
Foto: Jacques Alomo / creamAI
Foto: Jacques Alomo / creamAI
Wie sehr bestimmt künstliche Intelligenz aktuell unser Leben – und wie wird das in Zukunft aussehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Münchner KI-Experte Jacques Alomo seit mehreren Jahren. Unter dem Motto „AI in Documentaries: Exploring New Frontiers“ – hält er am 2. Juli auf dem Filmfest München einen Impulsvortrag, organisiert von XPLR zusammen mit dem Blauen Panther, TV & Streaming-Award. Worüber er sprechen wird und wo Mensch und Technologie an ihre Grenzen kommen, verrät er im Interview.
Jacques, was fasziniert dich so an einer vermeintlich „denkenden“ Maschine?
Jacques Alomo: Im ersten Schritt denkt die Maschine ja noch nicht. Es ist erstmal nur Wahrscheinlichkeitsrechnung und das auf einer sehr einfachen Ebene. Aber es ist schon faszinierend: OpenAI hat in der Vergangenheit gezeigt, dass mehr Datenperformance zu besseren Fähigkeiten führt – und vor allem auch zu Fähigkeiten, die es vorher überhaupt noch nicht gab. Am Ende darf man aber nicht vergessen: Auch eine KI, die sich anfühlt wie ein echter Mensch, die ganz entspannt kommunizieren kann, berechnet jeden einzelnen Token und setzt damit Worte zusammen, um in unserer Sprache zu kommunizieren.
So ein Gespräch mit ChatGPT kann sich tatsächlich schnell nach einer echten Unterhaltung anfühlen. Was genau unterscheidet uns Menschen denn von KI?
Jacques: AI-Modelle werden mit einer großen Menge an Daten trainiert und diese Datenbasis ermöglicht es ihnen, Konversation zu führen. So werden die Antworten auf unsere Fragen erzeugt. Das Spannende ist: Bei uns Menschen ist das ja gar nicht wirklich anders. Auch wir wurden über die Jahre hinweg mit einer großen Menge an Daten gefüttert. Sie entscheiden darüber, wie unsere Antworten ausfallen. Letztendlich basiert auch meine Antwort jetzt in diesem Gespräch darauf, wie ich trainiert wurde oder welche Erfahrung ich als Mensch gesammelt habe. Vielleicht unterscheiden wir Menschen uns von einem Sprachmodell also gar nicht so sehr. Allerdings: Versucht man mit dem System besonders kreative Arbeit zu leisten, kann man schnell an seine Grenzen stoßen. Sprachmodelle sind mächtige Tools, aber gerade wenn es darum geht, kreative, neue und überraschende Ansätze zu finden, scheitern sie noch.
Kann KI lernen, so zu denken und zu entscheiden wie ein Mensch?
Jacques: Dem spricht grundsätzlich nichts entgegen. Die Geschwindigkeit, mit der wir in den vergangenen Jahren auf den heutigen Stand gekommen sind, ist ein regelrechter Quantensprung. Ich merke immer mehr, wie KI unseren Alltag beschleunigt. Man muss sich nicht mal näher damit befassen und profitiert schon davon, zum Beispiel in einer Service-Hotline, bei der man kürzer warten muss, weil eine KI schon alle nötigen Daten abgefragt hat. Es gibt so viele kleine Dinge, in denen KI Großes bewirken kann. Mit größerer Datenbasis und stärkerer Prozessorleistung werden die Ergebnisse deutlich besser.
»Ich denke, es braucht Regelungen und klare Rahmenbedingungen. Ich habe aber die Sorge, dass ein zu enges Korsett die Innovationskraft abwürgen könnte.«
Jacques Alomo
Foto: Czerny
Was kann die Technologie schon und wo kommt sie an ihre Grenzen?
Jacques: Bei Wissensarbeiten, also Arbeiten mit Text und Daten, da ist mittlerweile eine ganze Menge möglich. Wo es KI schon lange gibt, ist zum Beispiel bei der Objekterkennung in Fabriken. Dabei geht es darum zu prüfen, ob die produzierten Teile dem Qualitätsstandard entsprechen oder aussortiert werden müssen. In viele Produktionsprozesse wurde KI schon erfolgreich integriert. Auch das Thema Automatisierung ist sehr spannend. Dadurch lassen sich Datenverarbeitungsprozesse vereinfachen oder eben automatisieren, zum Beispiel beim Versand von E-Mails. Ein anderer Aspekt ist das Generieren von neuen Inhalten. Anwendungsfälle finden sich zum Beispiel in der Werbung. Seien es 3D-Modelle, seien es Bilder, sei es Audio – all das kann schon erstellt werden. Aber das Thema Video ist noch ein offener Punkt, da sind wir noch nicht so weit. Man kann immer noch sehr gut erkennen, ob ein Video echt oder AI-generiert ist. SORA von OpenAI könnte das ändern.
Wie viel KI steckt aktuell schon in Medienproduktionen wie Werbung, Journalismus, Dokumentationen?
Jacques: Ich könnte mir vorstellen, dass KI in Film, Dokumentationen und Fernsehen noch vorsichtig genutzt wird. Das könnte daran liegen, dass die rechtliche Lage noch sehr unklar scheint. Vielleicht möchte man aber auch bewusst Abstand nehmen, weil man in diesen Formaten ja das reale Leben zeigen will. Im Marketing ist das anders. Da sagt man: „Ich bin stolz drauf, Innovator zu sein”, und geht mit KI ganz stark nach vorne.
Auf EU-Ebene gibt es mit dem European AI-Act eine erste Reaktion, die Nutzung von KI-generierten Inhalten rechtlich einzuordnen. Wie denkst du über dieses Regelwerk?
