Gerhard Zall und Recruiting in den Medien: „Vorstellungsgespräche sind überholt”

Von Nina Brandtner

Gerhard Zall weiß, warum klassische Vorstellungsgespräche nicht mehr das A und O sind, um neue Talente für sich zu gewinnen. Foto: Gerhard Zall

Seit Anfang 2022 ist Gerhard Zall Teamlead People & Culture bei der Vogel Communications Group in Würzburg und hat die Abteilung ganz neu aufgestellt. Im Interview verrät er, wie man mit modernem Recruiting und klugem Employer Branding dem Fachkräftemangel in der Medienbranche entgegenwirken kann.

Gerhard, du bist seit etwas über einem Jahr Teamlead People & Culture bei der Vogel Communications Group in Würzburg und machst dort zum ersten Mal Personalarbeit in der Medienbranche. Wie läuft’s?

Gerhard Zall: Ich mag die Art, wie Personalarbeit in der Medienlandschaft funktionieren muss. Man hat den Anspruch an Medien, dass sie immer aktuell sind, an Morgen denken. Die gleiche Erwartung habe ich an den Personalbereich. Ich will mich nicht mit dem auseinandersetzen, was heute alle machen, sondern mit dem, was morgen niemand macht. Ich mag diesen innovativen Gedanken, den man bei Vogel gut einbringen kann und ich glaube, dass wir mit unserer Personalarbeit sehr fortschrittlich sind. Wenn ich coole, interaktive Leute gewinnen will, muss ich es auch sein. Ich kann ja nicht zugeknöpft im Vorstellungsgespräch sitzen. Schon alleine das Wort „Vorstellungsgespräch” klingt so kompliziert wie unpassend!

„Vorstellungsgespräch ade!” – so heißt auch dein Vortrag beim HR Roundtable von Start Into Media, dem MedienNetzwerk Bayern und XPLR: MEDIA in Bavaria. Was hat es damit auf sich?

Wir führen bei Vogel keine Vorstellungsgespräche mehr.

Sondern?

Zall: Coffee-Talks. In diesen Gesprächen treffen sich Führungskräfte aus den Abteilungen und Interessenten und unterhalten sich darüber: Wir wollen wissen: Wer bist du? Wie tickst du? Wie ist es, mit dir zu arbeiten? Was sind deine Werte und wo willst du hin? Aber dazu gehört auch, dass wir sagen: Wer ist Vogel? Wie denken wir bei Vogel? Kurzum, es geht darum, eine Beziehung aufzubauen und sich zu fragen: Kann ich mit dieser Person 40 Stunden in der Woche verbringen? Erst wenn es matcht, macht es Sinn, den Personaler oder die Personalerin mitreinzunehmen. Wir wollen den Leuten die Hürde nehmen, sich mit langwierigen Prozessen mit der Personalabteilung auseinandersetzen zu müssen.

Dann kommt auf die Fachabteilungen mehr Arbeit zu.

Zall: Ja. Aber wenn wir erfolgreich sein wollen, ist das der richtige Weg. Niemand will mit den Personaler:innen reden. Das akzeptiert aber nicht jede Personalabteilung, man klammert sich so ein bisschen an die Macht der Vorsortierung. Ich habe kein Recht vorzusortieren, weil mir das Gefühl fehlt, was für eine Persönlichkeit das Team in der IT braucht. Nur die IT weiß genau, was sie braucht. Das haben wir akzeptiert und ins Haus kommuniziert.

Macht Ihr euch keine Sorgen, dass euch so die Mitarbeitenden ausgehen?

Zall: Dadurch, dass wir keine Vorstellungsgespräche mehr machen, reden wir mit Gott und der Welt über Positionen, die für sie wahrscheinlich gar nicht in Frage kommen. Es geht darum, ein Netzwerk aufzubauen, und zwar in den Fachabteilungen selbst. Ich packe gerne mit an und unterstütze, aber die Vorarbeit, ein Netzwerk aufzubauen, funktioniert nur so. IT-Kräfte sind ja nicht in einem Personalnetzwerk, sie sind in einem IT-Netzwerk.

„Die Zukunft eines Unternehmens fängt bei der Kommunikation an. Genau deshalb muss HR viel stärker in die Kommunikation mit allen bestehenden und künftigen Mitarbeitenden gehen!”

 

Wie sprecht ihr Leute an, wenn es keine Stellenausschreibungen mehr gibt?

Zall: Heute schalten wir noch Inserate, wollen das aber im Mai auflösen. Es gibt dann ein sehr knappes Persona-Inserat: „Du hast schon mindestens zwei Jahre im Marketing gearbeitet und liebst xy? Melde dich!” Über den WhatsApp-Button kann man sich melden, oder direkt auf die Kalender der Führungskräfte zugreifen und sich eintragen. Das habe ich noch nie in Deutschland erlebt: Dass sich der Bewerbende seinen Termin selbst gibt. Wir führen mit allen ein Gespräch.

