Von Kunst bis Gaming: So innovativ ist Bayerns XR-Kreativszene

Von Wolfgang Kerler

Bild: Blickwinkel Tour

Die ersten, die das Potenzial von XR entdeckten, waren Künstler:innen und Games-Entwickler:innen. Seit Jahren nutzen sie XR, um ihr Publikum in völlig neue Welten zu entführen und auf innovative Weise zu unterhalten. Die bayerische XR-Szene gehört dabei zu den aktivsten überhaupt, weshalb selbst diese Übersicht mit zehn spannenden Kunstwerken, Vordenker:innen, Games und Angeboten aus Kultur und Entertainment nur einen kleinen Einblick in die Vielfalt der bayerischen XR-Projekte gibt.

EMIXAR Continuum

Dieses XR-Kunstprojekt stimuliert alle Sinne und lässt physische und virtuelle Welt auf nie dagewesene Weise verschmelzen. Ende 2024 konnten Besucher:innen in der Münchner Spielstätte „Schwere Reiter“ die Weltpremiere der Ausstellung EMIXAR Continuum – Extended Reality Art Exhibition erleben, aktuell ist sie auf Reisen und begeistert Kunstliebhaber:innen in New York City, Mexico City und Wien. Gemeinsam mit namhaften Künstler:innen wie Ugo Dossi und Tatjana Busch inszeniert das Münchner XR-Studio Govar eine Kombination aus traditioneller physischer Kunst mit virtuellen Objekten, Portalen und Räumen. Die Grenzen der Vorstellungskraft werden erweitert. Bis zu 60 Personen mit Mixed-Reality-Brillen können die Ausstellung gleichzeitig besuchen. Möglich wird das Projekt auch durch die Förderung des FFF Bayern.

Tamiko Thiel

Die in München lebende und vielfach ausgezeichnete Künstlerin Tamiko Thiel gehört zu den Pionier:innen der XR-Kunst, weshalb sie in die renommierte AWE XR Hall of Fame aufgenommen wurde. Mit Steven Spielberg arbeitete sie schon in den 1990er Jahren am ersten Metaverse für Kinder. Ihre wegweisenden Arbeiten, die sich mit komplexen Themen wie Globalisierung, Umweltfragen und kultureller Identität auseinandersetzen, wurden weltweit ausgestellt – vom MoMA in New York bis zur Ars Electronica in Linz. Ihr Werk Beyond Manzanar war die erste VR-Installation überhaupt, die von einem US-Museum erworben wurde. Auch bedeutende Augmented-Reality-Arbeiten gehören zu ihrem Werk, darunter Unexpected Growth (Whitney Museum), ReWildAR (Smithsonian Institution) und Waldwandel/Forest Flux (Kunsthalle München).

Bild: Kunsthalle München / Tamiko Thiel

XR IS NOW: Immersive Welten für Business, Bildung und Kreativität

Hol dir den Report über die aktuellen Entwicklungen der XR-Szene in Bayern.

Oktoberfest - The Official Game

Pünktlich zum Start des Münchner Oktoberfests im September 2024 bekam die Wiesn ihr offizielles Spiel – und das in Virtual Reality. In hübscher Comicgrafik können Spieler:innen das weltbekannte Volksfest gemeinsam erleben – Stichwort: Social VR –, ihre Avatare in Tracht einkleiden, Fahrgeschäfte wie Top Spin mit realistischen Bewegungseffekten besuchen, Mini-Spiele wie Dosenwerfen, „Fliegende Frösche” und „Hau den Lukas” absolvieren oder in die Rolle von Bierzelt-Kellner:innen schlüpfen. Das vom FFF Bayern geförderte Game wurde vom Münchner Studio K5 Factory entwickelt, das sich auf XR-Projekte spezialisiert hat und mit der VR-Experience The Walled Off Hotel, das die Kunst von Banksy im gleichnamigen Hotel in Bethlehem virtuell darstellt und Nutzer:innen den israelisch-palästinensischen Konflikt vermittelt, bereits internationale Anerkennung bekam.​

