Bild: Amelie Niederbuchner
ProSiebenSat.1 und KI: Eine neue Selbstverständlichkeit
Die ProSiebenSat.1 Media SE hat das Potenzial von künstlicher Intelligenz schon vor dem rasanten Aufstieg von ChatGPT, Midjourney & Co. erkannt. Maren Langbehn ist Vice President des Buzzrooms und des Digital Newsrooms. Sie gibt einen Einblick, wie der Einsatz von KI in ihren Teams zur Selbstverständlichkeit wurde.
Wenn Maren Langbehn morgens das Redaktionsbüro in Unterföhring betritt, checkt sie zuerst die aktuellen Zahlen und Berichte des Vortags. Ein Klick, ein Blick – und Langbehn weiß, ob er ein Erfolg für ihr Team war. Während dieser Routine verschwendet sie keinen Gedanken daran, dass hinter der Erhebung der Daten eine künstliche Intelligenz steht und ihr wertvolle Einblicke und Erkenntnisse liefert. KI ist ein selbstverständliches Arbeitsmittel.
Im Digital Newsroom erstellt Langbehn mit ihrem 13-köpfigen Redaktionsteam Nachrichteninhalte in Form von Text und Video für den Web-Auftritt der Nachrichtensendung „Newstime“, deren Joyn-Auftritt und andere digitale Kanäle. Damit ist sie Teil der zentralen Nachrichtenredaktion von ProSiebenSat.1, wozu auch eine TV- Redaktion mit eigenem TV-Studio zählt. Der Newsroom zieht voraussichtlich Ende 2023 in das neue Mega-Studio in Unterföhring. Dort warten auf Langbehns Team neue Möglichkeiten, wie Green Screen und automatisiert laufende Kameras. „Man drückt dann nur noch auf einen Knopf und geht live“, sagt Langbehn. Der Buzzroom bespielt ebenfalls die digitalen Kanäle, konzentriert sich jedoch primär auf Promi- und Lifestyle-Themen. „Buzzroom und Newsroom haben aber grundlegend ähnliche Produktionsabläufe“, so Langbehn.
Der ProSiebenSat. 1 SE Newsroom in Action. / Bild: Amelie Niederbuchner
Im Digital Newsroom und im Buzzroom ist KI keine abstrakte Idee, sondern integraler Bestandteil des Arbeitsalltags. Langbehn und ihr Team nutzen KI nicht nur, um Daten zu analysieren, Trends zu erkennen oder strategische Entscheidungen zu treffen. KI spielt auch in der Content-Produktion eine zentrale Rolle.
KI bei ProSiebenSat. 1: Vom Experiment zum Garanten für Traffic-Rekorde
Der Buzzroom diente dabei als Vorreiter. Hier startete 2019 ein erstes Experiment: Eine KI sollte deutsche Videos ins Englische und Niederländische übersetzen, um Zeit zu sparen. „Die Ergebnisse waren enttäuschend“, sagt Langbehn, „Muttersprachler:innen mussten die KI-Ergebnisse nochmals kontrollieren und umschreiben.“ Es stellte sich heraus: Die menschlichen Profis waren ohne KI sogar schneller. Erst während der Coronapandemie setzten sich KI-Lösungen im Buzzroom durch. Das Robert Koch-Institut (RKI) versorgte damals die Bevölkerung mit einer Vielzahl an Daten, etwa mit der Zahl der Infizierten. Anstatt manuell jeden Morgen ein neues Video mit den jüngsten Fallzahlen für jedes Bundesland zu erstellen, entwickelte das Medienunternehmen gemeinsam mit Wochit, die mit ihrer Lösung WAVE einen Dienst zur Online-Videoproduktion zur Verfügung stellen, automatisierte Videoclips.
»Texte mit der KI kürzen, zusammenfassen und übersetzen – das gehört zum Daily Business.«
KI zog sich die Daten vom RKI und integrierte sie in ein bestehendes Video- Template, das Redakteur:innen gemeinsam mit den AI-Products-Kolleg:innen der IT-Tochter ProSiebenSat.1 Tech Solutions erstellt hatten. „Man kam morgens in die Redaktion und das Video war schon online. Das hat uns wirklich Traffic-Rekorde beschert“, erinnert sich Maren Langbehn. Mittlerweile nutzen sie das gleiche System für automatisch generierte Clips zu Unfällen, Polizeieinsätzen, Rettungsaktionen und Kriminalfällen. Außerdem sind automatisierte Videos für Sportergebnisse, Rezepte und Börsendaten in Planung. Bei einer weiteren KI-basierten Lösung handelt es sich um eine „neural voice“ namens Conrad, also eine künstliche Stimme, die ProSiebenSat.1 in Zusammenarbeit mit Microsoft entwickelte. „Wir hatten zu Randzeiten wie den Nachtschichten und Wochenenden zu wenig Digital-Redakteur:innen mit Sprecherfahrung zur Verfügung“, sagt Langbehn. Dank der künstlichen Stimme konnte der Personalengpass ausgeglichen werden. Bis heute ist Conrad im Einsatz.
KI kann Inhalte für neue Zielgruppen aufbereiten
Mittlerweile hat sich der Einsatz von KI im Alltag etabliert. „Klar haben wir schon früh mit KI herumexperimentiert, aber seit gefühlt vier Monaten explodiert das Thema bei uns im Newsroom“, so Langbehn. Das Team diskutiert regelmäßig Ideen, wie die KI noch weiter genutzt werden kann. Es sei eine kontinuierliche Suche nach neuen Tools und Prozessen, so Langbehn. Das Ziel: die Arbeit bei der Video-, Text- und Bilderstellung schneller und effizienter zu gestalten. „Texte mit der KI kürzen, zusammenfassen und übersetzen – das gehört zum Daily Business“, erklärt Langbehn. Auch das mühselige Verschlagworten von Bildern übernimmt die KI, zudem kann sie einfache Grafiken erstellen. Das gebe den Mitarbeitenden eine neue und schnelle Möglichkeit an die Hand, Inhalte multimedial aufzubereiten. Für Videos soll die KI zukünftig auch beim Highlight- Clipping helfen, das heißt, sie arbeitet aus längeren Videos die wesentlichen Stellen heraus und erstellt einen kurzen Spot.
