Dr. Patrick Hörl: Kluge Strategien im harten Doku-Markt

Von Nina Labaute
Ein Portrait von Patrick Hörl von Autentic

Foto: Autentic

Streamingplattformen haben dem Dokumentarfilm neue Sichtbarkeit verschafft – und doch steckt die Branche in der Krise. Deutlich gesunkene Auftragsvolumina, sinkende Budgets und der Mangel an steuerlichen Anreizen setzen viele Unternehmen unter Druck. Dr. Patrick Hörl, Geschäftsführer von Autentic, sieht Wege aus dem Tief. Im Interview spricht er über internationale Vertriebsstrategien, den Einsatz von KI und darüber, warum Dokumentarfilme gerade jetzt wichtiger sind denn je.

Dr. Hörl, Sie haben vor 17 Jahren die Autentic gegründet und haben viele Veränderungen des Dokumentarfilmmarktes miterlebt – zuletzt einen großen Aufschwung mit dem Markteintritt der Streamer. Wie steht es aktuell um die Branche?

Dr. Patrick Hörl: Die Streamer waren Good News für Dokus. Unser Genre ist jetzt auf den Startseiten, gleichberechtigt zu den Spielfilmen. Wir haben nicht mehr den Eindruck, die Mauerblümchen der Branche zu sein, unsere Geschichten werden als kraftvoll und faszinierend empfunden. Trotzdem ist die Branche in einer sehr schwierigen Zeit.

Inwiefern?

Dr. Hörl: Die Anzahl der Produktionen ist deutlich zurückgegangen. Sender haben nicht mehr so viel Geld, Werbeeinnahmen sind zu sozialen Plattformen abgewandert und die klassischen linearen Free-TV-Sender werden mit ihrem Modell in Frage gestellt. Es gibt Branchenschätzungen, dass die Menge der produzierten Filme um mindestens 20 Prozent zurückgegangen ist, manche sagen in bestimmten Bereichen sogar um 40 Prozent. Wir lesen täglich von Personaleinsparungen bei Sendern, und auch unser Unternehmen hat 2024 leider einige Stellen streichen müssen. Es ist sehr bitter zu sehen, wie viele kleinere Firmen nicht überleben. Wir hoffen, dass wir jetzt durch das Tal der Tränen hindurch sind und uns durch eine schlankere und schlagkräftigere Aufstellung wieder gut im Markt positionieren können.

Ko- und teilfinanzierte Produktionen dominieren die Branche

 

Wie schaffen Sie es, durch solche Tiefs zu kommen?

Dr. Hörl: Als ich mit Jan Mojto von Beta Film zusammen die Autentic gegründet habe, haben wir immer über eine Produktionsfirma gesprochen. Wenn ich mir heute Autentic anschaue, stellt sich unser Vertriebsbereich, mit dem wir Produktionen weltweit verkaufen oder lizenzieren, als immer wichtiger für die Stabilität unserer Firma heraus.

Warum ist das so?

Dr. Hörl: Die Finanzierung von Dokumentarfilmen hat sich sehr verändert. Es gibt kaum noch Sender, die Produktionen komplett bezahlen. Auftragsproduktionen gibt es im Bereich Dokumentarfilm praktisch nicht mehr. Unsere Branche wird dominiert von Koproduktionen und teilfinanzierten Produktionen. Wenn ich mich mit einem Redakteur in Mainz auf ein Projekt einige, sagt er mir, wie viel Geld er dafür hat. Das sind vielleicht die Hälfte oder maximal zwei Drittel der Kosten. Den Rest des Geldes besorgt nicht der Sender, sondern wir. Da hilft unsere Vertriebsstruktur, weil wir in den Markt gehen und nach Partnern suchen können. Das ist eine, wie ich glaube, irreversible Entwicklung.

Sie klingen so, als hätten Sie das akzeptiert. Gibt es etwas, dass der Branche nun wirklich helfen würde?

Dr. Hörl: Wir würden uns wünschen, nicht so viel Zeit damit verbringen zu müssen, Finanzierungen zu konstruieren. Das ist Zeit, die bei der Entwicklung neuer Stoffe verloren geht. Wir haben hier in Bayern eine sehr gute Förderung. Man kann sie für ganz bestimmte Produktionen nutzen, dafür sind wir sehr dankbar. Aber sie ändert die Situation der Branche nicht grundsätzlich.

Bei jungen Zielgruppen kommen sowohl längere als auch kurze Erzählformen gut an. Wo man welche Erzählformen am besten findet, wissen gerade die Jüngeren meist intuitiv.

Dr. Patrick Hörl

Was bräuchte es zusätzlich?

