Virtuelle Bühnen, echte Begegnungen: Das VR-Theater „Ekklesia“

Von Jonas Herrmann
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Foto: Staatstheater Augsburg

Wenn es um digitales Theater geht, macht kaum jemand dem Staatstheater Augsburg etwas vor. Mit dem VR-Spiel „Ekklesia“ vermischt die Digitalsparte des Hauses Elemente aus Theater, Hörspiel und Gaming. Ich wage den Selbstversuch und treffe die kreativen Köpfe hinter dem Projekt.

Ich schwebe in einem weißen Raum. Direkt vor mir erstreckt sich eine kleine Stadt aus hübschen Wohnhäusern, einer großen Kirche, einer Schule und verschiedenen Geschäften. Im Hintergrund sind eine Windmühle und kleine Wälder zu sehen. Ich suche einen Platz für ein riesiges Fußballstadion. Ich platziere es am Stadtrand, in dem ich einfach darauf zeige. Plötzlich erscheint eine als der griechische Gott verkleidete Schauspielerin über meiner Stadt und lobt mich für den Bau des Sporttempels. Der KI-Assistent Agi, ebenfalls von einem Schauspieler dargestellt, ermahnt mich ein paar Runden später, dass es der Stadt an Energie fehle, während der Kapitalist Dagobert vor allem Kaufhäuser und Einkaufszentren sehen will.

Ein Spiel, viele Städte: So funktioniert die VR-Experience „Ekklesia“

 

All das erlebe ich mit einer VR-Brille auf dem Kopf beim innovativen VR-Aufbauspiel Ekklesia, das das Staatstheater Augsburg seit dem 14. März im Alten Rock Café anbietet. „Ekklesia” kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Ort des Zusammenkommens”, was auch  auf diesen Abend passt. Bis zu acht Personen können gemeinsam an einer Aufführung teilnehmen, die abseits der virtuellen Welt herrlich analog funktioniert. Zwei Männer in weißen Laborkitteln begrüßen uns an diesem Abend und verteilen zu Beginn Fragebögen auf Papier – Ekklesia ist in eine fiktive Studie des „Internationalen Demographischen Instituts” eingebettet.  Die Männer  erklären die Technik, bevor jede:r für sich eine eigene kleine Stadt in der virtuellen Realität baut.

Etwa 45 Minuten sitzen ich und die anderen Teilnehmer:innen dann in das Spiel vertieft in der Runde und erleben gemeinsam und doch jeder für sich eine Geschichte. Diese wird von den Entscheidungen, die jede:r auf dem Weg trifft, maßgeblich beeinflusst. Statt des Fußballstadions hätte ich nämlich auch eine Universität, ein Einkaufszentrum oder ein Kompostwerk bauen können, was den Verlauf der Geschichte verändert hätte. Immer wieder begegnen mir dabei die Figuren Dionysos, Dagobert und Agi – verkörpert von Schauspieler:innen des Staatstheaters –, die in ihren Dialogen das Spannungsfeld aus Kultur, Wachstum und Nachhaltigkeit thematisieren.

 

»Wir wollen herausfinden, wie Geschichten durch das Medium VR neu erzählt werden können. Das ist etwas total ur-theatrales, zu sagen: Wir haben einen Text, eine Handlung, ein Bild und setzen uns damit auseinander, wie man das zu einem Publikum bringen kann.«

Lukas Baueregger
Teamleitung Digitaltheater

Foto: Staatstheater Augsburg

Die beiden „Forscher”, die uns zu Beginn begrüßt haben, sind Benjamin Seuffert und Lukas Baueregger. Seuffert studierte Interaktive Medien an der Hochschule Augsburg und schrieb seine Bachelorarbeit über das Thema „Virtual Reality für das Theater”. Baueregger kam im September 2020 als Regieassistent nach Augsburg. Sie leiten seit 2023 gemeinsam die für ihren Innovationsgeist bekannte Digitalsparte des Staatstheaters Augsburg. Sie haben die Idee zu Ekklesia gemeinsam erarbeitet und umgesetzt. Nach der Vorstellung – der dritten an diesem Abend – treffe ich die beiden zu einem Gespräch über Ekklesia, das Digitaltheater an sich und ihre Vision für das Staatstheater Augsburg.

