kalekone Film: „Wir wollen junge, laute, radikale Filme machen”

Von Florentina Czerny
8
Newcomer

Sie wollen mit ihrer Produktionsfirma kalekone Film Produktionen machen, die provozieren und zum Nachdenken anregen: Katharina Kolleczek (links) und Lea Neu. / Foto: kalekone Film

Zwei junge Frauen, die das Filmbusiness verändern möchten: Lea Neu und Katharina Kolleczek haben zusammen an der HFF studiert und 2019 ihre Produktionsfirma kalekone Film gegründet. Ihre Vision: die künstlerische Freiheit von Kreativen unterstützen und eine Arbeitsweise etablieren, die Ego-befreit, gleichberechtigt und familienfreundlich ist. Mit welcher Strategie die Münchnerinnen das schaffen wollen, verraten sie im Interview.

Wenn ihr eine einzige Filmempfehlung geben müsstet – welche wäre das?

Katharina Kolleczek: Ein Film, der mich total umgehauen hat, war „Everything Everywhere All At Once”. In dem Film wird ein klassisches Familiendrama auf eine ganz neue Weise erzählt. Das Publikum mitzudenken, das diese Story eigentlich schon so oft gesehen hat, und es diese nochmal ganz anders erleben lassen – das fand ich einfach grandios. Das nehmen wir uns auch für unsere Filme vor: Wir haben Lust, eine Romcom oder einen Krimi zu machen, aber eben neu verpackt.

Lea Neu: Meine Empfehlung lautet „The Worst Person in The World”. Der Film porträtiert eine junge Frau sehr nah, man kann sie in ihrer Zerrissenheit und ihren Sorgen so gut nachempfinden. Gleichzeitig nutzt der Film seine gestalterischen Möglichkeiten sehr gut – mit toll gemachten Animationen und poppiger Musik. Beide Filme sind mutig und haben sich etwas getraut – das prägt auch unsere Arbeit.

Alle auf einer Wellenlänge: Mutige Kreativschaffende und Finanzierungspartner

 

Ihr seid ein Produktionsunternehmen, das „junge, diverse, dynamische” Filme und Serien machen möchte. Warum ist euch das so wichtig?

Lea: Das ist uns wichtig, weil wir uns als Zuschauer:innen solche Filme wünschen. Wir gehen an unsere Projekte immer mit dem Gedanken heran: Was würden wir gerne sehen? Jung, dynamisch, laut, spitz, radikal – darauf haben wir Lust als Zuschauer:innen, aber auch als Filmemacher:innen.

Katharina: Wir wollen vor allem, dass das Publikum mit unseren Filmen eine gute Zeit hat und auf eine filmische Reise mitgenommen wird. In zweiter Instanz geht es uns aber auch darum, zu provozieren, zum Nachdenken anzuregen und eine neue Perspektive zu zeigen. Wir möchten unterhalten, aber gleichzeitig auch etwas in den Leuten bewegen.

Mit wem arbeitet ihr zusammen, um Inhalte zu produzieren, die diesen Vorstellungen entsprechen?

Lea: Wir arbeiten mit Kreativschaffenden zusammen, die etwas zu erzählen haben, die selbst mutig sind und die eine Perspektive in die Filme bringen, die wir selbst nicht haben. Wenn es um die Finanzierung geht, sind wir immer auf der Suche nach Partnern, die Lust haben, den Kreativschaffenden etwas zuzutrauen, die ihnen ermöglichen, mutig und provokant zu sein und etwas Neues auszuprobieren.

Wir möchten fair und transparent arbeiten. Außerdem möchten wir Kreativschaffenden viele künstlerische Freiheiten bieten. Darin liegt unsere Stärke: Wir können sehr gut mit unterschiedlichen Regisseur:innen und Autor:innen zusammenarbeiten.

Katharina Kolleczek

Auf welche eurer vergangenen Projekte seid ihr besonders stolz?

