paper trail media: Auf heißen Spuren

Von Lisa Priller-Gebhardt
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Foto: Julian Baumann

Vor zwei Jahren gingen die Chefs des SZ-Investigativressorts, Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, in die Selbständigkeit und gründeten ihre eigene Recherche-Redaktion paper trail media. Ein Einblick in ihr Geschäftsmodell und die Investigative Praxis.

Herr Obermaier, Herr Obermayer, wie schwer – oder leicht – war die Entscheidung, sich vom großen Medienhaus SZ zu lösen und Unternehmer zu werden?

Frederik Obermaier: Der Weggang fiel uns nicht leicht. Wir haben dort große Geschichten wie die Panama Papers, das Pegasus-Projekt und die Ibiza-Affäre recherchieren und erzählen dürfen. Die SZ war unsere Heimat. Doch wir wollten einen Ort, an dem wir unsere Ideen entwickeln können, ohne den Druck einer aktuellen Blattproduktion zu spüren. Vor allem aber wollten wir etwas Neues ausprobieren.

Ihr erster Partner war der „Spiegel“. Dann kamen das ZDF, der österreichische „Standard“ und Tamedia aus der Schweiz dazu. Wie gestalten sich diese Partnerschaften?

Bastian Obermayer: Die Firma paper trail media gehört uns beiden. „Spiegel“, ZDF, der „Standard“ und Tamedia finanzieren uns als Partner. Das bedeutet, dass sie jeden Monat eine bestimmte Summe überweisen, von der wir unter anderem die Gehälter und die Miete bezahlen. Die Verträge sind nicht auf lange Jahre angelegt, deshalb tragen die Partner auch kein so großes Risiko, wie das bei einer Festanstellung von 14 Menschen der Fall wäre. Wenn sie eines Tages feststellen, dass die Kooperation für sie nicht mehr funktioniert, werden sie diese 14 Kolleg:innen nicht mehr lange finanzieren.

Medienpartner: Jeder kann entscheiden, ob er ein Thema veröffentlichen möchte oder nicht

 

Wie sieht die operative Zusammenarbeit mit den Partner-Redaktionen aus?

Bastian Obermayer: Wir haben bei jedem unserer Partner ein bis drei Ansprechpartner: innen. Sie bieten unsere Themen inhouse an. Wir treffen uns wöchentlich in virtuellen Konferenzen, wo wir über die Themenliste und den Recherchestand sprechen. Außerdem gibt es diverse Chatgruppen auf verschiedenen Endgeräten. Es ist ein intensiver Austausch.

Gibt es Konkurrenzkämpfe zwischen den Medienhäusern um Ihre Geschichten?

Frederik Obermaier: Unsere Partner stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Es gibt ein Agreement, das vorsieht, dass wir alle Geschichten allen vorschlagen. Es gilt auch kein „First come, first served“. Wenn alle vier Partner das Thema wollen, umso besser. Denn jedes Medium profitiert letztlich davon, wenn es bei seiner Veröffentlichung auf die Arbeit des jeweils anderen verweist. Das erhöht sowohl die Reichweite als auch den Mehrwert jeder Geschichte.

Bastian Obermayer: Das setzt natürlich auch Vertrauen voraus. Jeder Partner weiß, wie wir arbeiten, und kann frei entscheiden, ob er einsteigen möchte oder nicht. Da wir Partner in drei – wenn auch deutschsprachigen – Ländern haben, ist ihre Überschneidung nicht so groß. Rein deutsche Themen interessieren in der Schweiz nicht so sehr, das gilt auch andersherum.

 

»Die Wertschätzung für investigativen Journalismus ist gestiegen.«

Frederik Obermaier

Foto: Julian Baumann

Auf welchem Weg gelangen Hinweise auf Missstände zu Ihnen?

Frederik Obermaier: Wir haben uns im Lauf der Jahre einen gewissen Namen erarbeitet, deshalb melden sich viele Whistleblower bei uns. Sie wissen aufgrund unserer Veröffentlichungen, dass wir in der Lage sind, große Datenmengen zu verarbeiten, und dass die Namen der Informant:innen geschützt und geheim bleiben. Manchmal kommt ein Tipp auch aus den Reihen unserer Partner. Und dann gibt es natürlich auch aktuelle Ereignisse wie den Fall Rammstein oder die Durchsuchungen bei AfD-Politiker:innen, auf die wir gemeinsam mit den Partnern Reporter:innen ansetzen.

