„Challenge“: So wird Fernsehen inklusiver

Von Benedikt Frank

Die Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien (abm) macht mit „Challenge“ vor, wie Inklusion im Fernsehen funktioniert. Nun leistet sie Pionierarbeit und entwickelt das Format zu Deutschlands erster voll inklusiven TV-Sendung – dank viel Engagement und innovativer Technik.

Wer „Challenge“ im linearen Fernsehen sehen will, muss lange wach bleiben oder früh aufstehen. Die Sendung läuft nachts um 2:00 Uhr auf Kabel Eins und morgens gegen 7:30 Uhr auf SAT.1 GOLD. Doch hier, weit abseits der Hauptsendezeit, wird nicht nur ein außergewöhnliches Format produziert, sondern auch eine digitale Innovation getestet, die in Zukunft öfter zum Einsatz kommen könnte. „Wir verstehen uns als Influencer für die Inklusion“, beschreibt abm-Geschäftsführer Herrmann Hoebel die Arbeit seines Teams.

Inklusion lässt sich allgemein mit Einbeziehung oder Teilhabe übersetzen und meint in diesem Fall den Zugang zum Medium Fernsehen für Menschen mit Behinderung. Bei „Challenge“ beginnt das bereits bei der Produktion. An der etwa 30-minütigen Reportagesendung arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam vor und hinter der Kamera. Die letzten Ausgaben handeln etwa von einer inklusiven Schulklasse oder davon, wie die dänische Regierung Sehenswürdigkeiten barrierefrei zugänglich macht. Wer nicht spätnachts oder frühmorgens fernsehen will, kann sich die Sendungen im Vimeo-Kanal der abm ansehen.

Mit digitaler Technik Barrieren abbauen

Mindestens ebenso wichtig ist es der abm, Menschen mit Behinderung den Zugang zu bereits vorhandenen TV-Produktionen zu ermöglichen. Das Stichwort lautet Barrierefreiheit. So, wie eine Treppe eine unüberwindbare Hürde für Rollstuhlfahrer*innen darstellen kann, ist es für Menschen mit Gehörschaden kaum möglich, ihrer Lieblingssendung ohne Untertitel oder Dolmetscher*innen für Gebärdensprache zu folgen. Analog benötigen blinde und sehbehinderte Menschen eine Audiodeskription des visuellen Geschehens auf dem Bildschirm. Man kann, wie das Beispiel „Challenge“ zeigt, noch weiter in Sachen Inklusion gehen: Über einen zusätzlichen Tonkanal ist es möglich, die Sendung in sogenannter leichter Sprache zu hören. Diese setzt unter anderem auf kurze Sätze, vereinfachte Grammatik und zusätzliche Erklärungen. Das hilft nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten, die Sendungen besser zu verstehen, sondern auch allen, die Deutsch als Fremdsprache lernen.

„Fernsehen für alle“ heißt folglich das Projekt, das die technische Grundlage für diese Hilfen bildet. Dank ihm kann sich „Challenge“ zurecht als erstes voll inklusives Programm im deutschen Fernsehen bezeichnen. Zwar gibt es Untertitel immer öfter im TV, doch Audiodeskription und Gebärdensprache sind noch relativ selten zu finden, Formate in leichter Sprache existieren nur vereinzelt und alle vier Formen der Unterstützung bietet aktuell keine Sendung außer „Challenge“ an. Der Stand der Inklusion in Zahlen: Laut ARD sind 98 Prozent des Angebots im Ersten untertitelt. Die Tagesschau wird beispielsweise parallel auf phoenix in Gebärdensprache übersetzt. Bei ProSieben liegt die Untertitelquote bei 41 Prozent, zu einzelnen reichweitenstarken Formaten wie dem Finale von „Germany’s Next Topmodel“ und der ersten Staffel von „The Masked Singer“ gab es Live-Audiodeskription. Möglichkeiten zur Verbesserung gibt es für private und öffentliche-rechtliche Sender.

Sendereihe "Challenge", Foto: abm

Mit HbbTV, Apps und Augmented Reality zu mehr Inklusion

Die vier Hilfsmittel – Untertitel, Gebärdensprache, Audiodeskription und leichte Sprache – zur Verfügung zu stellen, war bisher auch eine infrastrukturelle Herausforderung: Für die Audiodeskription muss ein zusätzlicher Tonkanal gesendet werden, für leichte Sprache ebenfalls und Gebärdensprache läuft nur über ein eigenes Videosignal. Wie im Fall der Tagesschau bedeutet das, dass es ein zweiter Sender ausstrahlen muss. Dank Smart-TVs mit dem HbbTV-Standard ist es nun möglich, all das online zur Verfügung zu stellen, ohne extra Frequenzen zu belegen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Hilfen so auch synchron über Zweitgeräte nutzbar sind. So kann ein Mensch mit Sehbehinderung nur für sich über das Smartphone die Audiodeskription hören. Das erlaubt gemeinsames Fernsehen mit anderen, die durch die Beschreibung der Szenen gestört werden würden. Besonders innovativ ist dabei die Möglichkeit, sich Gebärdendolmetscher*innen per Augmented-Reality-Brille ins Blickfeld zaubern zu können. Diese Brillen sind zwar noch wenig verbreitet, es ist aber anzunehmen, dass die Geräte in Zukunft erschwinglicher werden. Die Inklusions-Technologie ist dann bereits vorhanden, getestet und auch von anderen nutzbar.

Das Interesse der Branche haben „Challenge“ und die abm geweckt: Sie konnten ProSiebenSat.1, die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM), die Bayerische Medien Technik (bmt), und das Forschungsinstitut der öffentlich-rechtlichen Sender, das Institut für Rundfunktechnik (IRT), als Partner gewinnen. Beim HbbTV Festival in Athen gewann die Anwendung den Hauptpreis und bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN war sie mehrfach nominiert. „Wir haben es auf der Agenda, die Technik für weitere Formate nutzbar zu machen“, sagt Annette Kümmel, die als Chief Sustainability Officer bei ProSiebenSat.1 das Projekt begleitet hat. Sie möchte jetzt mit „Challenge“ Erfahrungswerte sammeln, um künftig das Hauptprogramm inklusiver zu gestalten.

Bleibt der Produktionsaufwand von inklusivem Fernsehen. Hoebel spricht von einer logistischen Herausforderung: „Den Film auf den letzten Drücker abzugeben geht nicht mehr.“ Zweieinhalb Wochen brauche sein sehr kleines Team für die Aufbereitung mit den vier inklusiven Diensten. Insbesondere für das Privatfernsehen sind außerdem die Kosten ein Faktor. „Wir können zeigen, dass es nicht erschreckend teuer ist“, berichtet Hoebel. Der Mehraufwand liege bei 7.000 bis 10.000 Euro für die halbe Stunde – „keine Riesensumme“ angesichts der Budgets im TV, meint der abm-Chef. Gerne würde er die Erfahrungen und Technologie von „Challenge“ mit anderen Fernsehmachern teilen.

Programmhinweis: Die nächste Folge „Challenge“ läuft am 29.06.2020 auf Kabel Eins und am 04.07.2020 auf SAT.1 GOLD.

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