Die Befreiung: Neue Gedenkkultur durch AR

Mithilfe von Augmented Reality (AR) und innovativem Storytelling macht der Bayerische Rundfunk den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau erlebbar. Das Digitalprojekt "Die Befreiung" zeigt, wie der Einsatz von neuen Technologien unsere Gedenkkultur verändern kann.

15.05.2020 6 Min. Lesezeit

Wer das eiserne Eingangstor passiert, unter dem Schriftzug ‚Arbeit macht frei‘ hindurch, betritt einen leeren Platz. Für die Besucher*innen der KZ-Gedenkstätte Dachau verwandelt sich der Ort zum imaginativen Schauplatz, an dem sich das Wissen um das Geschehene mit der eigenen Vorstellungskraft vermischt. Und doch bleibt alles unvorstellbar: Das Leid der Inhaftierten, die Grausamkeit der Täter, die Fassungslosigkeit der amerikanischen Soldaten, die das Lager am 29. April 1945 betraten. Der Bayerische Rundfunk (BR) will nun die Vergangenheit erlebbarer machen.

Virtueller Rundgang: Vergangenes vergegenwärtigen

75 Jahre ist es her, dass das Konzentrationslager Dachau von US-amerikanischen Truppen befreit wurde. Anlässlich des Jahrestags setzte der BR gemeinsam mit der KZ-Gedenkstätte Dachau ein multimediales Storytelling-Projekt um: „Die Befreiung“.

„Der technische Fortschritt ermöglicht neue Arten der Erinnerung“, sagt Eva Deinert, die das Projekt für den Bayerischen Rundfunk realisierte. „Wir stellen die Technologie in den Dienst von Erinnerungskultur.“ „Die Befreiung“ soll Besucher*innen der Gedenkstätte ermöglichen, die entscheidenden Stunden am 29. April 1945 noch eindringlicher nachzuvollziehen. Mithilfe einer AR- App werden die realen Erinnerungsorte um historische Bilder und Audioaufnahmen erweitert. So rückt Erinnern und Erleben enger zusammen: Zeitzeugenberichte und Fotografien von Inhaftierten, SS-Soldaten oder Befreiern füllen die Plätze mit Vergangenem und scheinen den zeitlichen Abstand zwischen damals und heute für einen kurzen Moment zu überwinden.

Immersives Storytelling durch neue Technologien

Das Experimentieren mit neuen Ausspielwegen und immersivem Storytelling ist für Deinert nicht neu. Als eine der verantwortlichen Redakteur*innen für das preisgekrönte BR-Innovationsprojekt „Ich, Eisner“ zeigte sie schon einmal, wie sich neue Distributionswege einsetzen lassen, um Geschichte gegenwärtig zu machen: Vier Monate lang, vom Herbst 2018 bis ins Frühjahr 2019, schickte Kurt Eisner den Nutzer*innen über WhatsApp Nachrichten auf das Handy und erzählte in Echtzeit, was vor 100 Jahren geschah.

Interview mit Eva Deinert über „Ich, Eisner“ und crossmediales Storytelling (YouTube)

„Die Befreiung“ setzt nun mit AR eine andere Technologie in den Fokus. Eigentlich sollte die App bereits im Einsatz sein. Da der Corona-Lockdown den Besuch in der Gedenkstätte jedoch unmöglich macht, bietet der Bayerische Rundfunk einen virtuellen Rundgang auf seiner Website an. Mithilfe von Erzählerstimmen, Original-Tonaufnahmen und Fotos schafft das Projekt den Spagat zwischen Erlebnis und Reflexion. Nicht überladen, nicht zu immersiv – und doch ganz nah dabei.

Der Griff zum Smartphone: Auseinandersetzung statt Ablenkung

„Der Schwerpunkt liegt auf Geschichten von jungen Häftlingen“, so Deinert. „Uns war es wichtig, die Schicksale von Individuen zu beleuchten.“ Das gelingt. Information und Emotion treten gemeinsam auf, wenn die Online-Rundgänger*innen beispielsweise vom Wiedersehen zwischen Arthur Haulot und Paul Lévy erfahren. Haulot ist inhaftierter Widerstandskämpfer, sein belgischer Landsmann Lévy ist Journalist und als Übersetzer für die amerikanischen Soldaten im Einsatz. Zufällig treffen sich die beiden am 29. April 1945 wieder.

„Gerade um jüngere Zielgruppen zu erreichen und für unsere Geschichte zu sensibilisieren, müssen wir uns stärker an deren Mediennutzung und deren Konsumverhalten orientieren“, weiß Deinert. Der Griff zum Smartphone dient dann nicht mehr der Ablenkung, sondern der Auseinandersetzung mit dem Erbe der Geschichte.

