Steffi Czerny: „Was Innovation betrifft, ist München für mich eine der tollsten Städte der Welt“

Von Katrin Reichwald

Seit 2005 lockt der DLD (Digital Life Design) kreative Köpfe und Vordenker*innen aus aller Welt nach München, um die großen Themen der Zukunft zu diskutieren. Im Interview verrät Steffi Czerny, Gründerin der Innovationskonferenz, was sie aktuell besonders umtreibt, warum Optimismus gerade jetzt wichtig ist und wieso es unbedingt das Wort „Neulust“ geben sollte.

DLD gibt es nun bereits seit 15 Jahren. Seit der ersten Ausgabe hat sich einiges getan. Wie nehmen Sie diese Entwicklungen wahr?

Steffi Czerny: Der DLD beschäftigt sich von Anfang an vor allem mit dem Thema, wie die Digitalisierung unsere Gesellschaft und unsere Welt verändert. Bei der ersten Konferenz 2005 kannte man gerade einmal WIFI. Prompt hat das WIFI damals im Nymphenburger Schloss nicht funktioniert (lacht). Marc Samwer (Anm. d. Red.: Unter anderem der Gründer von Rocket Internet und der Jamba! GmbH) hat damals noch über Klingeltöne gesprochen. Für uns war es zu dieser Zeit unvorstellbar, wie schnell die Digitalisierung voranschreiten würde. Trotzdem konnte man da schon spüren, dass etwas auf uns zukommt, was unsere Welt grundlegend verändern wird.

In DLD steckt viel Kunst. Zum Teil werden durchaus Künstler*innen eingeladen, deren Schaffen nicht ganz leicht zu greifen ist.

Czerny: DLD war nie eine reine Technologiekonferenz. Wir verstehen uns als eine interdisziplinäre Konferenz, bei der die Kunst ein wichtiger Bestandteil ist. In der gesamten europäischen Geschichte zeigt sich, dass Künstler Seismografen gesellschaftlicher Veränderungen sind. Ein Leonardo da Vinci war nicht nur Maler, sondern hat sich mit Wissenschaft, Anatomie und Brückenbau beschäftigt. Solche Menschen trifft man auch heute noch. Ich lade solche Künstler deshalb ein, um ihren Perspektivenwechsel kennenzulernen und ihre Art zu denken.

Oft kann man daran erkennen, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickeln wird. Wir haben zum Beispiel schon ein paar Mal Tomas Saraceno eingeladen, der gerade zusammen mit der Stadt München das Projekt Aerocene gemacht hat. Aerocene sind die Windbewegungen in der Luft. Saraceno sagt, über kurz oder lang kann man diese zur emissionsfreien Fortbewegung nutzen. Diese branchenübergreifenden Zusammenhänge und Effekte faszinieren mich.

„Ich mag es, neue Dinge zu entdecken und alte in Frage zu stellen. Menschen kennenzulernen, die etwas verändern. Mir macht es Spaß, diese Menschen miteinander zu verbinden.“

Was hat Hubert Burda zu Ihnen gesagt, um Sie zu überzeugen, für ihn zu arbeiten?

Czerny: Hubert Burda ist nicht nur Verleger, sondern auch Kunsthistoriker und sehr interessiert an der Verbindung zwischen Poesie und Wirtschaft. Der humanistische Geist, den man in den Gesprächen mit ihm spürt, hat mich sehr inspiriert. Diese Mischung hat auch dazu geführt, dass er mich irgendwann gefragt hat, ob ich schon einmal von Online-Medien gehört hätte. Zu der Zeit konnte ich damit noch gar nichts anfangen, „Internet(t)“ hat für mich bedeutet, „seid nett zueinander“(lacht). Aber seine Neugier hat mich so beeindruckt, dass ich Ja gesagt habe, als er fragte, ob ich für ihn arbeiten will.

Sie sprechen von Neugier. Wie schaffen Sie es, über die ganzen Jahre hinweg neugierig zu bleiben?

Czerny: Schade, dass es das Wort „Neulust“ nicht gibt. So würde ich das gerne nennen. Gier ist ja etwas eher Negatives. Ich mag es, neue Dinge zu entdecken und alte in Frage zu stellen. Menschen kennenzulernen, die etwas verändern. Mir macht es Spaß, diese Menschen miteinander zu verbinden.

Es gibt da einen Spruch, den ich sehr schön finde: „On the long run, the future is decided by optimists.“ Ich denke, ich bin von Grund auf Optimistin. Dieses „lasst es uns so gut wie möglich machen“ und „lasst uns die Menschen treffen, die auch von diesem Optimismus beseelt sind“, inspiriert mich und treibt mich voran.

