ARRI: Münchner Filmtechnik in Hollywood

Von Kathrin Hollmer

Die ARRI-Filmkamera „ALEXA 35" im Einsatz. Foto: Sean Dooley / ARRI

Ohne ARRI läuft in Hollywood gar nichts. Die Münchner fertigen die besten Filmkameras der Welt, viele bekannte Blockbuster sind mit der Kamera- und Lichttechnik des bayerischen Tech-Riesen entstanden. Was ARRI von der internationalen Konkurrenz abhebt? Pioniergeist, ein hoher Selbstanspruch und der Mut, neue Geschäftsbereiche zu erschließen.

Wenn im Dolby ­Theatre in Los ­Angeles die Oscars verliehen werden, zählt man in Schwabing genau mit. Im März bei der 94. Verleihung der Academy Awards wurden von den neun Produktionen, die als „Bester Film“ nominiert waren, sieben mit Kameras des Münchner Familienunternehmens ARRI gedreht. Für den Preisträger „Coda“ verwendete die Kamerafrau Paula Huidobro Objektive von ARRI. Allein in den vergangenen zwölf Jahren wurden elf Preisträger in der Kategorie „Beste Kamera“ mit ARRI-Kameras gefilmt.

ARRI: Innovation trägt den Erfolg

Die meisten Münchner:innen kennen „das ARRI“, das Kino in der Türkenstraße und den Gründungssitz von ARRI. Inzwischen heißt das Kino „ASTOR Film Lounge im ARRI“, das Unternehmen zog Ende 2019 in eine neue Firmenzentrale. Von außen sieht der Neubau in der Parkstadt Schwabing aus wie ein Kameragehäuse. Drinnen befinden sich alle Zentralfunktionen von ARRI sowie alle Abteilungen des Geschäftsbereichs Camera Systems – von der Entwicklung über die Produktion bis hin zu Vermarktung und Service. Mehr als 600 Menschen arbeiten hier unter einem Dach, von Ingenieur:innen über Software-Entwickler:innen bis hin zu Spezialist:innen in Vertrieb und Marketing. Weltweit beschäftigt ARRI 1.300 Mitarbeitende in 16 Ländern.

Im Foyer rekonstruiert das ARRI-Museum die Firmenhistorie – und zeigt ein Stück Filmgeschichte. Die ältesten dort ausgestellten Kameras haben an der Rückseite eine Kurbel, daher kommt der Ausdruck „einen Film drehen“. Die Konferenzräume sind nach einigen der bekanntesten ARRI-Filme benannt: darunter „Skyfall“, „Das Boot“ und „Der schwarze Jack“. Letzterer ist ein Isar-Western, den die Firmengründer August Arnold und Robert Richter 1918 gedreht haben, ein Jahr nach der Gründung ihrer Firma ARRI – kurz für Arnold und Richter.

»Wir fertigen Werkzeuge für die Kreativen, und zwar die bestmöglichen.«

Henning Rädlein, Head of Marketing & Digital Workflow Solutions sowie Camera Systems / Foto: ARRI 2022

Rädlein arbeitet seit 20 Jahren bei ARRI und weiß: Es ist der Innovationsgeist, der das Unternehmen seit seiner Gründung antreibt. Alle paar Jahre entwickelt ARRI eine neue Kamera. Zubehör und Software haben kürzere Zyklen. Der erste Verkaufsschlager von ARRI wurde 1937 die ARRIFLEX 35. Diese erste in Serie gebaute Spiegelreflex-Filmkamera ermöglichte es, durch den Sucher exakt das Bild zu sehen, das man gerade aufnahm. Sie war leichter, erlaubte dynamische Kameraschwenks und produzierte weniger statische Bilder. „Die ARRIFLEX 35 war der Grundstock für die Erfolgsgeschichte von ARRI“, sagt Rädlein.

