Foto: Czerny
shape of new: „Die Zukunft soll ein Ort der Hoffnung werden“
Einmal einen Blick durch die Glaskugel in die Zukunft werfen – das wünschen sich viele. Doch das ist unmöglich – nicht nur, weil kein Mensch hellsehen kann, sondern auch, weil es nicht diese eine vorgegebene Zukunft gibt. Mit ihrer Agentur shape of new helfen Simone Engelhardt und Rubén Granados Hughes aus München Unternehmen und Institutionen dabei, zukunftsfähig zu werden. Wie ein Umdenken funktionieren kann und wir die Zukunft aktiv mitgestalten können, verraten die beiden im Interview.
Simone, Ruben, ihr bezeichnet euer Unternehmen als Zukunftsforschungsagentur. Was kann man sich darunter vorstellen?
Simone: Wir beschäftigen uns mit allem, was sich rund um das Thema Zukünfte abspielt. Wir sagen absichtlich Zukünfte, weil es ja nicht die eine vorgeschriebene Zukunft gibt, sondern viele Möglichkeiten, wie man Zukunft gestalten kann.
Ruben: Wir denken in unserer Arbeit alles von der Zukunft her. Wir überlegen immer erst: Wie sieht der Zustand aus, zu dem wir hinwollen? Das ist bei allem, was wir machen, unser Vorgehen und unser roter Faden.
„Futures Journalism“: Wie ein neu gestrickter Journalismus über Zukünfte berichten könnte
Wie kann man sich eure Arbeit konkret vorstellen?
Simone: Es gibt verschiedene Felder, auf die wir uns fokussieren. Wir wollen zum einen eine Zukunftsmanufaktur sein. Das heißt, wir wollen mit unterschiedlichen Methoden, die wir individuell an unsere Kunden anpassen, Zukünfte gestalten. Zum anderen möchten wir auch eine Akademie für Zukünfte sein, also Menschen dazu bewegen, die Zukunft selbst zu gestalten und positive Visionen für die Zukunft zu entwickeln. Es gibt sehr viele negative Zukunftsvisionen, die ständig über einem kreisen – wir möchten dazu motivieren, anders zu denken. Ein weiteres Feld ist „Futures Journalism“. Hier beschäftigen wir uns damit, wie ein neu gestrickter Journalismus über Zukünfte berichten könnte. Mit dem Jetzt-Zustand beschäftigen sich journalistische Medien sehr stark, aber wir finden, dass sie auch verschiedene Zukunftsszenarien aufzeigen und damit die Leute abholen sollten. Unseren vierten Bereich nennen wir „Speculative Design“. Wir versuchen hier neue Perspektiven zu entwickeln, Dinge miteinander in Verbindung zu bringen, die man normalerweise nicht in Verbindung bringt. Zum Beispiel Zeitnot und Wildtiere. Diese beiden Themen scheinen erstmal nicht sehr viel miteinander zu tun zu haben, doch wir schauen uns an: Was können wir von Wildtieren lernen, um in Zukunft besser mit unserem gesellschaftlichen Zeitverständnis umzugehen?
Ruben: Unser Themenfeld „Speculative Design“ ist ein Prozess, bei dem wir mit unseren Kunden tatsächlich Gegenstände designen – mit dem Hintergedanken, dass man auch seine eigene Zukunft designt. So bringen wir die Menschen in Interaktion und ins Überlegen. Aus einer Zukunft als abstraktes Konzept wird auf diese Weise etwas Greifbares.
Ihr möchtet also auf verschiedenen Wegen dazu animieren, sich mit der Zukunft zu beschäftigen. Wie genau hilft das euren Kunden?
Ruben: Wir entwerfen mit ihnen gemeinsam Zukunftsbilder und beachten dabei aktuelle Entwicklungen. Wir möchten auf diese Weise angehende Trends entdecken, bevor sie richtig Fahrt aufnehmen. Sie können eine Grundlage sein, um weiter in die Zukunft zu denken und zu sehen, ob sie zu einem wünschenswerten Ergebnis führen können. Dadurch lassen sich Zukunftsstrategien ableiten und mögliche Richtungen aufzeigen, in die sich das Unternehmen transformieren könnte. Dabei möchten wir immer auch darauf aufmerksam machen, dass jeder gewisse Zukunftsbilder mit sich herumträgt, die oft durch Dystopien in Filmen oder Serien negativ geprägt sind. Wir versuchen, alternative und hoffnungsvolle Zukunftsbilder an unsere Kunden heranzutragen. Uns ist wichtig, dass die Zukunft als Möglichkeitsraum gesehen wird.
»Wenn man sich mit verschiedenen Zukunftsforschungsmethoden beschäftigt, macht sich ein ganz neuer Raum auf. Man kommt aus dem linearen Denken raus. Es ergeben sich plötzlich so viele neue Möglichkeiten, wenn man anfängt, visionär zu denken und nicht immer nur Schritt für Schritt.«
Simone Engelhardt
Mit wem arbeitet ihr konkret zusammen, wer sind eure Kunden?