Bastian Obermayer: Außerdem kommen Hinweise und Anfragen aus den internationalen Netzwerken, mit denen wir zusammenarbeiten, wie beispielsweise von Forbidden Stories oder ICIJ. Wir entscheiden dann, ob wir beziehungsweise unsere Partner einsteigen oder nicht.

Aus Mangel an Ressourcen bleiben viele Skandale unaufgedeckt

 

Recherchen laufen auch mal ins Nichts. Wie mindern Sie das Risiko?

Frederik Obermaier: Wir reduzieren es durch Erfahrung und Bauchgefühl. Und glücklicherweise sind wir so stabil aufgestellt, dass wir es uns leisten können dranzubleiben, auch wenn die Gefahr besteht, dass eine Geschichte im Sand verlaufen könnte.

Bastian Obermayer: Es ist einfach leider so, dass manche Recherchen ohne eine Veröffentlichung enden. Das ist auch Journalismus.

Wie hoch ist der Druck, regelmäßig Skandale aufzuspüren?

Frederik Obermaier: Tatsächlich ist es eher andersherum. Wir bedauern es sehr, dass es so viele Skandale gibt, die aufgrund mangelnder Ressourcen nicht aufgedeckt werden. Wenn wir noch zehn Leute mehr bei paper trail media hätten, würden wir auch diese gut auslasten können. Unsere Partner geben uns einen guten Rahmen, es ist eine inspirierende und sich gegenseitig befeuernde Zusammenarbeit. Druck wird da keiner ausgeübt – er ist schlicht nicht nötig.

Retro-Deko bildet einen starken Kontrast zu den Arbeitsmethoden bei paper trail media. Dort wird mit den modernsten Investigativ-Techniken recherchiert. / Foto: Julian Baumann

Paper trail media produziert auch Podcasts, wie beispielsweise das „Spiegel“-Original „Putins Krieg im Netz“. Die Moderation übernehmen Mitarbeitende. / Foto: Julian Baumann

Die ehemaligen SZ-Redakteure Bastian Obermayer und Frederik Obermaier recherchieren nun im Rahmen ihres eigenen Investigativ-Büros paper trail media. / Foto: Julian Baumann

Bei diesen Recherchen arbeiten Sie sich in die dunkelsten Ecken vor. Schon mal Angst um Leib und Leben gehabt?

Frederik Obermaier: Ja, es gab immer wieder mal solche Momente. Wir überlegen bei sehr heiklen Recherchen auch in der Redaktion, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist, und sprechen über Sicherheitsvorkehrungen und mögliche Folgen. Es ist schon sehr beunruhigend, wenn einer unserer Reporter aufgrund seiner kritischen Berichterstattung im russischen Fernsehen namentlich genannt wird. Denn wir können keine absolute Sicherheit garantieren.

Bastian Obermayer: Dennoch empfinden wir Deutschland als einen sicheren Ort für unsere Recherchen. Wir agieren vorsichtig, aber diese Vorsicht ist nicht prägend für unser Leben. Wir beide sind zum Beispiel nicht im Melderegister gelistet, um unsere Privatadressen nicht zu veröffentlichen. Außerdem haben wir verschiedene Länder von unserer Reiseliste gestrichen. Darunter sind Russland, China, Panama, Marokko, Mexiko, die Türkei und die Schweiz.

Einreiseverbot und Vorsicht: Investigativ zu recherchieren hat Konsequenzen

 

Ernsthaft, die Schweiz?

Bastian Obermayer: Ja, dort gibt es ein absurd restriktives Bankengesetz, sodass wir in der Schweiz wegen einer Recherche zur Credit Suisse, bei der wir aus dem Innersten der Bank Informationen zu Tausenden von Konten zugespielt bekamen, eine strafrechtliche Verfolgung fürchten müssen. Das ist ein Aberwitz und eine unerhörte Einschränkung für ein demokratisches Land, aber leider die Realität.

Ein großer Vorteil, den Sie als eigenständige Unternehmer haben: Sie können die gesamte Verwertungskette von Themenfindung bis Publikation selbst nutzen. Wie läuft das genau?

