: „Der Zusatz hinter unserem Namen ‚Verlag und mehr‘ steht dafür, dass wir uns mit anderen Mitteln präsentieren. Zum Beispiel mit einem Podcast und einer Veranstaltungsreihe“, erklärt Straßl.

Mit diesen Angeboten tritt &Töchter auf einen Markt, in dem es immer schwerer wird, Leser:innen zu erreichen. Die Konsumgewohnheiten haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert: Ein riesiges Angebot an Inhalten auf vielen verschiedenen Plattformen sorgt dafür, dass die Aufmerksamkeitsspanne nachlässt. Medien werden oft nebenbei konsumiert. Doch Lesen erfordert Aufmerksamkeit; eine Fähigkeit, die man kaum noch mit Entspannung oder Freizeit in Verbindung bringt. Das ist laut einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung der häufigste Grund, warum Leser:innen immer seltener zum Buch greifen. „Dass Leser:innen verloren gehen, ist ein sehr präsentes Thema in der Verlagsbranche, schon seit den letzten zehn Jahren. Man muss da aufpassen, dass sich nicht ein Gefühl von ‚wir gegen den Rest der Welt‘ im Literaturbetrieb einstellt“, meint Elena Straßl.

How To Publish

Du willst mit Deinem Verlag neue Formate der Buchvermittlung testen, oder Deine Buchproduktion ökologischer und fairer gestalten? Lydia und Elena von &Töchter verraten in zwei Tutorials, wie Du Deine Bücher nachhaltig produzierst und sie mithilfe von Social Media und besonderen Events zum Gesprächsthema machst.

How To Publish #1

Tutorial für eine erfolgreiche Literaturvermittlung durch Social Media & Events

How To Publish #2

Tutorial für eine nachhaltige Buchproduktion

Bookstagram: Aus analog wird digital

Gleichzeitig herrscht in den sozialen Medien reges Treiben: Wo früher Buchblogger:innen dem Feuilleton die Rezensionen streitig machten, posten nun Bookstagrammer:innen unter den Hashtags #instabooks und #bookstagram. Die Buch-Community organisiert sich, tauscht sich über Neuerscheinungen aus oder hält Online-Buchclubs ab.

Genau in diesen Entwicklungen steckt für &Töchter großes Potenzial: „Für Verlage ist es am wichtigsten, sich zu öffnen und auch mit anderen Medienformaten zusammenzuarbeiten“, davon ist Lektorin Laura Nerbel überzeugt. „Diese gewisse Kulturhoheit, die einen vermeintlich von anderen Medien abgrenzt, ist Quatsch.“

Auf ihrem Instagram-Kanal @und.toechter legen die Verlegerinnen Wert auf Nahbarkeit und den persönlichen Austausch. Sie geben Einblick in ihren Arbeitsalltag, stellen Autor:innen vor oder organisieren Insta-Live-Talks mit anderen Literaturbegeisterten. „Als Verlag hat man endlich mal die Chance, durch Social Media die Endkund:innen und Leser:innen direkt anzusprechen. Sonst ist ja immer ein Buchladen dazwischengeschaltet”, so Lydia Hilebrand, PR & Podcast-Beauftragte bei &Töchter. Neben der eigenen digitalen Präsenz setzt &Töchter auf gezieltes Influencer:innen-Marketing für seine Publikationen. Ihre Neuerscheinungen senden die Verlegerinnen an inhaltlich passende Bookstagrammer:innen, die die Bücher dann auf ihren Kanälen vorstellen und rezensieren.