Dr. Hörl: Ein Tax Incentive System. Wir sind umgeben von Ländern, die sehr starke steuerliche Anreize für Produktionen bieten. Diese werden automatisch gewährt und sind kalkulierbar. Man ist dort keinen Gremien ausgesetzt, die den Film vielleicht gut finden oder vielleicht auch nicht. Die Planbarkeit im wirtschaftlichen Bereich ist für uns essenziell. Das hat zur Folge, dass wir einen beträchtlichen Teil unseres Produktionsvolumens nach Kanada ausgelagert haben, um von den steuerlichen Anreizen zu profitieren, die unseren dortigen Partnern gewährt werden. Außerdem sind die weltweit tätigen digitalen Plattformen in Deutschland nicht dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Produktion hier anzusiedeln, also hier wieder zu investieren. Auch da hinken wir hinterher, weil diese Regel in Frankreich beispielsweise schon etabliert ist. Solche Investitionsverpflichtungen haben Vor- und Nachteile, aber in der jetzigen wirtschaftlichen Situation gilt es, einen fairen Ausgleich der Interessen zu finden.

Die Branche wandelt sich auch hinsichtlich der Sehgewohnheit der Zuschauer:innen. Welche Plattformen liegen bei Ihnen gerade im Fokus?

Dr. Hörl: Der ganze Markt befindet sich in einer Wandlung hin zu den Digitalmedien. Der Marktführer in Deutschland, wenn man die gesehenen Minuten über das Gesamtpublikum anschaut, ist kein klassischer Sender mehr, sondern YouTube. Wir versuchen dort zu sein, wo die Leute sind. Das ist ein sehr dynamischer Prozess, der uns gut gelingt. Wir machen keine Filme mehr nur fürs Lineare, sondern viele, die zuerst mal in die Mediathek gehen.

Und Sie bespielen auch YouTube-Channels.

Dr. Hörl: Unsere Firma bespielt schon seit 17 Jahren immer auch eigene Kanäle. Früher waren das Pay-TV-Kanäle, die über Plattformen wie Sky oder die Deutsche Telekom vertrieben wurden. Dieser Markt ist am Schrumpfen. Dafür sind andere Kanäle entstanden, zum Beispiel FAST-Kanäle, von denen wir sechs Stück betreiben. Auf YouTube haben wir zum Beispiel einen weltweiten eigenen Dokumentarfilmkanal namens „Autentic Documentary”. Aber unser Hauptgeschäft mit YouTube machen wir mit unserer Zusammenarbeit mit Aggregatoren, die bereits seit vielen Jahren in dem Bereich aktiv sind.

Ist TikTok eine relevante Plattform für Sie?

Dr. Hörl: Durch TikTok, Twitch und Co. bekommen wir ein besseres Gefühl dafür, was Leute thematisch interessiert. Aber wir sind eher bei den längeren Erzählformen verortet. Bei jungen Zielgruppen kommen sowohl längere als auch kurze Erzählformen gut an. Wo man welche Erzählformen am besten findet, wissen gerade die Jüngeren meist intuitiv. Dass man komplexere Geschichten nur in längeren Formen erzählen kann, wissen alle Zielgruppen mittlerweile.

Einsatz von KI: Von der Grundsatzdiskussion zur Normalität

 

Wie beeinflussen diese neuen Kanäle Ihre Formatentwicklung?

Dr. Hörl: Wir müssen viel früher genau überlegen, welches Publikum wir ansprechen wollen. Unser Denken hat sich da radikal geändert. Und wir produzieren nie mehr nur für einen bestimmten Sendeplatz. Vielleicht ist die Sendung erstmal für eine Woche auf dem YouTube-Channel von Arte, eine Woche später im linearen Fernsehen und dann irgendwo in Österreich oder in der Schweiz auf einer VOD-Plattform zu sehen. Es gibt nicht mehr den EINEN Weg zu den Zuschauer:innen. Wir genießen es, unsere Zuschauer:innen durch die Analyse von Nutzungsdaten immer besser kennen lernen zu können. So können wir auch viel dichter an unserer Zeit sein.

Was meinen Sie damit?

Dr. Hörl: Es gibt sehr viele virale Themen momentan. Und eine große Frustration darüber, wie kompliziert und komplex alles geworden ist. Da können wir Doku-Leute helfen, indem wir Schlaglichter werfen, Dinge erklären oder durch investigative Reportagen in Themengebiete vordringen, für die Nachrichten in dieser Tiefe gar keine Zeit haben. Das ist ein starker Trend im Dokumentarfilm.

Ein weiteres Trendthema ist KI. Wie kommt Sie bei Ihnen zum Einsatz?

Dr. Hörl: Wir haben im vergangenen Jahr noch viele Grundsatzdiskussionen geführt, ob wir mit KI arbeiten wollen oder nicht. Dabei haben wir bemerkt, dass wir an vielen Stellen KI schon unterstützend verwenden: in der Titelfindung für Produktionen, bei der Erstellung von Sprachfassungen, in der Endfertigung der Filme, in der Ton- und Bildmischung. Entlang des Entstehungswegs nutzen wir fast überall Software, in der KI eine Rolle spielt. Das ist zur Normalität geworden, und das ist auch nicht schlimm, man muss sich dessen aber bewusst sein. Das Prompting machen ja nach wie vor wir Menschen.

