DAS VIRTUELLE KLASSENZIMMER

LIEGT DIE ZUKUNFT DER DIGITALEN BILDUNG IN EICHSTÄTT? DORT LEISTET DAS INSTITUT FÜR DIGITALES LERNEN PIONIERARBEIT.

Text: Alissa Selge
Fotos: Sebastian Arlt

Das nachmittägliche Septemberlicht flutet den Eichstätter Hofgarten, als Florian Sochatzy und Johannes Grapentin ihn durchqueren. Auf ihrem Weg grüßen sie mehrere Bekannte, ein paar Meter weiter spielt Sochatzys Tochter auf einem Kindergeburtstag. Eichstätt hat 13.000 Einwohner:innen, da trifft man öfter jemanden, den man kennt. Und die Geschäftsführer des Instituts für digitales Lernen fallen auf – vor allem, wenn sie wie jetzt fürs Fotoshooting, VR-Brillen unterm Arm tragen.

Ursprünglich sind die beiden für ihr Studium in die barocke Kreisstadt gekommen – geblieben sind sie, um von hier aus die Zukunft der Bildung zu erforschen. Grapentin ist ausgebildeter Englisch- und Geschichtslehrer, hat aber nach dem Referendariat crossmediale Projekte in einem Verlag umgesetzt. Sochatzy hat Englisch, Geschichte und Geschichtskultur studiert und dann promoviert. Die Frage, wie digitale Wissensvermittlung im 21. Jahrhundert aussehen kann, hat die beiden aber nicht mehr losgelassen. Mit dem Institut für digitales Lernen arbeiten Sochatzy und Grapentin deshalb nun an digitalen Lernumgebungen.

»Wir möchten zeigen, wie Schule sein kann, wenn man sich von alten Prämissen löst.«

Florian Sochatzy

 

Ihr erstes Projekt: das „mBook“, ein interaktives Lernmedium, das sich mit dem Tablet oder Rechner nutzen lässt. „Das ,mBook‘ war das erste volldigitale und multimediale Schulbuch mit einem vollständig didaktischen Konzept. Im Fokus steht immer die Frage: Warum spielt dieses Thema für mich und mein Leben eine Rolle? Das ist ein Ansatz, den es so noch nicht gab“, erklärt Sochatzy. Was als „mBook“-Geschichte begann, entwickelt mittlerweile der Cornelsen-Verlag weiter. Der Verlag kaufte die Schulbuch-Innovation 2017 und bietet sie inzwischen für mehrere Schulfächer und verschiedene Jahrgangsstufen an.

Florian Sochatzy und Johannes Grapentin (r.) wollen mit dem Institut für digitales Lernen die Zukunft der Bildung erforschen.

Das Institut für digitales Lernen denkt mittlerweile deutlich größer. „Wir möchten zeigen, wie Schule sein kann, wenn man sich von alten Prämissen löst. Weg mit Noten, Traditionen, Lehrern und Brandschutzverordnungen“, erklärt Sochatzy. Aktuell entwickeln er und Grapentin mit ihrem Team aus acht fest angestellten und 20 freien Kolleg:innen eine komplett virtuelle Schule – zu betreten nur mit VR-Brillen. „Wir berücksichtigen die Erkenntnisse der Didaktik, Pädagogik und Lernpsychologie, die in den letzten 50 Jahren gewonnen wurden“, ergänzt Sochatzy. „Die werden aktuell im Konzept Schule nämlich fast alle ignoriert. Heute liest man im Unterricht einen Text und gibt seinen Inhalt wieder, das ist rein abstraktes Wissen. In einem virtuellen Klassenzimmer kann ich die Erfahrungen selbst machen.“

Konkret sehen die virtuellen Klassenzimmer so aus: Auf sogenannten Lerninseln können die Schüler.innen übergreifende Themenkomplexe wie Nachhaltigkeit oder Globalisierung erkunden. Letzteres zum Beispiel durch den virtuellen Besuch eines Containerhafens, bei dem sie herausfinden können, wie der Warenverkehr funktioniert und was das für den Welthandel bedeutet. Das Konzept und der Prototyp stehen, erste Entwicklungspartner sind mit an Bord, weitere werden gesucht.

»Vor Corona mussten wir Ideen entwickeln und damit hausieren gehen. Jetzt heißt es: Ihr müsst uns ganz schnell eine Lösung besorgen.«

Johannes Grapentin

 

Im Zuge ihrer Digitalmission leisten die Mitarbeiter:innen des Instituts für digitales Lernen viel Überzeugungsarbeit, halten Vorträge zu digitalen Innovationen im Bildungsbereich und veranstalten Fortbildungen zum Thema Virtual Reality. Der Weg ist allerdings mühsam. Bisher waren nur wenige Bildungsinstitutionen bereit, die Digitalisierung im Schulsystem weiterzuentwickeln. Oft fehlt es an der IT-Ausstattung.

Das könnte sich bald ändern. Durch die Corona-Pandemie waren Bildungseinrichtungen gezwungen, den Unterricht von einem Tag auf den anderen ins Digitale zu verlegen. Das machte deutlich, wie groß die Unterschiede in der technischen Ausstattung und der digitalen Kompetenz des Lehrpersonals an den einzelnen Schulen sind. Und vor allem: wie wichtig es ist, dass sich etwas ändert. „Vor Corona mussten wir Ideen entwickeln und damit hausieren gehen“, erzählt Grapentin. „Jetzt heißt es: Ihr müsst uns ganz schnell eine Lösung besorgen.“

Eine dieser Lösungen, an denen sie arbeiten: E-Learning-Module, die für ein selbstständiges Lernen zu Hause ausgelegt sind. „Der aktuelle Digitalschub ist eine Bewegung in die richtige Richtung“, resümiert Sochatzy.

Eine Richtung, die aus einer Stadt heraus mitgestaltet wird, in der Geschichte, Tradition und Innovation als spannende Gegensätze aufeinanderprallen und die Sochatzy und Grapentin gegen keine andere eintauschen wollen: „Wenn man das digitale Arbeiten ernst nimmt, wird der Standort immer unwichtiger. Wir sind hier Teil einer Gemeinschaft. Und wenn wir mit dem Mountainbike rauswollen, startet der Trail direkt hinter der Haustür.“ Oder, wie Sochatzy sagt: „Eichstätt ist wie ein Klettverschluss. Wenn man drauffällt, bleibt man hängen.“

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