»Wir wussten von Anfang an: Ein ganz klassischer Buchverlag passt nicht zu uns. Es muss digitaler sein.«

Elena Straßl

Lyrik im Boxring

Nicht nur digital ist &Töchter umtriebig, wenn es darum geht, Literatur erlebbar zu machen. Mit ihrer Veranstaltungsreihe „rauschen&Töchter“ stellen die fünf Frauen Literatur-Events auf die Beine, die nur noch wenig mit der klassischen Wasserglas-Lesung zu tun haben – und erreichen so völlig neue Zielgruppen: „Eine unserer ersten Veranstaltungen fand in einem Boxstudio in München statt, mit über 90 Zuhörer:innen. Für eine Lesung mit hauptsächlich unbekannten Autor:innen ist das absolut nicht selbstverständlich. Auch das Team und die Mitglieder des Boxstudios waren dabei, alle im Trainingsanzug. Die saßen ganz ruhig da und haben den Lesungen zugehört. Das war für uns ein bestätigender Moment, dass unser Konzept funktioniert“, erzählt Lydia Hilebrand stolz.

Digitale Beratung für den stationären Buchhandel

Doch gerade der Veranstaltungsbereich hat durch die Corona-Pandemie einen harten Einschnitt erfahren. Geschlossene Buchläden und abgesagte Lesungen verlangten den notwendigen Digitalisierungsschub im Literaturbetrieb: Besonders kleine lokale Buchläden, deren Kerngeschäft sich bislang stark auf den direkten Kundenkontakt und die persönliche Beratung beschränkte, mussten digital nachrüsten. Oft aber mangelt es an Knowhow, Zeit oder manchmal auch Mut. &Töchter erkannte den Bedarf in der Branche – und entwickelte ein Geschäftsmodell: Mit „studio by &Töchter“ vermitteln die fünf Verlegerinnen ihre digitale Kompetenz an Buchhandlungen, geben Workshops für Mitarbeiter:innen oder setzen gemeinsam mit ihnen Newsletter und Online-Shops auf. „Am Ende des Tages geht es ja doch nur gemeinsam“, erklärt Laura Nerbel die Entscheidung, ins Beratungs-Business einzusteigen. „Das Vertrauen seitens des Buchhandels ist größer, als wenn jemand von außen kommt. Und gerade vertrieblich ist das ein komplizierteres Thema als in anderen Branchen.“

»Für Verlage ist es am wichtigsten, sich zu öffnen und auch mit anderen Medienformaten zusammenzuarbeiten.«

Laura Nerbel

Gemeinsam die Zukunft gestalten

Einen Grund, an der Zukunft des Buches zu zweifeln, gibt es nicht: Lesen hat im Corona-Jahr 2020 einen Aufschwung erlebt, 25 Prozent der Leser:innen greifen wieder häufiger zum Buch, wie eine Befragung der Gesellschaft für Konsumforschung im Januar 2021 ergab. Die Umsatzbilanz der Branche zeigt sich für Verlage stabil und krisensicher.

Um als Verlag weiterhin dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es wichtig, den digitalen Wandel mitzugestalten und sich immer wieder neu auszuprobieren, da ist sich das &Töchter-Team sicher. Dass es mit seinen innovativen Ideen überzeugt, zeigen nicht nur mittlerweile vier veröffentlichte Publikationen und erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen für die Projekte, sondern auch eine Auszeichnung aus Fachkreisen: 2020 gewann der junge Verlag eine Wildcard für die Frankfurter Buchmesse und setzte sich gegen 238 Einreichungen durch.

Dabei ist für die &Töchter-Verlegerinnen vor allem eines für den Literaturbetrieb entscheidend, um auch komplizierte Zeiten zu meistern: Das Besinnen auf die gemeinsame Leidenschaft. „Man sollte Neues nicht verteufeln, sondern in Gemeinschaft tolle, neue Sachen schaffen“, fordert Elena Straßl. „Denn das ist ja auch notwendig, um junge Leute wieder an die Literatur heranzuholen.“

»Als Verlag hat man endlich mal die Chance, durch Social Media die Enkund:innen und Leser:innen direkt anzusprechen. Sonst ist immer ein Buchladen dazwischengeschaltet.«

Lydia Hilebrand

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