Bild: K5 Factory

#MakeUsVisible x denkFEmale

Mehr als 90 Prozent aller Denkmäler in München zeigen Männer. In anderen Städten ergibt sich ein ähnliches Bild. Doch mit XR, insbesondere mit Augmented Reality, lässt sich das Stadtbild diverser machen! Das bewies 2022 das Projekt #MakeUsVisible x denkFEmale, bei dem 31 digitale Monumente von Frauen und trans*Personen in München platziert wurden – als virtuelle Objekte, die per Smartphone oder Tablet kostenlos entdeckt werden konnten. Zu den beteiligten Künstler:innen gehörten XR-Pionier:innen wie Tamiko Thiel und Will Pappenheimer sowie etablierte Digitalkünstler:innen wie Dagmar Schürrer, Carla Gannis und Betty Mü. Das von Anne Wichmann, Tabitha Nagy und Amadea Pely initiierte Projekt steht stellvertretend für XR-Kunst, die in den physischen öffentlichen Raum interveniert, um gesellschaftliche Debatten zu fördern.

Hologate

Gemeinsam in Virtual Reality die Rätsel eines immersiven Escape Rooms lösen oder abenteuerliche Shooter meistern? Mit den Systemen des weltweit führenden Münchner Unternehmens Hologate ist das möglich. Es hat sich auf ortsgebundene VR-Attraktionen für mehrere Spieler:innen spezialisiert – mit großem Erfolg. Weltweit konnte das Unternehmen über 450 Anlagen in 35 Ländern schlüsselfertig installieren, in Freizeitparks, Einkaufszentren, VR-Spielhallen. Die Games, die Hologate entwickelt hat, reichen inzwischen von der virtuellen Geisterjagd-Ausbildung in der Ghostbusters VR Academy bis zur familienfreundlichen Koch-Challenge Captain Cook. Sie wurden bereits von Millionen von Menschen gespielt.

Bild: Hologate

Digitales Theater mit XR

Bayerische Häuser gehören weltweit zu den Vorreitern beim Einsatz von Virtual, Augmented und Mixed Reality für Theaterproduktionen. Das Staatstheater Augsburg ermöglicht mit seinem Angebot vr-theater@home schon seit 2020 private Theater-Erlebnisse in XR. Das Publikum kann VR-Brillen mitsamt der eigens für VR geschaffenen Inszenierungen nach Hause bestellen. Im September 2024 erschien als Kooperation mit der Augsburger Puppenkiste mit einer Inszenierung von E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann bereits die 15. VR-Produktion des Augsburger Hauses, dessen Digitalsparte in Deutschland einzigartig ist. Auch mit hybriden Inszenierungen wie Christoph Willibald Glucks Oper Orfeo ed Euridice im eigenen Haus, die zwischen klassischem Bühnengeschehen und VR-Welten wechseln, leistete das Staatstheater Augsburg Pionierarbeit. Ebenfalls einzigartig: Die digitale Spielstätte Extended Reality Theater (XRT) im Schauspielhaus des Staatstheaters Nürnberg, in der digitale Bühnenbilder und Kulissen zum Einsatz kommen, Schauspieler:innen mit Avataren interagieren und das Internet Teil von Inszenierungen wird. Auch das Münchner Residenztheater setzt auf XR für völlig neue Inszenierungen.

XR im Museum

Bayerische Museen setzen seit Jahren immer wieder XR-Technologien ein, um den Museumsbesuch für alle Altersklassen noch interessanter zu machen. Ganz neu: das Augmented-Reality-Game Spiel der Schlange der gerade wiedereröffneten Archäologischen Staatssammlung in München. Per Tablet können Besucher:innen dabei ihr Wissen über Archäologie testen, angeleitet von der virtuellen Hausschlange Sissi. Das Deutsche Museum Nürnberg – das Zukunftsmuseum – widmete dem Metaverse in diesem Jahr eine erfolgreiche Sonderausstellung, die nicht nur die Geschichte virtueller Welten vom Science-Fiction-Klassiker Snow Crash bis zu den Visionen Mark Zuckerbergs erklärte, sondern auch zur Diskussion über die Zukunft digitaler Räume einlud.

