Foto: Miljan Živković
Antenne Deutschland und Radiocloud: KI macht Programm
Absolut Radio AI ist Deutschlands erstes Radioprogramm, das rund um die Uhr vollautomatisiert mit künstlicher Intelligenz läuft. Mirko Drenger, Chef des Betreibers Antenne Deutschland, und Christian Brenner, Gründer des Softwareunternehmens Radio.cloud, erklären im Interview, wie sie das geschafft haben und wie KI das Radiomachen verändert.
Herr Dregner und Herr Brenner, seit 18. Juli 2023 ist Absolut Radio AI als erstes vollautomatisiertes KI-Programm in Deutschland über einen Stream auf Sendung, seit 31. August 2023 kann man es auch im Raum Braunschweig über DAB+ empfangen. Weshalb haben Sie sich entschlossen, ein solches KI-Radio zu starten?
Mirko Drenger: Wir beschäftigen uns schon länger mit dem Thema KI, aber zunächst in Marketing, Planung, Analyse und der Postproduktion für Videos. Auch zu Christian Brenner, der mit Radio.cloud ebenfalls bei KI parallel am Entwickeln war, hatten wir bereits engen Kontakt. Gemeinsam kamen wir auf die Idee, einen Sender mit einer geklonten digitalisierten Stimme moderieren zu lassen. Christian hat uns eine Lösung vorgeschlagen, die wir aufgenommen und umgesetzt haben.
Christian Brenner: Nach dem Start von ChatGPT im Herbst 2022 war uns klar, dass KI das Radio verändern wird. Als technischer Dienstleister wollten wir mit verschiedenen Funktionen dabei sein, auch wenn wir noch nicht wussten, was die Radioanbieter künftig damit tun wollen. Ein Extremszenario bestand darin, aus all den neuen Funktionen einen Sender zu bauen, der komplett automatisiert läuft. Dafür wollten wir uns zwei Jahre Zeit geben, aber es ging viel schneller. Schon im Mai 2023 kristallisierte sich heraus, dass wir so ein KI-Radio schon bald würden umsetzen können. Wir wollten es mit einem Kunden realisieren, der eine gute Reputation hat und rasch entscheiden kann. Auf Antenne Deutschland traf beides zu. Es war also eine Win-Win-Situation.
Wie kommt Absolut Radio AI bei Ihren Hörer:innen an?
Drenger: Wir erreichen die Zielgruppe über unser Marketing und die Reichweite der übrigen Absolut-Sender. Die Nutzung des Senders ist sehr gut, was sich auch an der durchschnittlichen Hördauer pro Active Session, dem wichtigsten KPI, zeigt. Sie liegt jetzt bei durchschnittlich 57 Minuten und steigt tendenziell. Inhaltlich haben wir uns zunächst so aufgestellt, dass kAI den Menschen, die nicht jeden Tag mit KI zu tun haben, das Thema erklärt und Berührungsängste abbauen will.
»kAI erklärt das Thema den Menschen, die nicht jeden Tag mit KI zu tun haben, und will Berührungsängste abbauen.«
Mirko Drenger
Foto: Antenne Deutschland
KI kann schneller auf Ereignisse reagieren als ein Mensch.
Die Stimme von kAI klingt aber immer noch ziemlich künstlich. Er kann weder Dialoge mit Hörer:innen führen, noch auf aktuelle Ereignisse reagieren oder wechselnde Emotionen zeigen. Ist er damit für höhere Aufgaben im Radio ungeeignet?
Drenger: Wir sind inhaltlich vorsichtig an das Thema KI herangegangen, aber technologisch ist noch viel möglich. Die wichtigste Frage lautet für uns: Wie schaffen wir es, dass sich kAI nicht irgendetwas ausdenkt? Um das zu vermeiden, haben wir themenseitige und inhaltliche Leitplanken entwickelt, bis hin zu einzelnen Worten, die er nicht sagen darf. Zudem setzen wir ein zweites Large Language Modell ein, das das andere kontrolliert und thematisch schaut, ob die Inhalte passen. Es ist übrigens gar nicht unsere Absicht, kAI so klingen zu lassen wie einen echten Menschen, auch wenn seine Stimme von einem Moderator stammt und weiter verbessert wird. kAI soll KI bleiben.