 

 

» Es darf uns als guten Journalist:innen nicht darum gehen, eine bestimmte politische Wirkung zu erzielen. Wir sind die, die Aufmerksamkeit für wichtige Entwicklungen und Zustände schaffen, Dinge verständlich machen und dem Dialog zwischen unterschiedlichen Stimmen Raum geben.«

Dr. Patrick Hörl
Geschäftsführer Autentic

Foto: Autentic

Ist es für die Branche vertretbar, künstlich erzeugte Bilder in einem Dokumentarfilm zu verwenden?

Dr. Hörl: Es gibt mittlerweile viele Filme, in denen komplett KI-generierte Sequenzen enthalten sind. Die für Dokus typischen Reenactments, also zum Beispiel das Nachstellen von Schlachtszenen aus dem Mittelalter, hatten schon immer eine gewisse Künstlichkeit. Mit der Hilfe von KI kann man solche Szenen heute eleganter und historisch akkurater herstellen. Wenn wir Geschichten über einen Menschen erzählen möchten, von dem es nur wenige Bilder gibt, kann man KI verwenden, um Geschichte eindrücklicher zum Leben zu erwecken. Entscheidend ist immer die vollständige Transparenz gegenüber der Zuschauer:innen. Es muss zweifelsfrei offen gelegt werden, wenn Bilder künstlich mit Hilfe von AI erzeugt sind, etwa durch entsprechende Schrifteinblendungen im Bild.

Die Wirkung von Dokumentarfilmen als wichtiger Beweggrund

 

Was macht heute ein erfolgreiches Factual Format aus?

Dr. Hörl: Auf vielen Ebenen die gleichen Dinge, die einen guten Spielfilm ausmachen. Jede gute Story braucht eine passende, starke Dramaturgie. Eine originelle Idee, die visuell brillant und stimmig umgesetzt ist. Im Doku-Bereich kommt noch ein wichtiger Aspekt hinzu: der Zugang. Wir sind dann gut, wenn wir zu bestimmten Leuten und Themen Zugänge finden und dann eine Geschichte erzählen können, von der sonst vielleicht nie jemand erfahren könnte.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie so ein exklusiver Zugang aussehen kann?

Dr. Hörl: Wir produzieren im Moment eine Dokumentation mit der Affenforscherin Jane Goodall, eine wunderbare, inspirierende Person. Sie hat ein Buch namens „Hope” geschrieben. Wir haben nun die Möglichkeit, dieses Thema unter dem Titel „Science of Hope” in einem langen Dokumentarfilm umsetzen zu dürfen. Wir haben die besondere Gelegenheit, angefacht von Jane Goodalls positiver Lebenseinstellung, positive Geschichten zu erzählen, die in einer zu oft von Doom and Glooms beherrschten Welt Hoffnung verbreiten können.

Hoffnung ist ein sehr wichtiges Gefühl in der aktuellen Zeit. Wünschen Sie sich eine gewisse gesellschaftliche Wirkung von „Science of Hope”?

Dr. Hörl: Auf alle Fälle. Wirkung ist ein wichtiger Beweggrund für uns! Ich hoffe, dass diese Sendung der negativen Stimmung, die hinsichtlich der Zukunft herrscht, entgegenwirkt. Es kommt eigentlich immer darauf an, Charaktere zu finden, die einen mitreißen und begeistern. Natürlich gibt es im Dokumentarfilm auch zuhauf Themen, die nicht so schön sind, aber trotzdem essentiell wichtig für unsere Gesellschaft und jeden einzelnen von uns. Wir haben im letzten Jahr für 3Sat eine Sendung über Regierungen in Europa gemacht, die gerade am Kippen in eine autoritäre Staatsform sind, oder schon keine Demokratien mehr sein wollen in unserem Systemverständnis. Die Darstellung dieser Entwicklung hat einen Nerv getroffen und die Zuschauer:innen haben viel darüber diskutiert. Es darf uns als guten Journalist:innen nicht darum gehen, eine bestimmte politische Wirkung zu erzielen. Wir sind die, die Aufmerksamkeit für wichtige Entwicklungen und Zustände schaffen, Dinge verständlich machen und dem Dialog zwischen unterschiedlichen Stimmen Raum geben. Eine funktionierende Demokratie sollte uns in dieser Rolle nie beschneiden.

Mehr von XPLR: MEDIA in deinem E-Mail-Postfach

Der Newsletter von XPLR: MEDIA in Bavaria zeigt dir, wie innovativ der Medienstandort Bayern ist. Join the innovators!

go to top

Bleibe mit dem XPLR: Newsletter immer auf dem Laufenden!

Newsletter abonnieren