Gegen Hass und Fake News die Stimme erheben – DLD 2020

Von Katrin Baumer

© Dominik Gigler for DLD / Hubert Burda Media

Wir stehen vor großen Herausforderungen, keine Frage. Klimawandel, Tech Superpower, Datennutzung und -hoheit, dazu Europa in der Krise. Themen, die schon in den letzten Jahren die DLD Conference in München prägten, sind 2020 mit einer klaren Ansage verbunden: What are you adding? Dass sich die Frage nach dem Beitrag eines jeden einzelnen mehr denn je auch an die Medienwelt richtet, zeigt der Blick auf Social Media.

„Wir sollten nicht länger lamentieren, wir sollten handeln!“, so Steffi Czernys Appell an die rund 1.500 Teilnehmer*innen der DLD 2020. Eine, die das ohne Furcht macht, ist Maria Ressa. Die philippinische Journalistin und CEO der Online-Nachrichten-Website  Rappler kämpft für Pressefreiheit, berichtet regierungskritisch über den „Drogenkrieg“ von Präsident Rodrigo Duterte und wurde deshalb bereits mehrfach festgenommen. In den sozialen Medien wird sie massiv angefeindet, kämpft mit Hass und Drohungen.

Auf den Philippinen sei Facebook für viele ein Synonym für das Internet. Und dieses Internet sei durchdrungen von Lügen. Staatlich gelenkte Fake News oder Hasskampagnen, so Ressa, seien jedoch nicht nur ein philippinisches Problem, sondern ein globales. Man müsse nur auf die USA schauen, oder auf den Brexit. „Unsere dystopische Gegenwart ist eure dystopische Zukunft, wenn ihr nichts dagegen tut“, warnt sie und ist überzeugt: Wenn eine Lüge eine Million Mal erzählt wird, wird sie zum Fakt. Und wenn die Leute glauben, was ihnen erzählt wird, lassen sie sich kontrollieren. Eine Demokratie, in der es keine Fakten gebe, keine Wahrheit und kein Vertrauen, sei zum Tode verurteilt.

Die Wahrheit ans Licht bringen

Ressa untersucht, welche Eigendynamik Fake News und Hate Speech entwickeln können und wie viel schneller als andere Nachrichten sie sich verbreiten. Sie und ihre Kollegen begannen, Daten zu sammeln, um zu visualisieren, wo Desinformation viral geht. So konnten sie deutlich machen, wie organisiert und systematisch Hass-Netzwerke auf den Philippinen vorgehen.

Die Schlagkraft und Geschwindigkeit von Fake News bestätigte Sinan Aral, Professor am MIT. Fake News, so der Experte, lösen meist Ärger oder Überraschung aus, was deutlich mehr zum Weiterverbreiten verführt als andere Nachrichten. Teils seien Fake News zudem schwer zu enttarnen. Für diese Erkenntnisse wertete Aral eine große Menge an Twitter-Beiträgen aus.

Doch wie lassen sich solche Entwicklungen aufhalten? Ressas Appell: Nicht schweigen. Die Aufgabe von Journalist*innen sei es, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Das könne im direkten Umfeld starten und sich von dort aus weiterverbreiten: „Beginnt mit eurem eigenen Umfeld, berichtet Freunden und Familie davon. Auf das, was direkt vor uns ist, können wir Einfluss nehmen.“

Für Aral ist vor allem der fehlende Wettbewerb Ursache für den Aufstieg von Fake News: Ohne Wettbewerb werde nur auf den Profit geschaut. Erst, wenn es ernsthafte Konkurrenz für das eigene Angebot gebe, müssten Unternehmen wieder auf das Wohlbefinden und die Bedürfnisse der Nutzer achten.

Jimmy Wales © Picture Alliance for DLD / Hubert Burda Media

Das News-Business in Gefahr

Den Wettbewerb belebt künftig vielleicht das neue werbefreie Online-Netzwerk von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. WT Social ist aus einer von Wales initiierten Online-Zeitung gegen Fake News hervorgegangen, wurde im Oktober gelauncht und hat inzwischen fast eine halbe Million Nutzer*innen. Sie können Artikel teilen, Beiträge verfassen, unter Posts kommentieren, diese aber auch bearbeiten, wenn falsche Informationen enthalten sind. Clickbait-Inhalte, sagt Wales, haben dort nichts verloren: Denn, auch wenn man es eigentlich nicht will – es gehört zum Menschsein dazu, auf solche Inhalte zu klicken. Der Algorithmus tut dann das seine und spielt nur noch begrenzte Inhalte aus. Das News-Business, so Wales, sei dadurch gefährdet.

