Kolumna: Journalismus beginnt vor der Haustür

Von Lena Kaess
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Fotos: Philip Herzhoff

Große Zeitungen schließen ihre Lokalbüros, Regionalblätter sparen am Personal. Ein digitales, lokales Nachrichtenmagazin zu gründen, wirkt da beinahe verrückt. Julia Baumann-Scheyer und Ronja Straub aus Lindau am Bodensee haben es trotzdem gewagt: Mit Kolumna setzen sie auf hyperlokalen Journalismus. Sie sind überzeugt, echte Nähe und glaubwürdige Berichterstattung sind genau das, was Leser:innen heute wollen.

Authentische Geschichten statt flüchtiger Schlagzeilen, tiefgehende Recherchen statt schneller News. „Ich spüre die Sehnsucht nach dem Echten – nicht nur bei mir, sondern auch bei den Menschen hier aus Lindau“, sagt Journalistin Julia Baumann-Scheyer. Baumann-Scheyer und ihre Kollegin Ronja Straub sind Lokaljournalistinnen mit Leib und Seele. Jahrelang arbeiteten sie für die „Schwäbische Zeitung“, Baumann-Scheyer als Leiterin der Lindauer Lokalredaktion, Straub als ihre Mitarbeiterin. Doch sie sahen, wie sich die Branche verändert. Die Produktionskosten steigen, die digitale Konkurrenz ist hart und Werbeeinnahmen brechen weg – das zwingt große Verlage zum Sparen. Auf Kosten des Lokaljournalismus. Die großen lokalen Themen schaffen es zwar noch in die Zeitung, doch das Hyperlokale, die ganz kleinen Geschichten vor der Haustür, fällt immer mehr unter den Tisch.

Hier erkannten Baumann-Scheyer und Straub ihre Chance. Lindau braucht in ihren Augen lokale Nachrichten – nicht nur aus dem Rathaus, sondern auch aus den umliegenden Dörfern, den Vereinen und den Gemeinderatssitzungen. Die Journalistinnen gründeten ihr eigenes digitales Magazin und tauften es Kolumna. Bei Kolumna ist nicht nur wichtig, was erzählt wird, sondern auch wie: Kolumna denkt Inhalte immer formatbewusst. Ein werktäglicher Newsletter fasst bei Kolumna die wichtigsten Themen zusammen, auf der Website gibt es die ganze Geschichte. Angeteasert werden die Stories auf Instagram. Im Kolumna-Podcast erzählen Menschen aus der Region, was sie bewegt. Und ein Veranstaltungskalender informiert die Leser:innen über alle wichtigen Events.

 

»Man kann nur Teil einer Demokratie sein, wenn man informiert ist. Und im Grunde sehe ich das als Aufgabe des Lokaljournalismus. Jede:r soll sich eine Meinung bilden können.«

Ronja Straub

Herausforderung Finanzierung

Eine hyperlokale Digitalzeitung in einer Zeit zu launchen, in der immer mehr lokale Redaktionsbüros schließen, ist finanziell riskant. Staatliche Förderungen gibt es kaum. „Anstatt 100.000 Euro über Crowdfunding einzusammeln und am Ende ohne Community dazustehen, haben wir uns direkt für Aboverkäufe entschieden“, sagt Straub. Ihr Ziel für den Start: 700 Abos, dann sollte es losgehen. Im November 2024 begannen Straub und Baumann-Scheyer, für Kolumna zu werben. Und das ganz klassisch und analog vor Ort: Sie waren in Einkaufszentren, auf Weihnachtsmärkten und bei Vereinen anzutreffen und stellten ihr Konzept vor. „Am Ende haben die bereits akquirierten Abonnent:innen als Multiplikator:innen fungiert. Diese Mund-zu-Mund-Propaganda hat uns sehr weitergeholfen“, sagt Straub. Im Februar 2025 konnten sie Kolumna launchen, Anfang April hatten sie bereits 800 Abonnements.

Auch in Zukunft wollen sie sich über Abonnements und Anzeigen finanzieren. Derzeit kostet Kolumna zwölf Euro im Monat, Förderabos gibt es für monatlich 25 Euro. In den ersten sechs Monaten erhalten die Journalistinnen einen Gründungszuschuss vom Arbeitsamt – die Abonnement-Einnahmen fließen vollständig ins Projekt. Gewinn wollen sie auch danach nicht abschöpfen: Was reinkommt, wird reinvestiert. Das haben sich die beiden versprochen.

Durch Kolumna sollen die Lindauer:innen das Gefühl haben, da guckt noch mal jemand Neutrales drauf. Wir achten darauf, dass fair mit Steuergeldern umgegangen wird, dass niemand über den Tisch gezogen wird, dass es keine Klüngeleien im Hintergrund gibt.

