„Die Frage“: Mit Community und 360-Grad-Ansatz zum Erfolgsformat

Von Nina Brandtner

„Die Frage“-Hosts Frank Seibert und Lisa-Sophie Scheurell sowie Produktleiterin Teresa Fries (v. l. n. r.). Foto: Tanja Kernweiss

Einfühlsame Moderation und intensive Gespräche sind das Erfolgsrezept des Reportageformats „Die Frage“, das der Bayerische Rundfunk für funk produziert. Produktleiterin Teresa Fries und die Hosts Frank Seibert und Lisa-Sophie Scheurell über die Potenziale einer gut gepflegten Community und die Kunst des 360-Grad-Ansatzes.

Das Kernteam von „Die Frage“ hat sich in den letzten beiden Jahren mehr als verdoppelt und besteht mittlerweile aus 15 Kolleg:innen. Warum habt ihr euch derart vergrößert?

Frank: Es sind immer mehr Aufgaben dazugekommen, die wir irgendwann nicht mehr gepackt haben. Mehr Social-Media-Aufwand und mehr Plattformen, die wir bedienen wollten. Gerade mit TikTok brauchten wir Leute, die sich in die Logik der Plattform reinfuchsen. Irgendwann kann eine Person alleine auch den ganzen Kommentaraufwand nicht mehr regeln.

Teresa: Da war auch noch so viel Potenzial, das wir ausschöpfen wollten. Unsere Filme sind immer länger geworden, weil wir die Geschichten ausführlich erzählen wollten und weil wir so dafür brennen.

Ist das Teil von dem, was euch als Format so erfolgreich macht? Dass ihr euch weiterentwickelt und für eure Geschichten brennt?

Frank: Es ist wichtig, dass sich die Leute, die bei uns arbeiten, extrem mit dem Inhalt identifizieren. Ich kenne wenige Redaktionen, in denen die Leute so engagiert mitarbeiten, weil sie es am Ende so cool finden, was sie machen.

Teresa: Wir tendieren außerdem dazu, eher mal etwas zu machen, wenn wir eine Idee gut finden, als zu sagen: „Nein, wir machen jetzt Standard weiter.“ So kommen neue Sachen zustande.

Wie bleibt ihr euch dabei treu?

Lisa-Sophie: Wir versuchen, im Kern die „Die Frage“-DNA beizubehalten, aber wir probieren unterschiedliche Herangehensweisen. Auch, damit wir nicht die Motivation verlieren.

Teresa: Uns hilft total, dass wir Trendthemen nicht hinterherlaufen. Unsere Themen sind universal und für sehr lange Zeit relevant, sie begleiten junge Leute über ihre Jugend hinweg. Es geht um Liebe und Beziehung, Tod, Schuld, Körpergefühl oder psychische Gesundheit.

Hinter den Kulissen

„Die Frage“ gibt es seit über zehn Jahren. Zuerst im Radio beim PULS-Vorgänger on3, wurde das Format später als Podcast aufgezeichnet und online gestellt. Daraus entstand ein Fernseh­format für den Bayerischen Rundfunk (BR). Seit 2016 ist „Die Frage“ Teil von funk, wird weiterhin vom BR produziert und erscheint einmal wöchentlich als circa 20-minütiges Reportageformat auf YouTube. „Die Frage“ ist auf TikTok, Instagram und Facebook zu finden, seit 2021 gibt es sie außerdem wieder als Podcast.

Wie entstehen die Themenideen bei „Die Frage“?

Lisa-Sophie: Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben immer eine lange Liste an Ideen. Dann ist es ein Team-Effort: Vor allem die Autor:innen, aber auch alle Community-Manager:innen und die Videoproducer arbeiten mit. Bei Brainstorming-Sessions nehmen wir uns eine Frage vor und überlegen: Was sind die unterschiedlichen Aspekte des Themas? Wir bekommen auch super viel Input aus der Community.

Frank: Das Wichtigste ist, dass wir ein Gefühl für das Thema haben und dass es uns sofort packt. Oder jemand sagt: „Ich kapiere das gar nicht, das Phänomen. Aber ich finde es wichtig oder schön, mich damit zu beschäftigen.“

Ist diese Verbundenheit mit Themen etwas, das zu eurem Erfolg beiträgt und das für Medien immer wichtiger wird?

Teresa: Ich weiß nicht, ob es für alle Medien wichtig ist, dass Reporter:innen und Hosts so involviert sind. Für uns ist es essenziell. Es würde niemals funktionieren, dass Frank und Lisa-Sophie erst beim Dreh erfahren, mit wem sie sprechen. Das merken die Protagonist:innen und die Community. Für uns ist es ein Erfolgskonzept, weil wir viele Inhalte aus der Community generieren. Ganz viele Protagonist:innen könnten wir niemals recherchieren, weil sie noch nie irgendwo aufgetaucht sind. Sie kommen zu uns und sagen: „Ich möchte Lisa-Sophie und Frank meine Geschichte erzählen.“ Es passiert oft, dass danach andere Redaktionen anrufen und nach Kontakten fragen. Aber meistens ist die Antwort der Protagonist:innen: „Nein, ich wollte das hier erzählen.“

Frank: Das ist ein Potenzial, das viele Redaktionen nicht so nutzen, wie sie könnten – mit Leuten zusammenzuarbeiten, die regelmäßig zuschauen. Ich merke das immer in Redaktionen, die sich überlegen, wie sie an die Protagonist:innen kommen, und dann klassische Recherche in Foren machen. Wir machen einen Aufruf und sprechen die Leute an, die uns verbunden sind, und es kommen sofort Rückmeldungen. Dieser Vertrauensbeweis ist ein großes Gut.