Maren Langbehn weiß, wie und wo KI effizient eingesetzt werden kann. / Bild: Amelie Niederbuchner
Auch TV-Material soll die KI zukünftig für Online-Kanäle aufbereiten. „Wir haben Unmengen an Bewegtbild aus den Fernsehproduktionen von ProSiebenSat.1. Die liegen derzeit ungenutzt im Archiv“, sagt Langbehn. „Ziel ist es, dass die KI ein Transkript der einzelnen Videos erstellt, aus denen Redakteur:innen später suchmaschinenoptimierte Texte verfassen können.“ Das eröffnet eine weitere Möglichkeit, aufwendig produziertes Material einer möglichst breiten Zielgruppe abseits des linearen Fernsehens zur Verfügung zu stellen. Egal, ob Text, Bilderstrecke oder Video: Es braucht immer Headline und Teaser. Auch hier kann künstliche Intelligenz die Inhalte analysieren und einen ersten Vorschlag generieren. Für das Teilen in sozialen Medien erstellt sie passende Captions, die neugierig machen und die User:innen von Facebook, Instagram & Co. auf die Website ziehen.
KI im Journalismus schafft mehr Zeit für hochwertige Geschichten
Trotz der vielseitigen Einsatzmöglichkeiten – die Jobs von Redakteur:innen bedrohe die KI bei ProSiebenSat.1 nicht. „Uns Journalist:innen sagt man nach, dass wir skeptische Menschen sind und viel nachfragen. Natürlich hinterfragen wir auch die künstliche Intelligenz und ihren Einsatz. Ich glaube, das muss sich die KI auch gefallen lassen“, erläutert Langbehn, „aber grundsätzlich bin ich Fan von KI.“ Sie sieht KI eher als einen nützlichen Helfer für ihre Redakteur:innen. Gerade repetitive Aufgaben könne sie übernehmen. So könnten sich die Journalist:innen stärker auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren: die Erstellung von qualitativ hochwertigen Geschichten. Im Umgang mit KI plädiert Langbehn daher für Offenheit. „Die Jobs unserer Redakteur:innen werden nicht wegfallen. Im Zweifel werden sie sich ein bisschen verändern“, erklärt sie. Ihre Redakteur:innen sehen das ebenso, experimentieren eigenständig mit Tools wie ChatGPT und gehen proaktiv mit Vor- schlägen auf die Chefredaktion zu. Weder im Buzzroom noch im Newsroom würden Texte vollständig von künstlicher Intelligenz generiert, so Langbehn. Denn das koste unter dem Strich sogar mehr Zeit: „Lasse ich die KI einen Artikel schreiben, muss dieser von einer Redakteurin oder einem Redakteur kontrolliert werden. Außerdem müsste sichergestellt sein, dass der Text unseren Qualitätsansprüchen gerecht wird. Das wäre sehr aufwendig“, sagt Langbehn.
»Die Jobs unserer Redakteur:innen werden nicht wegfallen. Im Zweifel werden sie sich ein bisschen verändern.«
Maren Langbehn / Foto: Amelie Niederbuchner
Nur Redakteur:innen, die sich im Thema auskennen würden die journalistische Sorgfaltspflicht erfüllen. Sie würden ihre Quellen auf Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit prüfen, bevor sie diese in ihre Berichterstattung einbeziehen – anders als die KI. Auch die Entstehung oder Abbildung von Bias sei eine Herausforderung bei der automatisierten Texterstellung. Das heißt, dass die KI Informationen einer Berichterstattung verzerren oder lediglich einseitig präsentieren könnte. Large Language Models werden mit großen Datensätzen trainiert und greifen auf eine Vielzahl von Quellen aus dem Internet zurück. Sie übernehmen also auch Vorurteile und Stereotype in ihre Texte. Redakteur:innen müssten bei der Kontrolle hier besonders wachsam sein. In Langbehns Team werden Informationen durch mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen verifiziert, um einen möglichen Bias nicht weiterzutragen – egal, ob die Inhalte aus- schließlich von Menschen geschrieben wurden oder ob auch KI im Einsatz war. „Journalistische Sorgfaltspflicht hat bei uns im Redaktionsalltag höchste Priorität“, sagt Langbehn, „aus diesem Grund habe ich gemeinsam mit der Chefredaktion klare Regeln im Umgang mit der KI definiert.“ Besonders Transparenz sei ihnen wichtig: Mit KI bearbeitete Inhalte werden entsprechend gekennzeichnet.
Maßgeschneiderte KI-Lösungen
Um auf individuelle Anforderungen von Teams innerhalb des Unternehmens eingehen zu können, verfügt ProSiebenSat.1 bereits seit vielen Jahren über ein AI-Products-Team, das hauseigene KI-Lösungen entwickelt. Langbehn und die Abteilung stehen in engem Austausch. „Wenn man darauf angewiesen ist, nur mit ChatGPT & Co. zu agieren, schränkt das ein. Wir haben hier besondere Use Cases, für die das AI-Products-Team maßgeschneiderte Lösungen erstellt“, sagt Langbehn. In Zukunft würde sie sich auch über dezidierte KI-Stellen in ihrem Team freuen, wie beispielsweise Prompter:innen.
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