
Foto: privat
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Sie wollen eine digitale Welt, die für alle Menschen zugänglich ist: Eye-Able ist ein junges Unternehmen aus Würzburg, das seine Kunden mit einer eigenen KI bei einem barrierefreien Webauftritt unterstützt. Innerhalb von fünf Jahren ist das Startup zu einem gefragten Unternehmen mit europäischem Stand gewachsen. Tom Gehring ist Teil des Teams und erklärt im Interview, wie Eye-Able das Internet inklusiver macht.
Tom, ihr habt euch mit „Eye-Able“ der digitalen Barrierefreiheit verschrieben. Warum liegt euch das Thema so am Herzen?
Tom Gehring: Barrierefreiheit im Alltag ist ein Thema, das viel diskutiert wird, Barrierefreiheit im Netz hingegen ist vielen nicht mal ein Begriff. Wir möchten die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken, denn: Unsere Welt wird immer digitaler, es findet immer mehr im digitalen Raum statt und es ist extrem wichtig, dass Menschen mit Behinderung ein Teil davon sein können. Wir wollen diesen Leuten die Chance geben, einen Alltag zu leben wie wir.
Wie genau ist die Idee für euer Unternehmen entstanden?
Tom: Hinter der Gründung von Eye-Able liegt eine persönliche Geschichte: Unser Gründer Oliver Greiner hat einen Freund, Lennart, der eine genetisch bedingte Sehschwäche hat. Oliver hat ihm schon zu Schulzeiten geholfen, von der Tafel abzulesen. Im Studium wurde es allerdings immer schwieriger für Lennart mitzuhalten – Vor allem, weil das Learning Management System der Uni nicht barrierefrei war. Er musste sein Studium abbrechen. Oliver hat sich daraufhin vorgenommen, etwas gegen diese fehlende Inklusion zu unternehmen. Er ist in die Forschung gegangen, hat in Zusammenarbeit mit dem Blindeninstitut in Würzburg ein Assistent Tool entwickelt, auf dem all die Tools, die wir heute bei Eye-Able anbieten, basieren.
Was genau bedeutet digitale Barrierefreiheit?
Tom: Grundsätzlich geht es darum, dass Menschen mit Einschränkungen – etwa einer Sehbehinderung oder Bewegungseinschränkung – eine Website navigieren und für sich erschließen können. Dafür ist es zum Beispiel wichtig, auf Kontraste und den richtigen Einsatz von Farben zu achten. Relevant ist auch, dass Bilder und Links immer mit Alternativtexten versehen sind, weil eine blinde Person mit einer Screenreader-Technologie ansonsten nicht nachvollziehen kann, was auf dem Bild passiert oder wohin der Link führt.
Was sind eure Schwerpunkte? Wie genau unterstützt ihr Unternehmen dabei, barrierefrei im Netz zu werden?
Tom: Zum einen haben wir ein Assist-Tool entwickelt, das auf den Websites unserer Kunden erscheint und den Endnutzer:innen dabei hilft, die Webseite nach den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Dazu gehören neben Kontrasteinstellungen die Anpassbarkeit der Schriftgröße sowie eine Vorlesefunktion und viele weitere hilfreiche Einstellungen.Das macht aber die Website an sich noch nicht barrierefrei. Um das zu schaffen, muss man den Website-Code anpassen – der muss die richtige Struktur haben. Wir haben eine Prüftechnologie entwickelt, die den Code checkt, Fehler sucht und analysiert. Durch diese Technologie können wir uns direkt anzeigen lassen, wo im Code der Fehler steckt. Über eine KI lassen wir uns eine automatisch generierte Lösung vorschlagen und können diese dann kopieren und einfügen – Problem gelöst.
Das klingt relativ einfach. Inwiefern hilft euch KI bei eurer Aufgabe, abgesehen von den automatisch generierten Lösungsvorschlägen?
Tom: KI spielt eine sehr große Rolle für uns und wir verwenden sie auf verschiedenen Ebenen. Wir haben zum Beispiel ein Sprachtool entwickelt, das einen Text in Sekundenschnelle in Einfache Sprache umformulieren kann. Das funktioniert so: Wir integrieren auf der Website unseres Kunden einen Button, den Nutzer:innen jederzeit klicken können. Dadurch wird der Text auf der jeweiligen Seite sofort umformuliert – in kürzere Absätze mit einfachen Hauptsätze, die die wichtigsten inhaltlichen Punkte wiedergeben.
Wer genau sind eure Kunden?