Bild: Archäologische Staatssammlung / Stefanie Friedrich

Duchampiana

Die Kombination von XR mit anderen Technologien ermöglicht völlig neue Experiences. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die immersive VR-Kunstinstallation Duchampiana, die auf den 81. internationalen Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte – eine Kollaboration der renommierten Künstlerin Lilian Hess mit dem in München ansässigen Studio mYndstorm productions sowie Tchikiboum aus Frankreich. Im Kern der interaktiven Installation, die von Marcel Duchamp’s ikonischer Arbeit Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 inspiriert wurde, steht eine Frau, die ihren Körper zurückfordert. Technisch beeindruckt Duchampiana durch die Kombination von VR und KI-Tracking, das die Bewegungen der Performerin mittels Motion Capture auf digitale Avatare überträgt. Auch der Einsatz eines speziell entwickelten „Stairclimbers“, der die Bewegungen der Benutzer:innen in Echtzeit reflektiert, sorgt für eine überraschende interaktive Erfahrung. Gefördert wurde das Projekt vom FFF Bayern und dem Bayerischen Staatsministerium für Digitales.

ColMIRA: MR-Kunst fürs Web3

Kunst im Metaverse und Web3, den nächsten Entwicklungsstufen des Internets: Die bayerische XR-Szene ist auch hier vorne mit dabei. Ein Beispiel dafür: das WAC NFT-Projekt des XR HUB Bavaria, genannt ColMiRA, in 2024. Es hatte das Ziel, Künstler:innen den Zugang zu Mixed Reality und Web3 zu erleichtern und digitale Ausdrucksmöglichkeiten zu fördern. Mithilfe des Tools „De Vrije Hand“ konnten Künstlerteams in 3D Kunstwerke erstellen, die als NFTs auf der Tezos-Blockchain veröffentlicht wurden. Die Werke wurden auf dem Festival der Zukunft in München ausgestellt und teilweise kostenlos verteilt. Unterstützt wurde das Projekt von der WAC Factory und Nomadic Labs, um Kreativschaffende an neue Technologien heranzuführen.

Bild: XR HUB Bavaria

Blickwinkel Tour

Mit XR lässt sich Geschichte erleben. Weltweit entstehen daher immer neue Angebote, um die Vergangenheit immersiv zu vermitteln. Besonders innovativ in Technik und Storytelling ist der Ansatz von Blickwinkel Tour aus Nürnberg. Dort finden VR-Bus-Touren für Gruppen zum ehemaligen Reichsparteitagsgelände statt. Teilnehmende sehen, wie das Gelände einmal hätte aussehen sollen, und erhalten exklusive Einblicke in dessen Historie – begleitet und moderiert von professionellen Tour-Guides. Für das Nürnberger Stadtmuseum Fembohaus hat Blickwinkel Tour außerdem einen virtuelle Zeitreise über den Hauptmarkt der Stadt kreiert.

XR STAGE

XR STAGE ist ein Projekt des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, das die freie Kunstszene in Bayern seit 2022 dabei unterstützt, mit XR-Technologien innovative Projekte umzusetzen. Es bietet Künstler:innen durch Workshops, Netzwerkveranstaltungen und mit eigens gestalteten immersiven VR-Räumen neue Möglichkeiten, digitale Medien für ihre Kunst zu nutzen sowie ihre Kunst auszustellen. In Kooperation mit einem Seminar am Lehrstuhl für Architekturinformatik der Technischen Universität München konnten Künstler:innen virtuelle Ausstellungen entwickeln. So konnte Katinka Schneweis ihre physische Ausstellung um einen virtuellen Raum auf xrspaces.de erweitern. Das Jüdische Kammerorchester setzte dem Komponisten Viktor Ullmann ein virtuelles Denkmal. Highlights waren außerdem Workshops zu Themen wie der künstlerischen Nutzung von AR-Brillen, zu Motion Capturing, zu 360-Grad-Videos oder zum Erstellen von Avataren.

Bild: Oliver Proske

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