Katharina: Sehr wegweisend war für uns der Film „Dead Girls Dancing”. Darin geht es um eine Gruppe von Freundinnen, die in Italien auf einem Roadtrip unterwegs sind und dabei beschließen, eine mysteriöse Backpackerin mitzunehmen. Die Produktion ist für uns genau so gelaufen, wie wir uns unsere Arbeit in Zukunft wünschen würden: Der BR und die Bayerische Filmförderung waren als starke Partner dabei, gleichzeitig konnten wir den Pariser Weltvertrieb Totem Films und später auch Mubi dazuholen. So wie unsere drei Protagonistinnen auf eine Reise gegangen sind, ist auch unser Film auf Reisen gegangen: Wir konnten eine geteilte Weltpremiere auf dem Filmfest München und dem Tribeca Film Festival in New York feiern. Hier etwas umzusetzen, das international gesehen wird – das ist genau das, was wir machen wollen.

Lea: Für uns war „Dead Girls Dancing” ein großer Startschuss für die Zukunft. Eine besondere Ehre für uns war, dass wir dafür den VGF-Nachwuchsproduzent:innen-Preis bekommen haben, der uns im vergangenen Jahr auf der Berlinale überreicht wurde. Das hat uns viel bedeutet und ermöglicht es uns, mehr solcher Projekte umzusetzen.

Gleichberechtigung, Kreativität und Transparenz prägen die Arbeitsweise der kalekone Film

 

Ihr möchtet nicht nur mit euren Produktionen ein Statement setzen, sondern auch mit eurer Unternehmensstruktur. Welche grundlegenden Arbeitsbedingungen sind euch wichtig?

Katharina: Wir möchten fair und transparent arbeiten. Außerdem möchten wir Kreativschaffenden viele künstlerische Freiheiten bieten. Darin liegt unsere Stärke: Wir können sehr gut mit unterschiedlichen Regisseur:innen und Autor:innen zusammenarbeiten. Und wir sehen uns als Team, das gemeinsam entscheidet, auf welche Finanzierungspartner man zugeht und ob ein Stoff überarbeitet werden muss oder ob er fertig entwickelt ist.

Lea: Viele Firmen sind gerade in einem Prozess und verstehen, dass sie sich anders aufstellen müssen, um gute Leute zu halten – zum Glück. Als wir angefangen haben, in der Filmbranche zu arbeiten, wäre es unmöglich gewesen, einen privaten Termin in eine Drehphase zu legen. Man war dann ein oder zwei Monate komplett aus dem Leben raus. Es wurde wenig Rücksicht auf einzelne genommen. Ein Beispiel: Wenn man einen Monat lang dreht, hat jede Frau einmal ihre Periode – dann nur die Möglichkeit eines Dixi-Klos am Set zu haben, erschwert einem die Arbeit. Alles in allem ist das nicht sehr familienfreundlich oder leicht mit dem Privatleben zu vereinbaren. Da versuchen wir flexibler zu werden, den Menschen als Ganzes zu sehen und zu wissen, dass man auch eine persönliche Entwicklung durchmacht. Wir achten auch sehr darauf, Ego-befreit zu arbeiten. Dieses „Genietum”, das eine unfaire und respektlose Arbeitsweise erlaubt, ist für uns einfach aus der Zeit gefallen.

Szenenbild aus „Dead Girls Dancing". Die kalekone-Produktion kann ab dem 25 Mai 2025 in der ARD-Mediathek gestreamt werden. / kalekone Film

Behind the Scenes: Die Filmcrew beim Dreh. / Foto: Camouflage

Wie nehmt ihr die Chancengleichheit für Frauen in der Branche wahr?

Katharina: Als ich beim Film angefangen habe, ist mir schnell aufgefallen, dass auf den Entscheidungspositionen meistens Männer sitzen. Ich glaube, dass das aufgelockert gehört, dass man diverse Perspektiven an einem Set braucht, um am Ende ein gutes Ergebnis zu bekommen. Film ist die kollaborativste Kunstform, an einem Projekt arbeiten so viele Menschen. Es geht darum, das, was jeder mitbringt, wertzuschätzen und für das Projekt zu nutzen.