Julia Baumann-Scheyer

Glaubwürdig durch konstruktiven Journalismus

Zwar ist laut der Studie „Wüstenradar“ der Hamburg Media School zum Zeitungssterben in Deutschland noch nicht von einer Nachrichtenwüste im Lokalen die Rede, aber eine Versteppung sei deutlich erkennbar. „In manchen Teilen Deutschlands ist es so, dass die Journalist:innen über Gemeinden berichten müssen, in denen sie selbst noch nie zuvor waren“, sagt Baumann-Scheyer. Bei ihr und ihrer Kollegin Straub ist das anders, beide wohnen vor Ort, haben ein großes Netzwerk und ein Gespür für die Region. „Wir sprechen mit den Bürger:innen, hören ihnen zu und verifizieren alles über mehrere Quellen“, sagt Baumann-Scheyer. „Oft passiert es, dass sich die Medien deutschlandweit durchzitieren. Wir schreiben nicht von Dritten ab.“

Auch auf Push-Nachrichten und reißerische Berichterstattung wollen sie verzichten und setzen stattdessen auf konstruktiven Journalismus. Kolumna berichtet kritisch, klärt umfassend über Themen auf und versucht gleichzeitig, Lösungen anzubieten. Gerade bei negativen News nimmt Kolumna ihre Leser:innen an die Hand und ordnet Dinge in den größeren Kontext ein. Als es beispielsweise vor Kurzem in einem Mehrfamilienhaus brannte, ging der Feuerwehr das Löschwasser aus. Es musste über andere Ortsteile nachgeholt werden, sogar ein Pool kam zum Einsatz. Doch statt vorschnell einen Missstand zu unterstellen, sprach Kolumna mit dem Bürgermeister, dem Wasserversorger und dem Feuerwehrkommandanten – und lieferte eine gründlich recherchierte, sachliche Einordnung. Nur so kann laut Straub und Baumann-Scheyer authentischer und vor allem glaubwürdiger Journalismus funktionieren. Kommentare auf der Website und E-Mail-Zuschriften bestätigen, dass dieser Ansatz bei der Leserschaft gut ankommt.

Eine Studie des Hans-Bredow-Instituts aus dem Jahr 2024 zum Vertrauen in etablierte Nachrichtenquellen zeigt, dass nur 43 Prozent der erwachsenen Internetnutzer:innen in Deutschland glauben, man könne dem Großteil der Nachrichten meist vertrauen – das sind so wenige wie nie zuvor. „Der Berufsstand hat in den letzten Jahren enorm gelitten. Immer wieder müssen wir Journalist:innen gegen den Vorwurf der Fake News und Lügenpresse argumentieren“, sagt Straub.

In ihrer Arbeit sehen die zwei einen klaren demokratischen Auftrag, die Wächterfunktion des Journalismus nehmen sie ernst. „Durch Kolumna sollen die Lindauer:innen das Gefühl haben, da guckt noch mal jemand Neutrales drauf. Wir achten darauf, dass fair mit Steuergeldern umgegangen wird, dass niemand über den Tisch gezogen wird, dass es keine Klüngeleien im Hintergrund gibt“, sagt Baumann-Scheyer. „Man kann nur Teil einer Demokratie sein, wenn man informiert ist. Und im Grunde sehe ich das als Aufgabe des Lokaljournalismus. Jede:r soll sich eine Meinung bilden können“, fügt Straub hinzu. Die jahrelange Erfahrung habe ihnen gezeigt, dass es wichtig sei, den Leser:innen immer transparent zu erklären, wie ein journalistisches Produkt zustande gekommen ist. Bedeutet in der Praxis: Kolumna erklärt, warum die Journalistinnen ein Thema für relevant halten oder warum bestimmte Personen zu Wort gekommen sind und andere nicht.

Die Community redet mit

Auch die Community gestaltet Kolumna aktiv mit. Zwar verfassen Leser:innen keine eigenen Artikel. Dafür gibt es einen Leserbeirat und einen virtuellen Briefkasten auf der Homepage, wo die Lindauer:innen Themenvorschläge abgeben dürfen. Diese Möglichkeit nehmen die Leute auch gerne wahr, sagt Baumann-Scheyer: „Wir können natürlich nicht alle Themen abdecken, manche sind nur für sehr wenige Personen relevant. Wir müssen auch mit unseren eigenen Ressourcen haushalten.“ Bisher sind Straub und Baumann-Scheyer die einzigen Vollzeitkräfte. Sie haben einige Teilzeitkräfte, etwa eine Community-Managerin, einen Podcast-Host, einen Anzeigenverkäufer und freie Journalist:innen, die auf Honorarbasis Texte schreiben. Um noch näher an der Leserschaft zu sein, möchte Kolumna demnächst auch Umfragen durchführen. Außerdem gibt es seit Beginn die sogenannte Pop-up-Redaktion. Das heißt: Die Journalistinnen arbeiten an öffentlichen Orten und alle Interessierten dürfen ihnen über die Schulter schauen, Kritik oder Anregungen äußern.

Erklärtes Ziel ist es auch, die jungen Menschen in Lindau zu erreichen. „Frühere Generationen haben die Lokalzeitung einfach vererbt bekommen, da war sie noch fester Bestandteil des Frühstückstischs“, sagt Straub. „Gerade bei jüngeren Menschen ist das nicht mehr der Fall, sie haben weniger Bezug zu Lokalnachrichten.“ Kolumna möchte das ändern: durch mehr Social-Media-Präsenz, etwa einen Instagram-Kanal, und eine eigene Schülerredaktion. Aktuell sind ihre Leser:innen zwischen 40 und 70 Jahre alt. Doch auch das ist ein Erfolg: Viele Ältere fremdeln mit dem Digitalen, aber vertrauen Kolumna genug, um den Schritt ins Netz zu wagen. Für Baumann-Scheyer und Straub ein Zeichen, dass ihre Arbeit geschätzt wird.

Die beiden Journalistinnen hoffen, dass sich Kolumna künftig als stabiles Medium etabliert, mit einem größeren, vielfältigen Team, das die Geschichten Lindaus in all ihren Facetten abbildet. Und vielleicht, sagt Baumann-Scheyer mit einem Lachen, gebe es in fünf Jahren sogar einen Workflow, der auch mal ein freies Wochenende erlaubt.

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