
Foto: S. Finger
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Sie gehört zu den Großen der internationalen Medienbranche: Yoko Higuchi-Zitzmann ist Produzentin und Medienmanagerin aus München und hat mit Film-Einkäufen und Produktionen wie „La vie en Rose“, „Mein Blind Date mit dem Leben“ oder „Herzogpark“ große internationale Film- und Serienerfolge erzielt. Der Hollywood Reporter zählt sie zu den „40 Most Powerful Woman in International Film 2024“ – im Interview erzählt die Deutsch-Japanerin, was ein Film braucht, um zu überzeugen, und wie sie die Filmbranche verändern möchte.
Frau Higuchi-Zitzmann, was ist Ihr Lieblingsfilm?
Yoko Higuchi-Zitzmann: Einer meiner All-Time-Favorites ist ein italienischer Film: „Cinema Paradiso“ von Giuseppe Tornatore. Der Film handelt von einem kleinen Jungen in einem Dorf in Italien, der davon träumt, Filmvorführer zu werden, und später großer Filmemacher wird. Da geht es um Familie, da geht es um Liebe, da geht es um gebrochene Herzen. Aber es geht vor allem um die Liebe zu tollen Geschichten und zum Kino – ein wunderschöner Film. Von den aktuellen Filmen hat mir „Wicked“ sehr gut gefallen. Ich fand es schön, dass man sich die Zeit genommen hat, die Freundschaft zwischen zwei Mädchen zu erzählen: Glinda, gespielt von Ariana Grande, und der grünen Hexe, die eigentlich gar nicht böse, sondern auch ein tolles, junges Mädchen ist.
Was braucht ein Film, damit er Sie überzeugt?
Higuchi-Zitzmann: Es muss eine Geschichte sein, die auf Anhieb neugierig macht. Ich bin ein großer Fan von wahren Geschichten. Mit „Mein Blind Date mit dem Leben“ habe ich gemeinsam mit Ziegler Film, ProSieben.Sat1 und Studio Canal auch schon einmal eine solche Geschichte verfilmt. Da hatte ich zufällig ein Radiointerview mit Saliya Kahawatte gehört, der fast blind war und trotzdem eine Karriere im 5-Sterne-Hotel gemacht hat – ohne dass jemand von seiner Sehbehinderung wusste.
Und dann ist natürlich ein fantastisches Drehbuch wichtig: Es braucht den richtigen Spannungsbogen und tollen Dialoge. Ein guter Film muss auch technisch sehr gut gemacht sein. Dazu gehören eine gute Kamera, tolle Regie und Schauspieler:innen, die die Geschichte zum Leben erwecken. Das macht einen perfekten Film aus.
Sie haben ursprünglich Rechtswissenschaften in Bonn und München studiert. Wann wussten Sie, dass die Filmbranche das Richtige für Sie ist?
Higuchi-Zitzmann: Ich wollte schon immer zum Film, das wusste ich schon als Kind. Aber ich komme aus einer sehr konservativen japanischen Familie, die voller Rechtsanwält:innen, Ärzt:innen und Banker:innen steckt. Die Filmbranche war sehr weit weg davon. Aus meinem japanischen Elternhaus habe ich wichtige Werte mitgegeben bekommen – Höflichkeit, Disziplin und Fleiß gehören dazu. Was aber meine Leidenschaft zum Film betrifft, war ich eher die Außenseiterin in der Familie. Deswegen habe ich erst einmal etwas Vernünftiges studiert, nämlich Jura. (lacht) Neben dem Studium habe ich allerdings schon immer beim Film gearbeitet und mich danach bei Prokino beworben. Das war mein Einstieg in die Filmbranche.
Sie haben für Constantin Film und Telepool lange als Einkäuferin gearbeitet. Nach welchen Kriterien bewerten Sie, ob ein Film Erfolg haben kann?
Higuchi-Zitzmann: Der Riecher für erfolgreiche Filme ist zum einen schon ein bisschen Talent. Es gibt aber zwei Faktoren, auf die man als Einkäufer:in achten sollte: Der Film muss zum Zeitgeist passen und er muss eine klare Zielgruppe haben. Es gibt gute Filme, die wahnsinnig schwer im Markt einzuordnen sind, weil man nicht genau sagen kann, ob sie den Mainstream-Geschmack bedienen oder nicht, ob sie eine junge oder eher ältere Zielgruppe ansprechen. Diese Filme sind in der Vermarktung schwierig. In Amerika ist es mittlerweile so, dass die Blockbuster fast alle eine Brand sind, also entweder eine Fortsetzung oder basierend auf einem berühmten Roman, einem Comic oder Game. Es ist sehr schwierig mit Original Stories einen wirklich großen Erfolg in Amerika zu landen.