»Es ist ein Potenzial, das viele Redaktionen nicht so nutzen, wie sie könnten – mit Leuten zusammenzuarbeiten, die regelmäßig zuschauen.«

Frank Seibert, Host / Foto: Tanja Kernweiss

Habt ihr Tipps für andere Redaktionen, wie man seine Community richtig pflegt?

Frank: Viel antworten und sich Zeit nehmen.

Lisa-Sophie: Wir haben extra Themensitzungen, in denen wir nur E-Mails und Nachrichten besprechen, die reingekommen sind. Der Community mit Respekt zu begegnen und sie als sehr wertvolle Quelle anzusehen, das machen nicht alle Redaktionen.

Teresa: Man sollte Community-Manager:innen als wertvolle Mitarbeiter:innen ansehen. Als wir im Journalismus angefangen haben, war das ein Job, der eher lieblos behandelt wurde. Das funktioniert auf keinen Fall. Man muss Ressourcen reinstecken. Ich finde es sehr seltsam, wenn Redaktionen das Community-Management auslagern. Community-Manager:innen sind unser Ohr in die Zielgruppe. Sie wissen im Zweifel schon vorher, wie ein Film ankommen wird und welche Themen gut laufen könnten. Es ist sehr wichtig, dass sie Teil der Themensitzungen und des Teams sind und nicht nur diese Abteilung, die Kommentare abarbeitet.

Wer ist denn eure Community?

Lisa-Sophie: Die „Die Frage“-Zielgruppe ist neugierig, sie hat Interesse an unterschiedlichen Themen. Die Leute kommen wegen eines Themas, das ihnen naheliegt, das in ihrer Lebenswelt eine große Rolle spielt, aber sie bleiben für Themen außerhalb ihrer Bubble.

Teresa: Viele Leute kommen bei uns zum ersten Mal mit bestimmten Themen in Berührung. Sie mögen es, von Menschen und ihren Geschichten überrascht zu werden. Das macht „Die Frage“ so besonders.

Einfühlsamkeit, Offenheit und Vertrauen sind die Grundlage für alle Gespräche der Reporter:innen Lisa-Sophie und Frank. Foto: Tanja Kernweiss

Fällt es euch in Zeiten, in denen via Social Media jede:r zum Storyteller werden kann, schwerer, euch bei der Zielgruppe Gehör zu verschaffen?

Frank: Gar nicht. Diese Entwicklung finden wir total gut! Uns schreiben oft Menschen, die ihre Geschichte selbst öffentlich erzählt haben, aber nicht mit der Reichweite. Sie haben das Bedürfnis, sie auch anderen Zielgruppen zu erzählen, die zum Beispiel bisher nicht sensibel waren für ein Thema. Auf Social Media ergänzt man sich vielmehr in den verschiedenen Bubbles, in denen man sich bewegt, anstatt sich etwas wegzunehmen.

Teresa: Die Leute sehen den Unterschied, ob eine Redaktion und ein journalistisches Format dahinterstehen oder ein privater YouTube- oder TikTok-Kanal. Wir sind entspannt, weil wir wissen, dass wir etwas hinzuzufügen haben. Wir müssen nicht eins zu eins konkurrieren, wir haben unsere Recherchen, die Hosts, eine Metaebene in den Filmen.

Spätestens seit TikTok gilt: je knapper, desto besser. Der jungen Zielgruppe wird gerne unterstellt, keine Aufmerksamkeitsspanne mehr zu haben. Wieso sind eure langen Reportageformate noch immer so erfolgreich?

Frank: Die Leute wünschen sich sogar noch längere Videos. Auf YouTube erwarten sie das und lassen sich darauf ein. Auf TikTok erwarten sie kürzere Videos. Die Kunst liegt darin, den Inhalt für jede Plattform passend zu erzählen.

Teresa: „Sie haben keine Aufmerksamkeitsspanne mehr“, ist Quatsch. Sie sind halt schneller gelangweilt, aber das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Sie schauen sich auch etwas Langes an, wenn es gut gemacht und spannend erzählt ist. Dann fühlt sich ein dreißigminütiger YouTube-Film für sie an wie zwei Minuten. Wenn wir es nicht schaffen, spannend zu erzählen, sind sie nach zwei Minuten weg.

Frank: Weil die Konkurrenz so groß ist. Das nächste Video ist nur einen Klick entfernt. Früher hat man sich nicht so gezielt überlegt, wohin man seine Aufmerksamkeit gibt. Das darf aber nicht dazu führen, dass man alles überdramatisiert oder clickbaity verkauft.