Lehrkräfte und Schüler*innen, die einen Prototypen der AR-App noch vor dem Lockdown getestet haben, gaben durchweg positives Feedback, verrät die Projektleiterin. Ein vielversprechender Start für die Storytelling-Innovation.

Wie kam es zu der Kooperation und was ist eure Rolle als Virtual Worlds?

Kahmke: Die internationale XR Crowd ist sehr wendig. Wir sind Innovatoren, weil es das, was wir tun, meist noch gar nicht so richtig gibt. Als Anfang März klar wurde, dass viele Festivals abgesagt werden müssen, traf sich die Community auf Social-Media-Kanälen, um Alternativen zu besprechen und zu testen. Mit VRroom und Stereopsia (den Partnern des BDTW20-Festivals, Anm. d. Red.) stand ich sowieso schon in Kontakt und als die mir von der Idee berichtet hatten, war ich sofort dabei. Ich aktiviere gerade meine Kontakte und frage, ob sie uns Experiences für die BDTW20 zur Verfügung stellen können. Das funktioniert sehr gut und alle wollen sofort mitmachen.

XR und VR-Experiences scheinen in der gegenwärtigen Situation für Events das Format der Stunde zu sein. Kann das der Technologie einen Schub geben?

Kahmke: Ich bin vorsichtig mit Prognosen. Die Technologie und Ideen gab es schon vorher. Noch im Januar haben wir zum Beispiel überlegt, ob wir Teile der Virtual Worlds zusätzlich in VR streamen sollen. Damit Menschen teilhaben können, die nicht nach München kommen. Ich finde es spannend, dass in dieser Zeit sehr viele Medien plötzlich genutzt werden, die vorher schon ein Angebot hatten, aber damit nicht unbedingt die breite Masse erreichten. Für mich bleibt ein Festival ein Ort der Begegnung, der offline eine andere Qualität besitzt. Die persönliche Neugierde, die Spontanität und das persönliche Gespräch bleiben weiterhin unverzichtbar. Deswegen verschieben wir auch die Virtual Worlds, weil wir keinen eins zu eins Ersatz in der virtuellen Welt suchen. Was die Technologie aber kann, ist das Konservatorische. Es gibt ganze Museen und Ausstellungen, die man sich mit VR anschauen kann.

Frank: Man merkt generell die Zunahme derer, die sich professionell mit VR beschäftigen, an der immer besseren Qualität. Wir zeigen zum Beispiel im Rahmen des BDTW20 Festivals den Film „Traveling while black“ von Felix[&]Paul, der letztes Jahr auch in der Retrospektive bei Virtual Worlds lief. Es gibt da eine wahnsinnige erzählerische Qualität im Spiel mit dem neuen Medium. Das haut einen wirklich um, wenn man es das erste Mal sieht.

Weiterführende Links:

Mehr zum Programm des und der bayerischen Teilhabe am Break Down These Walls Festival verrät Astrid Kahmke im Interview mit dem XR Hub Bavaria.

Screenshots aus dem VR-Adventure „Blautopf VR“ (Foto: Philipp Schall, TELLUX Next GmbH)

Neurofeedback-Therapie

Ganz billig ist das Angebot von brainboost allerdings nicht. Exakt 87 Euro kostet eine Stunde. Und es ist nicht verwunderlich, dass mehrere Sitzungen nötig sind. „Man muss ehrlicherweise sagen, dass ein sinnvoller Umfang zwischen zehn und 30 Stunden liegt. Wir versuchen, durch Prozessoptimierungen die Kosten zu senken. Aber wir wollen auf keinen Fall an der Qualität sparen“, sagt Philipp Heiler.

„Tatsächlich würde ich Neurofeedback als fortlaufenden Prozess bezeichnen. Ähnlich wie bei sportlichem Training kann ich mir Herausforderungen und Zwischenziele setzen, weil es mir guttut. Hier sieht man deutliche Parallelen zur Meditation“, fügt er hinzu. brainboosts ehrgeiziges Ziel ist ein Modell ähnlich dem eines Fitness-Studios. Nur geht es beim Gehirn-Gym eben um den Geist statt um den Körper.

Die gesetzlichen Kassen übernehmen die Kosten nicht, die privaten Kassen erkennen die Notwendigkeit im Einzelfall an. In weiser Voraussicht? „Ich sehe Neurofeedback als Zukunftstechnologie. Wenn immer mehr Jobs von Robotern übernommen werden, dann bleibt am Ende eine einzige Lebensaufgabe für die Menschen übrig: glücklich sein. Und das geht nur, wenn das Gehirn mitspielt. Genau diesem Zweck dient unser Neurofeedback.“

 

Weitere Informationen

brainboost.de

wikipedia.org : Instrumentelle und operante Konditionierung

technologyreview.com : brain-mapping

unity.com

Mediennetzwerk Bayern : Gelder für Gamesentwickler

Über den Autor/die Autorin

Denis Heuring

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