SHAM JAFF: „WHAT HAPPENED LAST WEEK?“

SHAM JAFF ERKANNTE LANGE VOR DEM NEWSLETTER-TREND, DASS DAS FORMAT WEIT MEHR IST ALS NUR EIN WERBEMITTEL. SEIT 2014 VERSCHICKT SIE WÖCHENTLICH „WHAT HAPPENED LAST WEEK?“

Text: Lisa Priller-Gebhardt
Fotos: Verena Kathrein

Sham, was hat dich auf die Idee gebracht, einen Newsletter zu starten?

Sham Jaff: Meine jüngere Schwester Aya wollte ständig von mir hören, was in der Welt passiert. An der Uni bin ich weiter in die Rolle der Weltpolitik-Erklärerin hineingewachsen, denn auch Kommiliton:innen hatten Fragen dazu, was gerade in Ghana geschieht oder wie die aktuelle Politik in Taiwan ist; also zu Themen und Regionen, mit denen wir uns akademisch eher weniger beschäftigt hatten. Ich habe mich immer gewundert, wieso. So habe ich angefangen, Freund:innen und Bekannte schriftlich mit News zu versorgen.

Du hast bereits auf das Medium Newsletter gesetzt, als es in erster Linie für Werbezwecke verwendet wurde und es noch keinen Hype um dieses journalistische Format gab. Welches Potenzial hast du gesehen?

Sham: Als ich 2014 mit „what happened last week?“ anfing, wurde ich belächelt, denn Newsletter galten als „old school“. Doch für mich sind sie nach wie vor ein sehr intimer, direkter Zugang zu meinen Leser:innen. Ich empfinde es als großen Vertrauensvorschuss, wenn sie mir ihre E-Mail-Adresse geben. Der Hype um das Medium rührt meiner Meinung nach daher, dass die Menschen ein starkes Bedürfnis nach Kuratierung haben. Alle Medien kämpfen um Aufmerksamkeit, was dazu führt, dass wir in einer schieren Flut von Nachrichten ertrinken. Es ist der Mehrwert meines Newsletters, dass ich mir Gedanken mache, welche Nachrichten für meine Zielgruppe relevant sind. Damit komme ich diesem großen Wunsch nach Einordnung entgegen.

„Alle meine Leser:innen eint das Gefühl, sie wüssten nicht genug darüber, was sonst noch in der Welt passiert. Sie fühlen sich von den Mainstream-Medien nicht abgeholt.“

Sham Jaff

Welche Zielgruppe erreichst du?

Sham: Die Mehrheit meiner 14.000 Abonnent:innen ist weiß und hat einen akademischen Hintergrund. Sie kommen überwiegend aus westlichen Ländern, jedoch sind unter den 100 Ländern, in denen mein Newsletter gelesen wird, auch Staaten wie Französisch-Guayana oder Bangladesch. Letztens habe ich mit ein paar älteren Herren aus Ghana in einem Leser:innen-Interview gesprochen. Alle meine Leser:innen eint das Gefühl, sie wüssten nicht genug darüber, was sonst noch in der Welt passiert. Sie fühlen sich von den Mainstream-Medien nicht abgeholt.

Hat sich die Themensetzung seit dem Start 2014 verändert?

Sham: Früher galt mein Fokus mehr der gesamten Welt, heute sind es die Kontinente Südamerika, Asien und Afrika. Einfach weil die Themen dieser Kulturen in den Medien unterrepräsentiert sind.

Ich beschäftige mich vor allem mit sozialer Gerechtigkeit beziehungsweise Ungerechtigkeit sowie dem Klimawandel.

Welche Quellen nutzt du?

Sham: Ich nutze quasi alle Zeitungen, deren Sprache ich verstehe – in Deutsch, Englisch, Arabisch, Kurdisch, Spanisch und Französisch. Darunter sind Titel wie die „South China Morning Post“ oder die „Prensa Libre“ aus Guatemala. Aber auch Berichte der Vereinten Nationen oder des World Economic Forum fließen mit ein. Eine weitere wichtige Quelle sind freie Journalist:innen aus aller Welt. Ich habe über die Zeit für mich selbst eine kleine Liste erstellt.

Newsletter als journalistisches Format: Community einbeziehen

In Zeiten von Fake News – wie prüfst du die Echtheit der Nachrichten?

Sham: Gerade wenn es um politische Konflikte geht, sind eine Menge Falschinformationen in Umlauf. Da wird auf beiden Seiten viel Propaganda betrieben. Deshalb lasse ich mir da lieber Zeit, ehe ich berichte. Ich recherchiere dann selbst und spreche auch mit Journalist:innen vor Ort, um nicht zur Verbreitung von Falschinformationen beizutragen.

Du ermunterst Leser:innen zu kommentieren, beispielsweise, wenn sie die Lage anders sehen. Warum ist dir diese Interaktion so wichtig?

Sham: Weil auch ich blinde Flecken habe. Ich kann nicht – wie ein großes Medienhaus – auf ein internationales Journalist:innen-Netzwerk zurückgreifen. Ich bin froh, wenn mich Menschen auf weitere Aspekte aufmerksam machen. Außerdem möchte ich nicht von oben herab über mir fremde Kulturen sprechen.

„Ich möchte nicht nur den Konsum von Nachrichten fördern, sondern auch die Diskussion darüber.“

Du hast vor Kurzem die erste Community innerhalb deines Newsletters gegründet: die Curious Group. Mit welchem Thema beschäftigt sich die Community?

Sham: Hier steht die zentrale Frage „Was machen wir mit der Polizei?“ im Mittelpunkt. Nicht erst seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd oder dem rechtsterroristischen Attentat in Hanau wird immer klarer, dass es nicht nur deutschlandweit, sondern auch international wenig Kontrollinstanzen gibt. In der Curious Group sind etwa 30 Personen, die sich zu diesem Thema per Zoom austauschen und sich gegenseitig informieren. Das kommt meinem Anliegen sehr entgegen, nicht nur den Konsum von Nachrichten zu fördern, sondern auch die Diskussion darüber.

Du bist mit deinem Newsletter Teil des Media Lab Bayern-Förderprogramms, das die Entwicklung innovativer Medienprodukte finanziell unterstützt. Wofür nutzt du die Förderung?

Sham: Ich würde gern die Idee des Newsletters ausweiten. Es geht um die Frage, welche neuen Formate möglich sind, um diese unterrepräsentierten Themen einem weit größeren Personenkreis zu erschließen. Vielleicht über Podcast-Serien oder andere Formate. Es geht auch um die Frage, ob der Newsletter Grundlage für ein Medienunternehmen sein könnte.

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