Und wie ist es in Deutschland – gibt es einen typisch deutschen Filmgeschmack?
Higuchi-Zitzmann: Hier gehen am besten Komödien. Sie haben in Deutschland eine lange Tradition und funktionieren sehr gut als Publikumsblockbuster, wenn sie gut gemacht sind. In den 80ern waren die Otto-Filme sehr erfolgreich, in den frühen 2000ern kamen die Bully-Filme wie „Schuh des Manitu“ und „Traumschiff Surprise“. Darauf folgten die romantischen Komödien, allen voran Til Schweigers „Keinohrhasen“. Und schließlich die tollen Komödien von Bora Dagtekin: „Fack ju Göhte“ war eine sichere Bank.
Gab es für Sie Momente, in denen Sie sich beim Einkauf unsicher waren?
Higuchi-Zitzmann: Die Abwägung ist immer schwierig, denn eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Man muss schon ein Stück risikobereit sein. Es gibt immer wieder sowohl in Deutschland als auch in Hollywood Beispiele, bei denen etwa ein berühmtes Buch verfilmt wird und niemand schaut sich den Film an. Und dann gibt es wiederum Überraschungserfolge, die keiner auf der Rechnung hatte. Das ist die Magie des Films.
„Die Branche steckt immer wieder in einer starken Veränderung – jetzt im Moment wieder. Ich denke aber, es wird wieder aufwärtsgehen. So ist das immer: Gute Zeiten kommen in Wellen, es geht nie nur steil nach oben. Aber der Hunger und die Lust auf Film, Kino, Fernsehen, Streaming, der wird sich nicht ändern.“
In den vergangenen Jahren rüttelten Negativschlagzeilen über lange Streiks aus Hollywood am Image der Filmindustrie. Steckt die Branche in einer internationalen Krise?
Higuchi-Zitzmann: Die Branche steckt immer wieder in einer starken Veränderung – jetzt im Moment wieder. Die Einschränkungen durch die Coronapandemie und die US-Streiks waren für die gesamte Branche extrem schwierig. Auch der Eintritt der Streamingplattformen hatte einen großen Einfluss – das ist ja eine echte Revolution, die Netflix und Co. da ausgelöst haben. Ich denke aber, es wird wieder aufwärtsgehen. So ist das immer: Gute Zeiten kommen in Wellen, es geht nie nur steil nach oben. Aber der Hunger und die Lust auf Film, Kino, Fernsehen, Streaming, der wird sich nicht ändern. Man muss sich einfach den neuen Vertriebskanälen und den neuen Bedürfnissen der Zuschauer:innen anpassen und weiter gute Geschichten erzählen – dann wird die Branche jede Krise meistern.
Wie reagieren Unternehmen auf diese Herausforderungen? Welche Finanzierungs- und Geschäftsmodelle könnten eine nachhaltige Lösung sein?
Higuchi-Zitzmann: Zum einen werden Partnerschaften immer wichtiger. Zum anderen müssen wir uns den Sehgewohnheiten der neuen TikTok-Generation anpassen. Es reicht einfach nicht aus, nur alte Formate zu bedienen, die vielleicht früher im Kino oder im analogen Fernsehen funktioniert haben. Die junge Generation konsumiert Geschichten hauptsächlich über Streaming und kürzere Formate, zum Beispiel eben auf TikTok. Der Schlüssel, die junge Generation zu erreichen, ist, ihr zuzuhören: Was findet sie spannend, welche Geschichten interessieren sie? Ich erfahre wahnsinnig viel von unserem 16-jährigen Sohn. Ich lerne durch ihn neue Formate kennen, neue YouTube- und TikTok-Stars, neue Sportarten, die er konsumiert. Veränderung an sich ist grundsätzlich immer gut, ich habe sie immer umarmt und bin deswegen, glaube ich, noch dabei in der Branche. Es gibt eine Fülle von interessanten Formaten, Shows und Geschichten, mit denen man junge Menschen begeistern kann – dazu gehören auch Revivals von klassischen Brands. „Wicked“ ist ein gutes Beispiel in den USA dafür, wie man „Wizard of Oz“ wieder erfolgreich für junge Zuschauer:innen zum Leben erweckt hat.
Seit rund 15 Jahren arbeiten Sie auch als sehr erfolgreiche Filmproduzentin. Was hat Sie dazu bewegt, den Schritt ins Filmemachen zu gehen?