Jacques: Wir als EU sind die Ersten, die dazu ein umfassendes Framework geschaffen haben. Es gibt aber natürlich auch andere Player weltweit, die ihren Unternehmen alle Freiheiten geben und sagen: Hauptsache wir kommen gut voran. Ich denke, es braucht Regelungen und klare Rahmenbedingungen. Ich habe aber die Sorge, dass ein zu enges Korsett die Innovationskraft abwürgen könnte. Die Gefahr ist dann, dass neue Unternehmen in anderen Ländern gegründet werden, einfach weil man dort freier und mit weniger Bürokratie agieren darf. Ein Teil des AI-Acts ist, dass Content, der KI-generiert ist, markiert werden muss. Das halte ich für sinnvoll, aber gleichzeitig glaube ich auch, dass diese Regel unwichtig sein wird, weil so dermaßen viel Content mit KI generiert werden wird. Bei 90 Prozent wird das der Fall sein. Auch in Dokumentationen – man kann sich dem nicht entziehen.
Wie viel Gefahr geht tatsächlich von KI aus?
Jacques: Ich würde behaupten, dass es in einem Jahr möglich sein wird, Modelle zu bauen, denen ich eine Firma nenne, und die selbstständig alles über diese Firma herausfinden können. Wer die CEOs sind, welche Mitarbeitende welche Art von Entscheidungskraft besitzen. Das Modell könnte die Stimme des CEOs klonen, einen Plan für eine Phishing-Attacke entwickeln, gezielt einen Mitarbeiter anrufen und als Chef getarnt eine Zahlung in Auftrag geben. Gleichzeitig wird automatisiert eine E-Mail mit wichtigen Daten verschickt. Der Mitarbeiter hat die doppelte Auftragsbestätigung per Telefon und per Email, vertraut dem vermeintlichen Chef, überweist das Geld – und plötzlich sind zwei Millionen Euro weg. Ich bin sicher, dass diese Art von Betrug zunehmen wird. Nicht nur in Firmen, auch im Privaten, wenn Betrüger versuchen, mit geklonten Stimmen Anrufe von Familienmitgliedern zu imitieren um Geld zu ergaunern.
Deine KI-Expertise zeigst du uns am 2. Juli bei einem Vortrag im Rahmen des Filmfests München. Was erwartet uns?
Jacques: Ich werde vor allem viele, viele Fragen stellen, auf die es zum Teil noch gar keine Antworten gibt. Einfach weil sich dieser Bereich so schnell und mit so einer Gewalt entwickelt hat. Fragen, die man sich selbst stellt, wenn man etwa eine Dokumentation produziert: Wie gehe ich mit KI-generierten Inhalten um? In der Dokumentation „What Jennifer did“, die für Netflix produziert wurde, hat man zum Beispiel Fotos eines verstorbenen Jugendlichen KI-generiert, um mehr Bildmaterial zu haben. Da stellt sich natürlich die Frage: Ist das in Ordnung? Oder anders: Darf ich ein Foto von irgendeiner fiktiven Person generieren und für meine Werbung einsetzen? Was ist, wenn diese Person genau so irgendwo auf der Welt existiert? Und wenn diese Person das gar nicht möchte, aber ich keine Nutzungsrechte an dem Gesicht besitze, weil das Gesicht ja KI-generiert wurde? Was ist mit dem Klonen von Stimmen Verstorbener? Was ist mit Deepfakes? Darf ich jetzt von dir einfach ein Deepfake erzeugen? Ich möchte unseren Geist in diese Richtung öffnen und bewusst machen, wie viele Themen es gibt, die noch nicht geklärt sind.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie viel KI steckt in fünf bis zehn Jahren in unserem Alltag?
Jacques: Das ist unheimlich schwierig einzuschätzen. Da kann man entweder komplett daneben oder vollkommen richtig liegen. Grundsätzlich kann ich mir sehr gut vorstellen, dass wir alle in zehn Jahren, sofern wir das wollen, einen AI-Assistent haben, der uns und unsere Eigenschaften kennt und der weiß, wie wir uns verhalten. Und der unser persönlicher Ansprechpartner ist. Er kann für uns Dinge kaufen, Mails schreiben, unser ganzes digitales und reales Leben managen. Ich würde behaupten, dass wir in Deutschland dieser Art von Innovation grundsätzlich etwas skeptischer gegenüberstehen, aber die Praktikabilität wird deutlich überwiegen – so war es in der Vergangenheit auch bei vielen anderen Innovationen. Was ein bisschen mehr in Richtung Science Fiction geht – aber man darf ja mal frei denken – ist die Frage: Könnten wir in zehn Jahren schon Roboter haben, die uns im Alltag unterstützen? Denn auch hier geht die Forschung aktuell große Schritte. Am Ende stellt sich die Frage: Würden wir uns einen androiden Roboter ins Haus holen, nachdem wir jetzt 20 Jahre lang Science-Fiction-Dystopien gesehen haben? (lacht)
Und wie würde da deine Antwort ausfallen?
Jacques: Ich habe aktuell nicht mal eine Alexa. Stattdessen nutze ich mehrmals am Tag GPT4. Und ich bin sehr gespannt, was die Zukunft bezüglich der Interaktion mit AI-Modellen noch bereithält. Das Thema Sicherheit in den eigenen vier Wänden wird noch sehr relevant werden und ich stelle mir selber die Frage, wann ich mir einen Roboter ins Haus holen würde. Wann wäre die Praktikabilität und der Mehrwert groß genug? Ich kann das für mich selbst noch nicht beantworten.
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