Tom: Wir arbeiten zum Beispiel mit Unternehmen, Onlineshops oder auch Sportvereinen zusammen. Einer unserer Kunden ist der FC St. Pauli. Das ist ein riesengroßer Verein und für uns natürlich ein repräsentativer Kunde. Was aber noch viel wichtiger ist: St. Pauli macht schon seit vielen Jahren viel für Inklusion und Gleichberechtigung. Wir haben die Vereinswebsite auf Barrierefreiheit geprüft und Fehler ausgebessert. Heute verwendet St. Pauli unseren Eye-Able Assist, der Homepage-Besucher:innen auf Knopfdruck unterstützt.
Die Gründer: Chris Schmidt, Tobias Greiner, Oliver Greiner und Eric Braun. / Foto: Eye-Able
Im Juni tritt in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Wie hoch ist das Bewusstsein für digitale Barrierefreiheit in der Gesellschaft? Wie wird es sich durch das Gesetz verändern?
Tom: Da ist aktuell noch viel Luft nach oben. Es ist schwer einzuschätzen, wie viele sich wirklich mit dem Gesetz beschäftigen, aber ich glaube, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich vermute, es verändert sich erst etwas in unserer Gesellschaft, nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist und die ersten Abmahnungen ausgesprochen werden. Es gibt einen Fall in Spanien, der ganz interessant ist: Eine spanische Airline wurde abgemahnt und musste 90.000 Euro Strafe zahlen. Vermutlich wäre die Summe für das Unternehmen gar nicht so schlimm gewesen, aber die Zeitungen haben über die Abmahnung berichtet – für die Airline war der repräsentative Schaden immens.
Worauf sollten Unternehmen jetzt besonders achten, wenn sie ihre Website barrierefrei gestalten wollen?
Tom: So kurz vor Eintritt des Gesetzes stecken wir gerade in einer heißen Phase. Zum einen wir als Unternehmen, weil der Markt riesig ist und das für uns eine Riesenchance bedeutet. Aber auch die Unternehmen, die jetzt ihre Websites umrüsten bzw. neu gestalten müssen. Für sie besteht die Gefahr, dass sie an fragwürdige Dienstleister geraten, die ihnen Unterstützung versprechen, aber keine wirkliche Hilfe sind. Sie könnten ihr eigenes Tool als scheinbare Lösung verkaufen, obwohl es die Websites in Wahrheit nicht barrierefreier macht. Für Internetnutzer:innen mit Behinderung wäre das natürlich extrem schade.
„Wir wollen aber erreichen, dass das Verständnis bei den Menschen dafür, dass es digitale Barrierefreiheit braucht, wächst. Und dass möglichst viele Websites inklusive und für die ganze Gesellschaft zugänglich sind.“
Viele haben die Befürchtung, dass sie sich nun zwischen Design und Barrierefreiheit entscheiden müssen. Schließt das eine das andere aus?
Tom: Nein, uns oder auch den Gesetzgebern ist bewusst, dass Corporate Branding zum Teil über 100 Jahre existiert und nicht so einfach geändert werden kann. Trotzdem sind manche Designs nicht gesetzeskonform, etwa weil die Kontraste nicht stimmen. Dafür gibt es aber Lösungen, zum Beispiel ein Assist-Tool, das die komplette Website auf Knopfdruck im Kontrastmodus anzeigt. Für alle anderen sieht die Homepage aus wie gehabt, aber Menschen mit einer Sehschwäche können die Bestandteile nun viel besser erkennen.
Was ist eure Vision für die nächsten Jahre? Wie soll sich die digitale Welt idealerweise entwickeln?
Tom: Idealerweise wäre sie in ein paar Jahren 100 Prozent barrierefrei. Da sich die digitale Welt aber so schnell verändert, ist das natürlich unmöglich. Wir wollen aber erreichen, dass das Verständnis bei den Menschen dafür, dass es digitale Barrierefreiheit braucht, wächst. Und dass möglichst viele Websites inklusive und für die ganze Gesellschaft zugänglich sind. Für uns als Firma wünschen wir uns, dass wir weiter expandieren und größer werden. Vor fünf Jahren wurde Eye-Able gegründet, mittlerweile haben wir rund 150 Mitarbeitende in mehreren europäischen Ländern wie Italien, Polen, Spanien und in den Niederlanden. Auch Interkontinental gibt es bereits einige Kunden und wir expandieren schnell und kontinuierlich. Wir träumen groß und glauben an unsere Vision.
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