Die weißen Kittel haben Baueregger und Seuffert da natürlich schon wieder abgelegt. Symbolisch würden sie aber auch außerhalb des Stücks gut zu den beiden passen. Das Forschen und Experimentieren mit neuen Medien und Möglichkeiten wie VR gehört nämlich fest zu ihrem Arbeitsalltag. „Wir wollen herausfinden, wie Geschichten durch dieses Medium neu erzählt werden können. Das ist etwas total ur-theatrales, zu sagen: Wir haben einen Text, eine Handlung, ein Bild und setzen uns damit auseinander, wie man das zu einem Publikum bringen kann”, erklärt Lukas Baueregger.

Die Produktion dahinter: Durchdachte Regie und Game-Programmierung

 

Im Fall von Ekklesia von einer einzigen Geschichte zu sprechen, wäre falsch. Tatsächlich erzählt das Projekt eine ganze Reihe von Geschichten. Laut Baueregger sei es nahezu ausgeschlossen, dass zwei Teilnehmer:innen exakt dieselbe Story erleben. Ekklesia besteht nämlich aus 60 einzelnen Szenen, die so geschrieben und inszeniert sind, dass sie in nahezu beliebiger Reihenfolge abgespielt werden können.

Diese Szenen sind in Zusammenarbeit mit dem Bühnenautor Robert Rausch entstanden, der, so Baueregger, genau der richtige für dieses Projekt gewesen sei. Er schreibe laut Seuffert, „zum einen sehr lustig, aber auch sehr gesellschaftsaktuell und kritisch, was eine gute Kombination darstellt.” Zudem könne er auch den Überblick über das Gesamtwerk behalten – eine echte Leistung bei einer derart verschachtelten Struktur. Während Seuffert größtenteils in Eigenregie die 3D- und Game-Programmierung übernommen hat, lagen Regie und Produktion bei Baueregger.

Das Setting: Im Alten Rock Café in Augsburg können gleichzeitig acht Teilnehmer:innen das VR-Stück „Ekklesia“ erleben. / Foto: Staatstheater Augsburg

Das Setting: Im Alten Rock Café in Augsburg können gleichzeitig acht Teilnehmer:innen das VR-Stück „Ekklesia“ erleben. / Foto: Staatstheater Augsburg

Das Setting: Im Alten Rock Café in Augsburg können gleichzeitig acht Teilnehmer:innen das VR-Stück „Ekklesia“ erleben. / Foto: Staatstheater Augsburg

Der Blick durch die VR-Brille: Immer wieder begegnen einem die drei Figuren Dionysos, Dagobert und Agi – verkörpert von Schauspieler:innen des Staatstheaters. Währenddessen baut jede:r Teilnehmer:in eine ganz eigene Stadt. / Foto: Staatstheater Augsburg

Die Regiearbeit an Ekklesia habe sich grundsätzlich von anderen Bühnenproduktionen unterschieden. Bei dem VR-Stück gibt es zwar einen Anfang und mehrere Enden, Verlauf des Stücks kann aber Unterschiedliches passieren. Das musste bei den Aufnahmen mit den Darsteller:innen bedacht werden. Zudem seien die meisten Schauspieler:innen gewohnt, vieles mit Gestik auszudrücken. Etwa zwei Drittel der Szenen sind aber reine Tonaufnahmen, bei denen Betonung und Sprachfluss viel wichtiger sind.

Die Arbeit hat sich gelohnt. Neben der VR-Inszenierung von „Der Sandmann”, die zusammen mit der Augsburger Puppenkiste entstanden ist, bezeichnen Seuffert und Baueregger Ekklesia als ihren bisher größten Erfolg, seit sie die Leitung der Digitalsparte übernommen haben. „Das ist unser erstes großes eigenes Projekt, dass wir uns von Null weg ausgedacht und umgesetzt haben”,  erklärt Benjamin Seuffert.