Bayerische Technik in Hollywood

Seitdem hat ARRI-Technik Kino, Fernsehen und Werbung maßgeblich verändert. Zu Stummfilmzeiten beispielsweise machten die gängigen Kameras viel Lärm. Als die Störgeräusche beim Filmdreh zum Problem wurden, erfand ARRI im Jahr 1965 eine kompakte, geräuschisolierende Kamera für 16 mm, im Jahr 1972 für 35 mm. Ende der 2000er-Jahre wagte das Unternehmen den bisher größten Schritt in seiner Firmengeschichte, indem es digitale Kameras entwickelte. Der große Durchbruch beim digitalen Filmen gelang ARRI mit der ALEXA, die im September 2009 auf der International Broadcasting Convention (IBC) in Amsterdam vorgestellt und ab Juni 2010 geliefert wurde. Vorher baute der Hersteller ausschließlich analoge Kameras, ohne Elektronik und Programmierung. Die ALEXA ist ein voller Erfolg: „Sie ist die meistverkaufte digitale High-End-Filmkamera“, sagt Henning Rädlein. Digitalkameras sind heute der Standard beim Filmdreh.

Innovation bedeutet nicht nur technologischen Fortschritt, sondern auch Vielfalt – und ein breites Angebot. ARRI ist berühmt für seine Kameras, hat sich aber nie nur auf einen Bereich verlassen. So baut ARRI auch Objektive und Zubehörteile für eigene und andere Kameras. Einst fertigte das Unternehmen auch Filmkopiermaschinen, Schneidetische und Entwicklungsmaschinen für analoge Filme. Den Filmscanner ARRISCAN, mit dem Archive heute noch analoges Material digitalisieren, stellt ARRI nach wie vor her. ARRI-Kamerasysteme kamen außerdem schon in der Medizin, zum Beispiel als Röntgenfilmkameras, und bei vielen Industrieanwendungen zum Einsatz.

Die Firmenzentrale von ARRI in München. Foto: ARRI 2020

Ein weiterer wesentlicher Geschäftsbereich ist die Beleuchtungstechnik. Seit 1924 stellt ARRI Scheinwerfer her, seit 1953 am Standort von ARRI Lighting in Stephanskirchen bei Rosenheim. ARRI fertigt dort nicht nur Kunstlichtscheinwerfer und Tageslichtlampen, sondern auch LED-Leuchten für Filmaufnahmen, Broadcast-Studios, Veranstaltungen, Theater und Fotostudios. In Stephanskirchen produziert ARRI unter anderem den hochmodernen, energiesparenden LED-Scheinwerfer Orbiter. ARRI-Licht scheint zum Beispiel im Studio der „Tagesschau“ und in den neuen WELT/N24-TV-Studios.

Im dritten Geschäftsbereich, ARRI Rental mit Sitz in Ismaning, verleiht ARRI eigene und fremde Kamera- und Lichtsysteme sowie Bühnenequipment an Filmproduktionen. Zu seinen Rental-Kunden gehören zahlreiche Produktionsfirmen, die im Auftrag der Streaming-Dienste Netflix, Amazon Prime Video oder Apple TV+ produzieren. Mit ARRI Solutions bietet das Unternehmen auch die Planung und Umsetzung von Virtual-Production-Studios an. In diesen Studios lassen sich digitale Hintergründe in 3-D entwerfen und auf LED-Wänden darstellen, vor denen sich Schauspieler:innen und Kamera bewegen. In Großbritannien betreibt ARRI mit der ARRI Stage London ein eigenes Studio, in dem die Band Coldplay 2022 ein Musikvideo gedreht hat. Die Netflix-Serie „1899“ wurde in der von ARRI geplanten DARK BAY Virtual Production Stage in Babelsberg mit Kameras, Objektiven und Scheinwerfern von ARRI gedreht. Und nicht nur Kameras entwickeln sich weiter, auch der Lighting-Bereich verändert sich massiv: „Kameras und Licht kommunizieren heute miteinander, sodass die Kamera weiß, wie das Licht eingestellt war“, sagt Rädlein.