»Eine junge Zielgruppe ist schneller gelangweilt, aber das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes.«

Teresa Fries, Produktleiterin / Foto: Tanja Kernweiss

Was war eure Strategie bei TikTok?

Lisa-Sophie: Wir wussten nicht: Was läuft gut? Worauf muss man achten? Wir haben einen Autor ins Team geholt, der schon TikTok-Erfahrung und einen gut laufenden privaten Account hatte. Inzwischen teilen wir einerseits Ausschnitte aus unseren Filmen, die besonders emotional und stark sind. Andererseits haben wir völlig neue Protagonist:innen, die in unseren YouTube-Videos nicht auftauchen. Es geht darum, Stereotype aufzudecken und provokantere Fragen zu stellen, als wir es in unseren YouTube-Videos tun.

Teresa: Wir lernen immer noch, bei TikTok kann man ja mit nichts rechnen.

Lisa-Sophie: Ein Video hat 2.000 Views, das nächste 200.000 Views. Und du weißt nicht, wieso.

Teresa: Meistens ist es nicht das, was wir denken. Das ist frustrierender als das, was wir gewohnt waren. Aber auf der anderen Seite sind es auch ganz andere Erfolgserlebnisse.

Ungefähr gleichzeitig mit TikTok habt ihr euren Podcast wiederbelebt, der zwischen 2018 und 2021 pausiert hat. Wie stecht ihr aus der Masse hervor?

Frank: Wir haben in den Folgen total unterschiedliche Herangehensweisen. Mal bietet sich eine Reportage an, manchmal machen wir nur Studiointerviews. Wir haben kein starres Konzept. Da unterscheiden wir uns von anderen Podcasts, die ein sehr klassisches Format haben: zwei Leute im Studio, die sich unterhalten. Ich glaube, dass wir es schaffen, die „Die Frage“-DNA in den Podcast zu übertragen. Da ist die Konkurrenz dann nicht mehr ganz so groß. Das kriegen wir auch als Feedback aus der Community.

Das Team von „Die Frage“ besteht aus zwei Hosts, einer Produktleitung, zwei Autorinnen für die YouTube-Ausspielungen, drei Videoproducern, einer Autorin für den Podcast, zwei Autor:innen für TikTok und drei Community-Manager:innen, viele davon in unterschiedlichen Teilzeitmodellen. Auf funk-Seite unterstützt ein Partnermanager und auf PULS-Seite ein Stratege, im Wechsel sind freie Autor:innen und Volontär:innen mit dabei.

Ist der Podcast gekommen, um zu bleiben?

Frank: Ja. Die Themen gehen uns jedenfalls nicht aus. Bei funk werden für einen bestimmten Zeitraum quantitative und qualitative Ziele festgelegt. Danach wird entschieden, wie es mit einem Produkt weitergeht. Das ist eine schöne Entwicklung. In der ARD war es früher häufiger so, dass Produkte ins Leben gerufen wurden und dann genauso blieben, egal, wie gut sie funktioniert haben.

Teresa: Das ist heute bei allen Kanälen so und gilt für alle Formate. Es heißt nie pauschal „Ziele nicht erreicht, Format abgesetzt“. Aber es ist gut, dass darauf geachtet wird. So werden Formate weiterentwickelt und zukunftsfähig gemacht. Anstatt sie auslaufen zu lassen und zu sagen: „Es funktioniert eigentlich seit drei Jahren nicht mehr.“

Wie lebt es sich generell als junges Format im öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Frank: Als ich angefangen habe, beim BR zu arbeiten, hatte ich das Gefühl, dass es einen deutlichen Unterschied im Ansehen von jungen und von etablierten Formaten gibt. Ich würde nicht sagen, dass sie belächelt wurden, aber es gab eine Hierarchie. Das hat sich inzwischen fast komplett aufgelöst und teilweise ins Gegenteil gekehrt. Andere Redaktionen, hier im Haus und im kompletten öffentlich-rechtlichen System, merken: Es gibt junge Formate, die es sehr gut schaffen, bestimmte Zielgruppen anzusprechen, eine Community aufzubauen, eine Reichweite zu erzielen. Und das wollen sie ja auch. Heute gibt es da einen Wissenstransfer. Leute, die von jungen Formaten kommen, sind gewollt im Haus, weil sie Fähigkeiten mitbringen, die in anderen Redaktionen gebraucht werden.

Teresa: Wir wissen, dass wir machen können, was wir machen, weil wir öffentlich-rechtlich sind. Dass wir hochwertigen Content auf allen Plattformen machen können, weil wir nicht abhängig von kommerziellen Interessen sind. Wir können Themen setzen, die uns wichtig sind, und Sachen ausprobieren, bei denen wir uns nicht sicher sind: Funktioniert das? Das ist eine ganz große Freiheit. Wenn es um die Arbeitskultur geht, gibt es in jedem großen Unternehmen die Ecken, die ein bisschen verstaubt sind, aber wir sind mit funk und PULS an zwei Orten verwurzelt, die total vorangehen. Nicht immer mit dem größten Budget, aber mit der größten Idee, wie ein modernes öffentlich-rechtliches Medienunternehmen funktionieren kann.

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