Higuchi-Zitzmann: Nachdem ich bei der Constantin Film viele Jahre den Filmeinkauf und -verkauf geleitet habe, wollte ich selbst Filme machen. Ich habe begonnen, Kinofilme und Serien zu produzieren und so die Drehbuchentwicklung,
das Arbeiten mit Autor:innen und mit Regisseur:innen, das Auswählen der Schauspieler:innen und die Filmfinanzierung so richtig gelernt. Dadurch, dass ich sowohl Vertriebs- als auch Produktionserfahrung habe, also wirklich hands on, bin ich gewappnet für diese Branche. Heute kann ich jungen Leuten aus Vertrieb oder Produktion helfen, die auf mich zukommen.
Wie wichtig ist der Standort München für Sie als Filmproduzentin?
Higuchi-Zitzmann: Ich finde den Standort München und überhaupt Bayern wirklich einzigartig. Wir haben eine hohe Konzentration von führenden Produktionsfirmen und Verleihfirmen am Standort, aber auch amerikanische Studios wie zum Beispiel Amazon oder Disney. Mit dem FFF Bayern gibt es außerdem eine starke Filmförderung vor Ort. Nicht zu vergessen die erfolgreichen Fernsehsender und Streamer wie den Bayerischen Rundfunk, ProSieben.Sat.1 und Joyn. Und natürlich die Kreativen: In Bayern leben und arbeiten viele tolle Autor:innen, Schauspieler:innen, Regisseur:innen.
„Ich sehe in jedem Roman, in jedem Format, in jedem Star, in jedem Gespräch eine neue Serie, einen neuen Kinofilm, eine neue Show. Und ich denke, dass Menschen, die kreativ sind und tolle Ideen haben, auch in Zukunft sehr gebraucht werden.“
Ihre Filme wurden mit bedeutenden Filmpreisen ausgezeichnet, so bekam „La Vie En Rose“ etwa einen Oscar. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
Higuchi-Zitzmann: Eine solche Auszeichnung ist ein zusätzliches i-Tüpfelchen, aber für mich war der Publikumserfolg immer das Wichtigste. Ich habe immer Projekte eingekauft, produziert, verkauft und dabei die Zuschauer:innen in den Mittelpunkt gestellt, nie daran gedacht, ob ein bestimmter Film für die Oscars, den Bambi oder für den Bayerischen Fernsehpreis relevant wäre. Aber natürlich freut man sich, wenn Preise hinterherkommen, weil es einem zeigt, dass man qualitativ gute Arbeit abgeliefert hat.
Die Filmproduktion ist noch immer eine sehr männerdominierte Branche. Inwiefern mussten Sie als Frau in Ihrer Karriere besonders starkes Durchsetzungsvermögen zeigen?
Higuchi-Zitzmann: Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, dass ich mich als Frau besonders durchsetzen muss, sondern versucht, meinen Weg und mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei hat mir meine Erziehung sehr geholfen. Ich glaube, Werte wie Fleiß, Disziplin und Höflichkeit sind Eigenschaften, die nicht aus der Mode kommen. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Frauen zusammen, aber auch sehr gerne mit Männern. Und ich fördere Frauen und Männer. Aber es müssen gute Frauen und gute Männer sein! (lacht)
Laut The Hollywood Reporter gehören Sie zu den „40 Most Powerful Woman in International Film 2024“ und sind „BGA Woman of the Year 2024“. Welche Ihrer Charaktereigenschaften – neben Fleiß, Höflichkeit und Disziplin – haben Ihnen noch dabei geholfen, zu einer der einflussreichsten Frauen in der Filmindustrie zu werden?
Higuchi-Zitzmann: Dazu zählt meine Kreativität. Ich sehe in jedem Roman, in jedem Format, in jedem Star, in jedem Gespräch eine neue Serie, einen neuen Kinofilm, eine neue Show. Und ich denke, dass Menschen, die kreativ sind und tolle Ideen haben, auch in Zukunft sehr gebraucht werden. Künstliche Intelligenz wird im Kreativprozess und in der Administration eine große Rolle spielen, aber sie kann letztendlich auch nur reproduzieren, was wir erfinden. Die Idee und der Urknall müssen immer noch von uns kreativen Menschen kommen.
Welchen Fußabdruck möchten Sie in der Branche hinterlassen?
Higuchi-Zitzmann: Ich habe zwei persönliche Wünsche: Zum einen möchte ich gerne weiter gute Geschichten erzählen. Und zum anderen möchte ich ein Vorbild für junge Frauen sein und sie dazu motivieren, ihre Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.
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