Lea: Zum Thema Gleichberechtigung nehme ich schon ein gewisses Umdenken wahr, etwas brodelt und bewegt sich. Und gleichzeitig sagen die Fakten, dass Männer und Frauen in der Branche noch nicht gleichberechtigt sind. Es gibt Studien zum Produktionsvolumen von weiblich geführten Produktionsfirmen, die zeigen, dass dieses bei weitem kleiner ist als das von männlich geführten. Und auch die Budgets, die verwaltet werden, sind viel kleiner.

Viele Partner an einem Filmprojekt bedeuten auch viele Meinungen

 

Ihr legt bei euren Produktionen auch besonderen Wert auf künstlerische Freiheit. Warum ist euch das wichtig?

Lea: Wir haben in Deutschland ein Finanzierungssystem, das dazu führt, dass viele Partner an einem Projekt beteiligt sind. Man ist schon früh auf der Suche nach Partnern wie Sendern, Verleihern und Weltvertrieben und unser Job ist es dann, die unterschiedlichen Interessen und Anforderungen zu koordinieren. Dadurch gibt es viele Meinungen und die kreative Vision wird oft verwässert. Das ist Fluch und Segen: Zum einen haben wir hierzulande diese Möglichkeit der Finanzierung, sie bremst die künstlerische Freiheit aber manchmal auch aus. Wir versuchen die Vision der Kreativen zu unterstützen. Dafür braucht man Geldgeber, die uns ihr Vertrauen schenken. Und das ist unsere Aufgabe: Kompliz:innen zu finden, die etwas in der Branche bewegen wollen und mit uns auf einer Wellenlänge sind.

Die Branche in Bayern ist kollegial, die Wege sind kurz und der Austausch ist unkompliziert – das hilft uns sehr. Ein großes Glück für uns ist auch die Bayerische Filmförderung, das ist einfach nicht vergleichbar mit anderen Bundesländern.

Lea Neu

Wie sehr hilft euch euer Netzwerk am Medienstandort Bayern, eure Herzensprojekte zu verwirklichen?

Lea: Durch unser Studium an der HFF hier in München haben wir ein großes Netzwerk, auf das wir zurückgreifen können. Mittlerweile haben wir gute Kontakte zum BR, zum Filmfest München und zu anderen Produktionsfirmen. Die Branche in Bayern ist kollegial, die Wege sind kurz und der Austausch ist unkompliziert – das hilft uns sehr. Ein großes Glück für uns ist auch die Bayerische Filmförderung, das ist einfach nicht vergleichbar mit anderen Bundesländern.

Woran arbeitet ihr gerade? Worauf dürfen wir uns demnächst freuen?

Katharina: Unseren Film „Dead Girls Dancing” kann man ab dem 25. Mai in der ARD Mediathek sehen. Dieses Jahr gehen wir die ersten Schritte für ein neues Serienprojekt. Aktuell stecken wir außerdem in der Entwicklung und Vorbereitung mehrerer Filmprojekte – 2026 wollen wir dann mit den Dreharbeiten für zwei Kinofilme loslegen.

Lea: Gerade haben wir zum Beispiel die Dreharbeiten zu einem deutsch-ukrainischen Spielfilm abgeschlossen, den wir in München und Vilnius mit einer Crew aus deutschen, ukrainischen und litauischen Filmschaffenden gedreht haben. Darin geht es um einen jungen Ukrainer, der sich ein neues Leben in Deutschland aufgebaut hat und mit Beginn des Angriffskrieges seine Familie in seinem Schwabinger WG-Zimmer aufnimmt. Es geht vor allem um die Identitätssuche in unserer aktuell politisch zerbrechlichen Welt. Als nächstes steht der Schnitt an – und wir freuen uns sehr zu beobachten, wohin uns der Weg in diesem Projekt noch führt.

 

Mehr von XPLR: MEDIA in deinem E-Mail-Postfach

Der Newsletter von XPLR: MEDIA in Bavaria zeigt dir, wie innovativ der Medienstandort Bayern ist. Join the innovators!

go to top

Bleibe mit dem XPLR: Newsletter immer auf dem Laufenden!

Newsletter abonnieren