Simone: Es wenden sich viele Medienhäuser an uns, aber auch öffentliche und politische Institutionen. Vor allem sind es Abteilungen, in denen sich viel verändert, etwa Personalentwicklung oder Personen, die Transformationsprozesse innerhalb eines Unternehmens begleiten.
Ihr bezeichnet euch beide als Futurist:in. Was fasziniert euch an der Zukunft?
Simone: Wenn man sich mit verschiedenen Zukunftsforschungsmethoden beschäftigt, macht sich ein ganz neuer Raum auf. Man kommt aus dem linearen Denken raus. Es ergeben sich plötzlich so viele neue Möglichkeiten, wenn man anfängt, visionär zu denken und nicht immer nur Schritt für Schritt. So bekommt man die Chance, eine andersartige und nachhaltige Zukunft zu gestalten.
Ruben: Was mich an der Zukunft so fasziniert, ist der philosophische Ansatz: Die Zukunft gibt es ja in der Realität gar nicht, sie entsteht in unseren Köpfen. Wir konstruieren sie. Wenn einem bewusst wird, dass wir die Zukunft selbst beeinflussen können, hat man plötzlich so eine Power und beginnt wirklich darüber nachzudenken, wie man sich die Zukunft eigentlich wünscht.
Wenn das lineare Denken aufhört, kommt die Unsicherheit
Wie sehen die Reaktionen auf eure Ideen und Gedanken aus?
Ruben: Meistens sind sie sehr ähnlich. Wir gehen immer recht systematisch an das Thema heran: Zuerst schauen wir uns den Ist-Zustand an und bewegen uns gedanklich immer weiter Richtung Zukunft. Irgendwann kommt der Punkt, an dem wir in Zukunftsbildern denken. Dann verlassen wir das lineare Denken und die Unsicherheit kommt ins Spiel. Die meisten Leute tun sich dann sehr schwer und denken erst einmal gegen eine Wand. Doch irgendwann durchbrechen sie diese und beginnen, sich mit Imaginationskraft auszumalen, was sein könnte. Das ist der Magic Moment – wenn wir merken, dass sich die Leute plötzlich Dinge vorstellen, auf die sie normalerweise nicht gekommen wären, weil sie sich sonst immer nur mit den Problemen der Gegenwart beschäftigen.
Bei welchem eurer Projekte ist dieser Prozess besonders gut gelungen?
Ruben: Wir dürfen aktuell eine gesellschaftliche Institution beraten und begleiten. Wir haben hier zunächst ganz viele Informationen zum Status quo, zu möglichen Trends und Wünschen gesammelt. Diese Informationen haben wir dann in verschiedene Zukunftsszenarien gegossen. Das heißt, wir haben uns alle möglichen Wege in die Zukunft vorgestellt, uns überlegt, was passieren könnte, wenn sich dieser und jener Faktor ändert, oder auch, was passieren könnte, wenn man gewisse Themen ausblendet. Dabei kommen Learnings heraus: Welche Dinge sollte man nicht unter den Tisch fallen lassen? Welches Potenzial steckt in dem Vorhaben? Aus den einzelnen wünschenswerten Zukünften ergibt sich eine Gesamtvision, auf die die Institution nun hinarbeiten kann.
Simone: Wir sprechen viel darüber, wie diese Vision zu erreichen ist. Dabei geht es auch um narrative Dinge – wie kommuniziert man die Vorstellungen an die Mitarbeitenden und nimmt sie mit auf den Weg? Wie kann man das neue Zukunftsbild erfahrbar und greifbar machen, sodass alle darauf hinarbeiten möchten?
Ihr beschäftigt euch auch mit dem Thema „Futures Journalism“. Was genau seht ihr euch dabei an?
Simone: Wir möchten ganz offen untersuchen, wie Journalismus gerade mit Zukünften umgeht. Es gibt ein paar Formate, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema beschäftigen. Die Frage ist aber: Wie könnte man das mit Hilfe der Zukunftsforschung methodisch und mit Struktur angehen? Wir wollen dabei zwei Seiten betrachten. Zum einen: Wie berichtet Journalismus über Zukunft? Und zum anderen: Wie müsste Journalismus sich verändern oder neu gedacht werden, um überhaupt diesen Raum zu schaffen? Welche neuen Rollen müsste es geben, damit zukunftsorientierte Berichterstattung möglich wird? Wäre die Rolle eines ein narrativen Visionärs oder etwa ein Future News Desk eine Idee?
Ruben: Viele journalistischen Finanzierungsmodelle funktionieren aktuell gar nicht mehr. Auch das ist ein Thema, das wir in unsere Untersuchungen einbeziehen wollen.