Mit WT Social möchte er eine neue Plattform für Faktenjournalismus schaffen. Das Prinzip sei wie auch bei Wikipedia: keine Paywall – „It’s social!“ – und keine Werbung. Das Netzwerk soll sich aus Spenden finanzieren.

Das Argument, „social“ zu sein, frei zugänglich für alle, beansprucht auch Nick Clegg, Politikchef von Facebook, für sein Unternehmen.  So rechtfertigt er im Gespräch mit Tanit Koch Facebooks Umgang mit Nutzerdaten, aber auch mit politischen Werbeanzeigen. Facebook werde politische Werbung nicht verbieten – doch werde das Unternehmen manipulierte Nachrichten im Gegensatz zu den US-Wahlen 2016 weitmöglichst verhindern: „Im Gegensatz zu Google oder Twitter investiert Facebook in das weltgrößte System für Transparenz.“ Regulierungen für politische Werbeanzeigen zu finden sei allerdings nicht Aufgabe des Unternehmens sondern der Regierung.

Mehr Transparenz und klare Regeln

Für Transparenz sorge Facebook mit einer Datenbank, in der Informationen zu politischen Statements öffentlich zugänglich gemacht werden. „Ich glaube fest daran, dass Facebook Billionen von Menschen das Recht gibt, sich selbst auszudrücken“, so Clegg. Durch die Finanzierung über Werbung müsse niemand dafür bezahlen, Zugang zu erhalten. Doch, so merkte Werner Vogels, CTO von Amazon, kritisch an: Viele Nutzer*innen begreifen nicht, dass sie Facebook mit ihren Daten bezahlen. Ihnen sei nicht bewusst, was der Konzern alles über sie weiß. Tatsächlich müsse Facebook in dieser Hinsicht noch mehr tun, räumte Clegg ein: „Wir müssen transparenter machen, was unter der Oberfläche passiert und Einstellungsänderungen für die Privatsphäre simpler gestalten.“

Auf der DLD dominiert seit Jahren Kritik an US Tech-Giganten wie Google oder Facebook, verbunden mit der Frage, wie viel Regulierung von Seiten der Regierung stattfinden muss. Ein Thema, das auch Peter Sunde umtreibt, den Gründer der Filesharing Plattform Pirate Bay: „Wir Techies waren sehr naiv und dachten, das Internet sei ein demokratischer Ort“, stellt Sunde rückblickend fest. Für die Zukunft der digitalen Gesellschaft sei es wichtig zu entscheiden, bei wem die Kontrolle über Inhalte und Daten liegt: „Wenn man nicht selbst kontrolliert, hat die Kontrolle jemand anderes.“ Wer das sein wird – ob Tech-Unternehmen, Regierungen oder digitale Netzwerke – sei noch unklar. Die Auswirkungen jedoch werden massiv sein. Wer die Kontrolle hat, so Sunde, legt fest, was Wahrheit ist.

Justin Smith, Conrad Albert und Olaf Acker © Picture Alliance for DLD / Hubert Burda Media

Der wahre Herausforderer sind die Sozialen Medien

Wie wichtig Social Media-Plattformen für die Distribution von Inhalten und das Erreichen der Zielgruppe sind, betonte ProSiebenSat.1-Vizechef Conrad Albert. Sie seien der wahre Herausforderer, nicht Netflix oder Disney+. Denn mit ihren Inhalten müssen Anbieter da sein, wo die Nutzer*innen sind. Ein Geschäftsmodell ohne Social Media ist deshalb für ProSiebenSat.1 nicht denkbar. Erstmals, kündigt Albert auf der DLD 2020 an, werde in diesem Jahr zum erfolgreichen Format Germanys next Topmodel neben Facebook und Instagram auch Content für TikTok produziert.

Dass der Kampf um die Herrschaft im Streaming-Markt noch lange nicht ausgefochten ist, zeigte Ulrike Hoffmann-Burchardi von der Tudor Investment Corporation. So verbuchen Disney+ und Apple seit ihrem US-Launch steigende Abonnentenzahlen. Und auch die ProSiebenSat.1 Plattform Joyn überzeugt laut Albert mit über 7 Millionen Nutzer*innen im Monat. Von einer Übersättigung im Markt kann also keine Rede sein. Vielmehr gilt es, als Wettbewerber überzeugende inhaltliche Angebote zu erstellen. Das glaubt auch Albert: Wichtig für erfolgreiche neue Businessmodelle sei vor allem, sich nicht darauf zu fokussieren, was die Konkurrenz macht, sondern eigene Wege zu gehen.

@ Daniel Grund for DLD / Hubert Burda Media

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