Frederik Obermaier: Wir bespielen mit unseren Recherchen die komplette Klaviatur der Medienkanäle. Zu den klassischen Ausspielwegen Zeitung und Homepage kommen zusätzlich Magazine, wie eben der „Spiegel“ und das „Manager Magazin“. Mit dem ZDF decken wir den Bereich Fernsehen ab. Dort laufen sowohl lange als auch kurze TV-Beiträge in den unterschiedlichen Sendungen, darunter „Frontal“. Außerdem veröffentlichen wir Bücher. Und manchmal braucht es auch Erzählformen wie Podcasts oder YouTube-Dokus, um die Themen an die Menschen zu bringen.

 

»Es ist einfach leider so, dass manche Recherchen ohne eine Veröffentlichung enden. Das ist auch Journalismus.«

Bastian Obermayer

Foto: Julian Baumann

Seit der Gründung sind zwei Jahre vergangen. Wie sind Sie heute aufgestellt?

Bastian Obermayer: Wir sind ein Team von mehr als einem Dutzend Reporter:innen. Bis auf ein paar Kolleg:innen, die über eine hohe Expertise im Bereich Datenjournalismus verfügen, sind alle Allrounder – alle können sich in Themen einarbeiten und bringen umfassendes Handwerkszeug mit. Wir stellen für jede Recherche ein eigenes Team zusammen, und zwar so, dass sich die Fähigkeiten ergänzen. Wir sind sehr stolz darauf, dass sich alle gegenseitig unterstützen, füreinander einspringen und Kenntnisse weitergeben.

Frederik Obermaier: Außerdem verstärkt uns seit Ende letzten Jahres Elisa Simantke als Senior Investigative Editor. Das erlaubt uns, mehr Recherchen und Projekte parallel zu stemmen. Seit unserer Gründung waren es über 100 Artikel und Beiträge.

Medienhäuser verkleinern Investigativ-Ressorts: „Jetzt braucht es Investigativ-Journalist:innen

 

Hat sich der Wert von investigativem Journalismus angesichts der politischen und geopolitischen Herausforderungen verändert?

Frederik Obermaier: Die Wertschätzung ist sicherlich gestiegen, doch die Frage, ob die Menschen auch bereit sind, dafür zu zahlen, steht auf einem anderen Blatt. Viele klagen über die hohen Preise der Qualitätsmedien und jammern über die Rundfunkbeiträge, anstatt sich bewusst zu machen, was mit diesem Geld finanziert wird. Es ist auch alarmierend zu hören, dass Häuser wie der MDR ihr Investigativ-Ressort deutlich verkleinern wollen. Gerade jetzt braucht es Investigativ-Journalist:innen, die beispielsweise bei den Umtrieben der AfD genauer hinsehen.

Bastian Obermayer: In den USA gibt es immer mehr bedauernde Stimmen zu hören, dass man zugesehen habe, wie Investigativ-Ressorts geschlossen wurden, und damit der kritische Blick auf Behörden, Administration und Politik heute mancherorts fehlt. Von den ehemals großen Blättern, die sich regelmäßig mit großen Investigativ-Storys einen Namen gemacht haben, floriert einzig die „New York Times“ noch. Dagegen gibt es in Deutschland eine ausdifferenzierte Medienlandschaft. Gleichzeitig beobachten wir hier das Sterben der Lokalzeitungen. Ich wünsche mir ein Umdenken und Umlenken. Es wäre ein gutes Signal, wenn demokratieverliebte Herausgeber:innen und Publizist:innen diese Facette des Journalismus stärken würden.

Wie lautet Ihr Fazit: Hat sich die Gründung gelohnt?

Frederik Obermaier: Wir haben in jedem Fall geschafft, was wir uns vorgenommen haben, nämlich eine kleine, feine Investigativ-Redaktion aufzubauen, die sich weltweit sehen lassen kann und mit der international renommierte Medien wie „Le Monde“, der „Guardian“ oder die „Washington Post“ gerne zusammenarbeiten – und das auf Augenhöhe.

Bastian Obermayer: Dieses Abenteuer hat uns unglaublich gereizt. Wir sind ins kalte Wasser gesprungen und haben das noch keinen einzigen Tag bereut.

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