Da kommt natürlich das Stöhnen aus der Abteilung: Ich kann doch nicht mit 100 Leuten ein Gespräch führen! Da sage ich: Es gibt gar nicht mehr die 100 Bewerbenden auf eine Stelle, diese Zeiten sind vorbei! Und jede:r gibt selbst seine Slots frei, es wird also niemandem mehr Zeit genommen, als gewünscht.

Wie ist die erste Resonanz?

Zall: Es sind alle super offen dafür und machen auch schon Druck, was die Einführung angeht. Alle finden toll, dass die Anzeige verschwindet. Das Konzept funktioniert allerdings nicht für jede Stelle. Bei manchen Positionen müssen klare Beschreibungen her, zum Beispiel, wenn es um IT-Kenntnisse geht. Aber Marketing, Personal, Customer Success, Sales, da ist es super einfach. Ob jetzt jemand schon mal Campaign Management gemacht hat oder nicht – der steht total auf Vogel? Dann muss ich ihn mir holen! Wir suchen selten Hard Skills, die wir nicht schon im Unternehmen haben. Wenn ich heute ein Jahr lang suchen muss, bringe ich den Skill jemandem in dieser Zeit auch einfach bei.

Wir machen heute immer noch den Fehler und sprechen Leute über LinkedIn an: „Hey, hast du Lust, wir bei Vogel suchen? Ja? Dann schick uns mal deine Unterlagen.” Die haben überhaupt keinen Bock etwas zu schicken! Wir haben sie angequatscht, und jetzt wollen wir auch noch Arbeit von ihnen.

Wenn ein Teil der Recruiting-Arbeit auf die Fachabteilungen übergeht, wo liegen dann die Hauptaufgaben eines modernen People & Culture Teams?

Zall: Die Kernarbeit ist Employer Branding und Vernetzung, intern sowie extern. Personalabteilungen sollten nicht als Verwalter von Akten, sondern als Partner gesehen werden. Unser Auftrag bei Vogel sind die Menschen und die Kultur des Unternehmens. Wir verwalten keine Arbeitnehmer:innen und sehen Personen nicht als Ressourcen, sondern fragen uns: Was können wir tun für die Belegschaft, damit sich jede:r abgeholt fühlt und sich in seinen Bedürfnissen wiederfindet?

Wir schaffen heute Anlässe, ins Haus zu kommen. Intern haben wir kleine Events platziert, zum Beispiel eine Waffelaktion zum Nikolaus. Da waren 120 Leute mal wieder im Haus, die sich schon seit langer Zeit nicht mehr begegnet sind, das wurde super angenommen. Wir haben die Nähe zu den Mitarbeitenden gesucht und gefunden.

Bei all dem muss man bedenken: Wir sind ein Kommunikationsunternehmen. Und die Zukunft eines Unternehmens fängt bei der Kommunikation an. Genau deshalb muss HR viel stärker in die Kommunikation mit allen bestehenden und künftigen Mitarbeitenden gehen!

Warum ist es für Medienunternehmen so wichtig, Zeit und Ressourcen in eine gut aufgestellte People & Culture Abteilung zu stecken?

Zall: Langfristig ist das der einzige Bereich, der den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg macht. Ob ich am Ende für RTL arbeite oder für den Bayerischen Rundfunk – das ist beides Fernsehen. Wenn sie sich gehaltlich auch noch ähneln, wie schaffe ich es dann noch, Mitarbeitende an Bord zu ziehen? Es ist die Kultur im Unternehmen, die den Unterschied macht. Deshalb muss die Personalabteilung dort platziert sein, wo sie hingehört: Direkt in der Chefetage.

Wo ist sie denn bei Vogel?

Zall: Wir sind bei der Chefetage angesiedelt. Und dazwischen gibt es nichts und es kann auch meiner Meinung nach nichts dazwischen geben. Aber das ist ein Prozess gewesen, das war nicht immer so.

Ist das entsprechende Mindset bei Manager:innen in der Medienbranche schon angekommen?

Zall: Diese Positionierung ist aktuell das große Problem bei vielen. Man traut HR nicht viel zu, deswegen entwickelt sie sich auch nicht. Es ist ganz klar: der Sündenbock des Personalmangels wird am Ende die Personalabteilung sein. Denn Budget ist da, die Stelle ist frei und HR besetzt nicht. Ich sehe die Hauptarbeit deshalb in der HR-Transformation in den nächsten Jahren: Hin zur kulturtreibenden und Menschen-gewinnenden bzw. Menschen-bewahrenden Abteilung.

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