Brenner: kAI könnte technisch auch auf aktuelle Ereignisse reagieren, sogar sehr viel schneller als ein Mensch. Wir könnten eine Eilmeldung innerhalb von 10 Sekunden on Air bringen, so schnell schafft das kein Mensch. Es gibt aber einen Grund, warum wir es nicht tun. Jetzt hat kAI immer gute Laune, denn das ist die einfachste Art, Programm zu machen. Es ist aber deutlich komplexer, eine KI für verschiedene Stimmungen zu entwickeln oder eine, die schlagartig die Stimmung ändern kann, wenn eine schlimme Meldung hereinkommt. Jetzt besteht in solchen Fällen die Gefahr, dass kAI einen Dreh findet, um die Dinge positiv darzustellen. Deshalb sortiert die KI bereits jetzt alle VIP-Meldungen aus, die mit Politik, Politikern oder Parteien zu tun haben. Wir wollen nicht, dass kAI jeden Akteur und jede Partei als klasse darstellt.
»Wie auch immer man zu KI steht, kein Sender sollte sie ignorieren, sondern mit ihr experimentieren und lernen, was sie kann und was nicht.«
Christian Brenner
Foto: Radio.cloud
Ihr KI-Radio läuft inzwischen seit mehreren Monaten, ohne dass es redaktioneller Eingriffe der Mitarbeitenden bedarf. Wie ist Ihnen das gelungen?
Brenner: Dazu war viel technische Vorarbeit nötig. Den größten Aufwand betreiben wir bei unseren Prompts, die teilweise sehr lang sind und je nach Moderations-Break noch Under-Prompts enthalten, zum Beispiel für die Hook-Moderation oder die Anmoderation des Wetters. In den Prompts fragen wir genau, was wir wollen und was nicht. Durch viel Erfahrung konnten wir einen Prompt-Baukasten mit über 1000 Teilen schaffen, den wir dann je nach Einstellung zusammensetzen. Wir haben gut verstanden, was ChatGPT 4.0 braucht, um sinnvolle Sachen herauszubekommen. Google Bart macht dann nochmal eine Gegenkontrolle. Es geht darum, komplette Fehlleistungen zu stoppen und den Worst Case zu vermeiden.
Drenger: Es stimmt, dass wir schon lange nicht mehr eingreifen mussten, weil das Level, auf dem sich Absolut Radio AI befindet, sicher ist. Dennoch kontrollieren wir den Sender ständig und haben in dieser Hinsicht unsere Hausaufgaben gemacht, so dass wir zu weiteren Themen übergehen können.
kAI moderiert eine Woche lang alleine bei Absolut Hot
Die Absolut-Gruppe und Radio.cloud sind schon länger Partner. Inwiefern hat Ihnen das beim Aufbau eines KI-Senders geholfen?
Drenger: Wir arbeiten bei der Produktion und beim Playout schon länger mit Radio.cloud zusammen. Weil wir das System schon im Einsatz haben, war es für uns relativ einfach, einen KI-Sender zu starten. Radio.cloud hat die KI-Technologie auf das bestehende System angepasst. Wir mussten also technologisch nichts mehr aufbauen und konnten gleich loslegen. Das war ein Glücksfall für uns.
Brenner: Wir können über Radio.cloud eine komplette Sendeuhr in die KI einbauen. So ist alles aus einem Guss und bedienungsfreundlich. Darin sehen wir einen großen Wettbewerbsvorteil. In den USA war Futuri Media zwar etwas schneller mit seinem KI-System, aber das Unternehmen hat – anders als wir – kein Playout. Das heißt, die Kunden von Futuri Media müssen alles per Hand machen, weil sie nur Files angeliefert bekommen. Es gibt im Moment drei Firmen, die KI-Module bauen und sagen, dass sie in jedes Playout-System eingebaut werden können. Das ist in der Praxis aber sehr umständlich, bei uns nicht.
Wie viel haben Sie für den Aufbau von Absolut Radio AI investiert?