Spitzenqualität made in Munich

Ab rund 60.000 Euro kostet die Kamera ALEXA 35 von ARRI, das ist auch für den Profisektor gehobene Preisklasse. Um sicherzustellen, dass die Produkte ebenso robust wie zuverlässig sind, „fertigen und montieren wir Baugruppen, die mit der Bildqualität zu tun haben, selbst“, erklärt Christian Hartl, Director Global Production, der die gesamte Produktion im Unternehmen leitet. Stichprobenartig werden die Einzelteile, etwa Sensorträger, in der Produktion kontrolliert. „Die Abmessungen müssen bis auf 0,05 Millimeter stimmen. Zum Vergleich: Ein Haar hat etwa 0,07 Millimeter Durchmesser“, sagt Hartl. Im Reinraum werden die Sensoren mit den Platinen verbunden, „gebondet“ heißt es im Fachjargon. Wie genau, ist Firmengeheimnis. Die Mitarbeitenden tragen weiße Anzüge, Hauben und Mundschutz. Jedes Staubkorn, jede Schuppe, die auf einem Sensor landeten, sähe man für immer auf dem Bild, der Sensor wäre unbrauchbar. „Darum herrschen hier quasi Raumfahrtbedingungen“, so Hartl.

Im Reinraum findet Feinstarbeit statt – hier dreht sich alles um Qualität. Foto: ARRI 2022

Nachdem die Kameras mit Software bespielt sind, müssen sie sich im Stresstest bewähren: Sie werden auf einer Platte – dem „Shaker“ – befestigt, die stark vibriert, um sicherzustellen, dass alle Kabel sauber gesteckt und keine Schrauben lose sind. Danach kommen sie in den Klimaschrank, dort herrschen Temperaturen von minus 20 bis plus 45 Grad Celsius. „Unsere Kameras sind jederzeit einsetzbar, egal, ob in der Wüste oder auf dem Mount Everest – ohne dass sie vorher präpariert werden müssen“, sagt Hartl. „Das ist ein Wettbewerbsvorteil, andere machen schon bei null Grad Celsius schlapp.“ Für den Fall, dass doch mal etwas nicht funktioniert, unterhält ARRI ein weltweites Servicenetz mit Reparaturstationen und Backup-Kameras.

Wettbewerbsfaktor Nachhaltigkeit

Ein Innovationstreiber: offene Ohren. Vor der Pandemie haben ARRI-Mitarbeitende regelmäßig ihre Kunden auf der ganzen Welt getroffen, um genau hinzuhören, was ihnen an den Produkten gefällt und was nicht. „Wir fragen uns immer, wie können wir das Filmemachen verbessern? Kreativer, schneller, wirtschaftlicher machen?“, so Rädlein. Inzwischen sind Reisen wieder möglich, seit Beginn der Covid-19-Pandemie organisiert das Unternehmen den Austausch aber auch anders: Im Studio in der Firmenzentrale in der Parkstadt Schwabing dreht ARRI Tutorial-Videos und veranstaltet virtuelle Gesprächsrunden.

Auch Nachhaltigkeit ist ARRI wichtig: Ältere Kameras pflegt das Unternehmen deshalb weiter und verkauft, nach Wartung und sorgfältigen Tests, über das „ARRI Approved Certified Pre‑Owned Program“ gebrauchte Kameras, Objektive und Scheinwerfer zu einem günstigeren Preis. Nachhaltig ist auch der Umgang mit Kunden und Mitarbeitenden. Für seine Kunden gründete das Unternehmen die ARRI Academy und bietet produktspezifische Weiterbildungen auf der ganzen Welt an. Man pflegt eine lange Tradition an Talentförderung und unterstützt regelmäßig Produktionen über das weltweite „International Support Program“ und regionale Initiativen. Das Unternehmen bildet selbst aus, in den Bereichen Industriemechanik und Elektronik sowie zu Industriekauf­leuten und Fachinformatiker:innen für Systemintegration. Außerdem gibt es Kooperationen mit der Hochschule München für duale Studiengänge. Mit Programmen wie „Fit for future“ fördert ARRI Nachwuchskräfte in Form von Weiterbildungen. In der Zukunft werden ARRI zufolge Spezialist:innen benötigt, die sowohl technische Kenntnisse als auch Erfahrung am Filmset mitbringen. Auch Software-Spezialist:innen werden eine immer größere Rolle spielen, denn die Filmproduktion wird immer digitaler. In München ist man bereit. „Alles fürs beste Bild“, wie man bei ARRI sagt.

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