Das Stück habe aber auch ein paar Hindernisse und Schwierigkeiten aufgezeigt, mit dem das digitale Theater im Moment noch kämpft. Zum Beispiel die Anzahl der Zuschauer:innen. An einer Aufführung können nur acht Personen teilnehmen. Kein Vergleich zu großen Inszenierungen, die jeden Abend von über 500 Leuten besucht werden.

Von einer Notlösung zum festen Bestandteil: VR als neues Erzählmedium für das Theater

 

Das Digitaltheater in Augsburg wurde von der Corona-Pandemie gewissermaßen zu einem günstigen Zeitpunkt überrascht. Für eine geplante Inszenierung hatte man zuvor bereits in VR-Hardware investiert und konnte aus der Not schnell eine Tugend machen. Heute lassen sich 16 VR-Inszenierungen beim Staatstheater erleben. Im Onlineshop bestellt man dafür ein Ticket für das gewünschte VR-Theaterstück sowie die passende Brille. Als Leihgabe wird sie zusammen mit den nötigen Anweisungen bis an die Haustür geliefert. Als Zuschauer:in kann man die Inszenierung bequem im eigenen Wohnzimmer genießen.

Gleichzeitig sei das Bedürfnis nach Austausch im Anschluss an solche VR-Inszenierungen aber immens. Ekklesia ist ein Versuch, diese Gegensätze zu vereinen und – wie es Baueregger ausdrückt – theatrale Begegnungsräume zu schaffen. Daher ist es auch nicht geplant, Ekklesia über den Bestellservice anzubieten. Man möchte, dass das Publikum in einem Raum zusammenkommt, eigene Geschichten erlebt und sich darüber austauscht. „Unsere ständige Bestrebung ist es, diese Technik, die eigentlich für individuelle Personen gemacht ist, in einem Kontext einzusetzen, in dem man zusammen etwas erleben kann. In dem man aber gleichzeitig die Möglichkeit behält, etwas Individuelles zu erzählen“, erklärt Benjamin Seuffert.

 

»Wir können etwas Schönes um der Schönheit Willen machen, das freut mich.«

Benjamin Seuffert
Teamleitung Digitaltheater

Foto: Staatstheater Augsburg

Das Digitaltheater in Augsburg wird sehr ernst genommen und ist gleichgestellt mit dem Schauspiel, der Oper, dem Ballett und dem Konzert. Sowohl vom Theater als auch von der Stadt und dem Freistaat sei großes Interesse und die Bestrebung, das Digitaltheater voranzubringen, zu jeder Zeit spürbar. Diese Möglichkeiten in Bayern weiß Benjamin Seuffert sehr zu schätzen: „Wir können etwas Schönes um der Schönheit Willen machen, das freut mich.“

Der Medienstandort Bayern ermögliche dabei neben ausreichend finanziellen Ressourcen im Kultur-Sektor, auch kurze Wege und den Eintritt in eine „coole Szene“, wie es Seuffert ausdrückt. In Augsburg, München und ganz Bayern sei man auf viele Menschen getroffen, die sich bestens mit allerneuester Technik auskennen. Zudem hätten viele Unternehmen, die passende Lösungen anbieten, hier ihren Sitz. So könne man einfach bei Partnern im Büro vorbeischauen und Ideen direkt vor Ort besprechen.

Ein Blick in die Zukunft – wohin das VR-Theater steuert

 

Gegen Ende unseres Gesprächs wagen Seuffert und Baueregger einen Blick in die Zukunft des VR- und Digitaltheaters. Ihre Hoffnung: rgendwann noch mehr Hand in Hand mit klassischen Bühnen-Inszenierungen zu arbeiten. Mixed- und Augmented-Reality dürften dann laut Baueregger eine noch wichtigere Rolle spielen.

So soll das Theater auch in Zukunft ein „Ort der Zusammenkunft“ bleiben. Erweitert mit Möglichkeiten, die derzeit in Augsburg erforscht werden. Wer Interesse hat und direkt an dieser Forschung teilhaben möchte, kann im Rahmen von Ekklesia noch an mehreren Terminen bis in den Juli in die virtuelle Welt des Staatstheater Augsburg eintauchen.

 

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