Drenger: Eine genaue Summe kann ich nicht nennen. Aber technologische Startinvestitionen hatten wir nicht so viele, weil wir ja – wie gesagt – schon mit dem System Radio.cloud gearbeitet haben. Der redaktionelle Aufwand für Prompting, Inhalte und Kontrolle hat einen Umfang, den ich nicht mit meinen Gesellschaftern hätte besprechen müssen. Die Personalkosten halten sich auch in Grenzen. Es ist allerdings nicht so, dass sich bei uns niemand mehr mit Absolut Radio AI beschäftigen muss. Neben der inhaltlichen Kontrolle fällt noch weitere Arbeit an. So sind wir mit viel Aufwand dabei, eine zweite Stimme zu entwickeln.
Sie haben bei anderen, nicht KI-basierten Programmen der Absolut-Radio-Gruppe bereits erkrankte Moderator:innen durch kAI ersetzt. War er eine würdige Vertretung?
Drenger: Mitte Dezember 2023 haben wir eine Woche lang sogar die ganze Moderation bei unserem Sender Absolut Hot von kAI machen lassen, weil der Moderator krank und die Co-Moderatorin im Urlaub war. Auch andere fehlten krankheitsbedingt, so dass fast nichts mehr ging. kAI hat dann bei Absolut Hot moderiert, sagte im Programm aber auch, dass er kein echter Moderator ist, sondern eine KI, die als Vertretung eingesprungen ist. Die Hörer:innen haben das positiv angenommen, zudem war es eine wichtige Cross-Promotion für Absolut Radio AI. An der Stelle wird es aber auch wirtschaftlich interessant. Für die normale Krankheitsvertretung haben wir keinen externen Dienstleister mehr zahlen müssen, das hat kAI gemacht.
Brenner: Die Vertretung durch kAI war auch einfach umzusetzen, weil die Technik dafür schon vorhanden ist. Es muss dann nur ein anderes Technik-Modul zugeschaltet werden.
„Kein Sender sollte KI ignorieren, sondern damit experimentieren.”
Was hat die Redaktion der übrigen Absolut-Sender bisher im Umgang mit kAI gelernt?
Drenger: Wer sich eine Moderation von kAI anhört, der merkt, dass er viel tiefer gehen kann als ein echter Moderator. Zum Beispiel bei der Anmoderation eines Songs: kAI sagt den Titel und den Interpreten an und erzählt, worum es in dem Lied geht. Das kann die KI on the fly machen, ein menschlicher Moderator muss dafür erstmal googeln. Dennoch hat bei uns keiner Angst um seinen Job, denn die KI moderiert nicht besser als der Mensch. Außerdem können wir dank KI mehr und bessere Inhalte erstellen. Es profitieren also alle enorm von kAI und lernen von ihm.
Wie wird KI das Radiomachen in den nächsten Jahren verändern?
Drenger: Wir tänzeln immer um das Thema Personal herum und alle bemühen sich zu betonen, dass es nicht um das Einsparen von Mitarbeiter:innen geht. Das ist aber nicht so. Es wird in zehn Jahren nicht mehr alles so sein wie heute. Das sage ich unseren Leuten ganz deutlich. Aktuell lautet mein Mantra, dass KI uns nicht überflüssig macht, sondern smarter.
Brenner: Wie auch immer man zu KI steht, kein Sender sollte sie ignorieren, sondern mit ihr experimentieren und lernen, was sie kann und was nicht. Als Radiomann hoffe ich, dass niemand auf die Idee kommt, seinen Morgenmoderator durch eine KI zu ersetzen, auch wenn die gut klingt. Aber für Sender, die jetzt nachts oder am Wochenende keine Moderation haben, ist KI ein guter Kompromiss. Das Beste im Radio ist eine Live-Sendung mit Menschen, das Zweitbeste ist Voicetracking, das Drittbeste eine KI und das Viertbeste ist, einfach Musik dudeln zu lassen. Eine ganze Sendung mit KI zu machen, ist der Extremfall. Da die Radiosender alle unter Kostendruck stehen, auch die Öffentlich-Rechtlichen, werden einige sicher KI auch nutzen, um Kosten zu sparen.
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