Finanzierung im Journalismus: Keine Antworten, aber Denkanstöße
Wie sich Journalismus in Zukunft finanzieren kann, ist schon lange Thema in den Medienhäusern. Habt ihr da schon neue Ansätze oder gar Lösungen gefunden?
Simone: Es wäre verwegen, zu behaupten, dass wir da Antworten hätten – die hat keiner. Wir können höchstens Schlagworte ins Spiel bringen und Denkanstöße geben. Studien zeigen zum Beispiel ganz deutlich, dass man vielen Menschen mehr zumuten kann, als es momentan gemacht wird. Mehr Komplexität, mehr Positivität, mehr Inspiration, mehr Handlungsfähigkeit. Das könnten journalistische Medien noch viel mehr für sich nutzen. Eine andere Idee wäre, dass gerade Lokalmedien in ihrer Region noch viel mehr rausgehen, mit den Leuten ins Gespräch kommen und vielleicht sogar mit ihnen zusammen die Zukunft gestalten könnten. Da steckt ganz viel Potenzial drin.
Ruben: Letztendlich geht es darum, individuelle Lösungswege zu finden. Wenn wir mit Medienhäusern zusammenarbeiten, sehen wir uns an, was das Medium ausmacht, welche Stärken und Schwächen es hat und wie die Bedürfnisse der Nutzer:innen aussehen. Daraus ergibt sich dann, in welche Richtung man sich bewegen kann. Pauschal kann man nur sagen: Um zukunftsfähig zu werden, muss man sich bewegen.
»Menschen haben meistens keinen intrinsischen Wunsch, sich zu verändern. Oft ist es der Druck von außen, der einen dazu bewegt – die Umwelteinflüsse ändern sich und wir müssen darauf reagieren.«
Rubén Granados Hughes
Wenn ihr drei Tipps nennen müsstet, mit denen Unternehmen zukunftsfähiger werden könnten, welche wären es?
Simone: Erstens: Sich mit Zukunft beschäftigen und das im Unternehmensalltag zum Thema machen – das ist das Wichtigste, denn meistens fehlen die Freiräume dafür. Zweitens: zukunftsorientiertes Denken in der Ausbildung und Weiterbildung von den Mitarbeitenden einbauen.
Ruben: Und Komplexität und Ungewissheit annehmen und schätzen lernen und eben keine Angst vor komplexem Denken haben. Erst dann ist man in der Lage, über den Tellerrand zu schauen und Zukunftsbilder zu entwickeln.
Vielen fällt es schwer, aus Gewohnheiten auszubrechen und Neues zu wagen. Warum ist das so?
Ruben: Menschen haben meistens keinen intrinsischen Wunsch, sich zu verändern. Oft ist es der Druck von außen, der einen dazu bewegt – die Umwelteinflüsse ändern sich und wir müssen darauf reagieren.
Simone: Der individuelle Charakter spielt dabei aber auch eine wichtige Rolle. Es gibt Leute, die Veränderung mögen und ständig etwas Neues sehen wollen. Und dann gibt es Leute, die eher Stabilität mögen. Ideal ist es, wenn man diese Menschen zusammenbringt: diejenigen, die visionär denken, und die anderen, die große Ideen auffangen können.
„Ich würde mir wünschen, dass man als Gesellschaft besser darin wird, mit Komplexität umzugehen. Die Entwicklung des öffentlichen Diskurses geht leider immer mehr dazu, dass sich zu einem polarisierenden Thema zwei Lager bilden, es gibt entweder Schwarz oder Weiß. Die Welt ist aber komplex und vor allem oft super widersprüchlich.“
Rubén Granados Hughes
Wagen wir einen abschließenden Ausblick: Welche Zukunft wünscht ihr euch in zehn Jahren?
Simone: Ich fände es wichtig, dass wir es als Gesellschaft schaffen, über Visionen und Zukünfte zu sprechen. Dass wir als Unternehmen oder auch Einzelpersonen kommunizieren können, wo wir hinwollen, um dann gemeinsame Visionen formulieren und kooperieren zu können. Kein Mensch kann alleine die Zukunft gestalten, aber gemeinsam können wir das schaffen.
Ruben: Ich würde mir wünschen, dass man als Gesellschaft besser darin wird, mit Komplexität umzugehen. Die Entwicklung des öffentlichen Diskurses geht leider immer mehr dazu, dass sich zu einem polarisierenden Thema zwei Lager bilden, es gibt entweder Schwarz oder Weiß. Die Welt ist aber komplex und vor allem oft super widersprüchlich. Wenn wir uns das ins Gedächtnis rufen, würde uns das sehr helfen. Und zum anderen: Wie schön wäre es, wenn wir eine Zukunftsvision für unsere Gesellschaft hätten? Die gibt es nämlich momentan nicht, auch die Politik reagiert nur auf aktuelle Probleme. Ich würde mir wünschen, dass man ein Zukunftsbild formuliert, in dem sich jede:r wiederfindet und sagt: Da sehe ich mich, in diese Zukunft möchte ich einziehen.
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