Wenn man auf das Jahr 2020 und die aktuellen Entwicklungen schaut, ist da auch Optimismus möglich?

Czerny: Unbedingt. Ich bin davon überzeugt, dass wir das, was gerade passiert, nutzen können, um etwas Besseres entstehen zu lassen. Nicht nur im Gesundheitssystem, sondern auch in Bezug auf unsere Gesellschaft und Europa. Wir müssen aktiver und engagierter werden. Den Funken dazu haben wir in den letzten Monaten schon gespürt. Ich glaube fest an das Sprichwort: nichts Schlechtes, wo nicht auch etwas Gutes ist.

„Ich mache zwar jetzt eine Konferenz, sehe diese aber auch als Medium. Es spielt keine Rolle, ob man Papier, Bildschirm, Podcast oder einen Konferenzsaal für seine Themen nutzt.“

Wo finden Sie selbst Ihre Inspiration im Moment? Normalerweise reisen Sie viel, lernen Menschen kennen.

Czerny: Ich lese viel – regionale und internationale Tageszeitungen. Wenn Journalisten Themen aufgreifen oder über Menschen berichten, die mich interessieren, mache ich mir hierzu Notizen. Dann fange ich an zu recherchieren und tauche immer tiefer ein: Um welche Themen geht es hier eigentlich und mit welchen anderen Themen lässt es sich vernetzen? Gerade jetzt, da das Reisen schwierig ist, empfehle ich jedem, viel zu lesen und sich so mit Dingen auseinander zu setzen, die man nicht kennt.

Wie viel Journalistin steckt noch in Ihnen?

Czerny: Ich würde sagen, sehr viel. Ich finde Journalismus immer noch aufregend, und ich betrachte mich auch immer noch als Journalistin. Ich mache zwar jetzt eine Konferenz, sehe diese aber auch als Medium. Es spielt keine Rolle, ob man Papier, Bildschirm, Podcast oder einen Konferenzsaal für seine Themen nutzt.

Was sind aktuell Ihre großen Themen?

Czerny: Die digitale Souveränität in Europa – das ist ein unglaublich wichtiges Thema, mit dem ich mich in der nächsten Zeit intensiv beschäftigen werde. Wir müssen uns wehren gegen die Dominanz der großen amerikanischen Player wie Amazon, Apple, Facebook und Google. Und wir müssen uns die Frage stellen: Wo bleibt Europa, wenn um alles der Klammergriff der USA und Chinas liegt? Was ist mit unserer Identität, unserer Souveränität?

Es geht nicht darum, diese Plattformen per se zu zerschlagen, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie keine kostenlosen Dienste sind. Für jeden Klick zahlen wir mit unseren privaten Daten.

Deshalb brauchen wir eine europäische Aufklärung zur Daten-Souveränität. Für viele Menschen ist das ein viel zu abstraktes Feld. Das ist eine Herausforderung, mit der wir leben und der wir uns stellen müssen.

„Was Innovation betrifft, ist München für mich eine der tollsten Städte der Welt – aber sie ist auch sehr teuer. Um Talente und kreative Menschen anzuziehen müsste mehr günstiger Mietraum geschaffen werden.“

Obwohl DLD mittlerweile in vielen Städten dieser Welt stattfindet – der Ursprung liegt in München. Wie steht es eigentlich um das bayerische Innovationspotenzial?

Czerny: Bayern ist ein großartiger Standort und ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig viele Menschen über das wissen, was vor ihrer Haustür passiert. Ich kann nur empfehlen: Bevor sie ins Silicon Valley fahren, sollten sie schauen, was hier los ist. In München tut sich so viel in der Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Das findet man in ganz wenigen Großstädten dieser Welt.

Was Innovation betrifft, ist München für mich eine der tollsten Städte der Welt – aber sie ist auch sehr teuer. Um Talente und kreative Menschen anzuziehen müsste mehr günstiger Mietraum geschaffen werden. Gründer dürfen nicht an den Kosten für Wohn- oder Arbeitsraum scheitern.

Was war für Sie selbst in der letzten Zeit die überraschendste Entdeckung, die Sie hier am Standort gemacht haben?

Czerny: Ich bin kürzlich nach Kloster Weltenburg gefahren und habe mir die wunderbare Asam-Kirche St. Georg angeschaut. Wenn Sie mich nun nach dem Medienbezug fragen – diese Kirchen sind Medien für sich. Im 18. Jahrhundert hatten die Menschen keine anderen medialen Kanäle. Es fasziniert mich, was da für Bauwerke entstanden sind, um Informationen und Themen zu transportieren und ein gemeinsames Bewusstsein zu schaffen.

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