Geschlossene Buchhandlungen, geplatzte Lesungs-Termine, aber auch neue Bedürfnisse und Interessen bei den Leser*innen. Über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Buchbranche haben wir mit Julian Nebel, Pressesprecher der Münchner Verlagsgruppe GmbH (mvg) gesprochen.
Bücher überstehen auch die x-te Krise
Wegen des Corona-Lockdowns mussten viele Buchhandlungen über Wochen schließen und einige Verlage haben die Veröffentlichung neuer Titel in die zweite Jahreshälfte geschoben. Auch das Konsumverhalten hat sich bei vielen Menschen verändert. Wie haben sie das als Verlag wahrgenommen?
Julian Nebel: Für uns hat sich zum Glück nicht so viel geändert, da unser Fokus weniger auf Belletristik liegt. Ich denke, es hat vor allem die Verlage härter getroffen, die sehr viel über kleinere und mittlere Buchläden verkaufen. Insbesondere Belletristik oder Sachbücher rund um Themen wie Philosophie oder Gesellschaft verkaufen sich eher über kleine Buchhandlungen – und wenn die geschlossen sind, ist das natürlich hart. Diese Art von Büchern wird auch stark über Veranstaltungen und Lesungen promotet. Wenn das alles nicht stattfinden kann, ist es natürlich clever, solche Erscheinungstermine erstmal zu schieben.
Wir hingegen machen hauptsächlich populäre Sachbücher zu Themen wie Kochen, Fitness oder Finanzen. Veranstaltungen sind da nicht so wichtig. Traditionell verkaufen wir viel über den Online-Handel wie zum Beispiel Amazon, aber auch über die Online-Shops, etwa von Hugendubel und Thalia. Die Corona-Krise hat uns dadurch nicht ganz so schlimm getroffen wie andere Verlage, aber natürlich macht sie sich im Umsatz bemerkbar.
Julian Nebel, Pressesprecher der Münchner Verlagsgruppe GmbH (mvg), Foto: mvg
Welche Genres und Themen waren in den letzten Wochen besonders gefragt?
Nebel: Wir sehen sehr deutlich, dass insbesondere drei Themen mehr nachgefragt werden. Erstens kaufen Leute vermehrt Bücher rund um die Themen Home-Workouts und Fitness ohne Geräte. „Trainieren wie im Knast“ von Paul Wade ist zum Beispiel auf eine riesige Nachfrage gestoßen. Zweites liegt gerade alles sehr im Trend, was sich mit dem Thema Achtsamkeit beschäftigt. Die Leute haben jetzt mehr Zeit und fragen sich, wie sie diese sinnvoll nutzen und Ballast loswerden können. Und drittens natürlich alles rund um das Thema Homeschooling und Schule generell. Ein Überraschungserfolg ist das Buch „Die geheimen Tricks der 1,0er-Schüler“ von Tim Nießner, einem 18-jährigen „Fast-Abiturienten“. Was erstaunlicherweise gar nicht läuft: Business- und Karriere-Ratgeber.
Wie sieht es aus mit Wirtschaftstiteln? Gerade auch im Hinblick auf die Auswirkungen, die Corona auf die Wirtschaft und den Finanzmarkt haben kann?
Nebel: Wirtschaftstitel verkaufen sich momentan sehr gut – vor allem solche, die sich an Normalverbraucher und Normalanleger richten. Viele scheinen sich aktuell zu fragen, was sie jetzt mit ihrem Geld machen sollen. Das lässt sich zumindest an den Verkaufszahlen von Börsentiteln ablesen, die sich an Anfänger richten.
Viele sprechen ja davon, dass die Digitalisierung und digitale Angebote durch die Corona-Krise einen deutlichen Aufschwung bekommen hätten. Wie haben Sie den Trend in den letzten Wochen erlebt?
Nebel: Wir merken einen sehr starken Boom bei Hörbüchern aller Genres – von Wirtschaft über Belletristik bis hin zu Ratgeberliteratur. Was besonders gut läuft, sind Hörbücher von Influencern: Das Buch von MontanaBlack, einem bekannten YouTuber und Twitcher, ist zum Beispiel das meist gestreamte Hörbuch bei Spotify. Zwar wächst der Hörbuchanteil seit zwei, drei Jahren kontinuierlich, aber in den letzten beiden Monaten ist das Wachstum doch nochmal deutlich stärker ausgefallen.
Was hingegen weniger stark zugenommen hat als erwartet, sind eBooks. Da gibt es wahrscheinlich doch einfach einen stabilen Kern in der Leserschaft, der Bücher lieber analog liest und gerne etwas in den Händen hält.
In den letzten Wochen wurde ganze Unternehmen in Deutschland ins Home-Office geschickt. Was waren die größten Hindernisse und Learnings für die mvg als Unternehmen?
Nebel: Wir mussten erstmal damit umgehen, dass noch viel auf Papier und mit Unterschriften geregelt wird. Das war im ersten Moment natürlich schon schwierig. Die Umstellung auf einen rein digitalen Workflow hat aber – sieht man von wenigen Anlaufschwierigkeiten ab – doch sehr gut funktioniert. Die zweite Herausforderung war, dass jeder Mitarbeiter technisch voll ausgerüstet ist für Home-Office. Die Voraussetzungen hierfür hatten wir aber zum Glück letztes Jahr schon geschaffen. Insofern ging die Umstellung relativ schnell. Der Alltag im Büroleben hat durch die Digitalisierung auf jeden Fall einen ordentlichen Boost bekommen. Für vieles ist ein persönliches Treffen oder eine Dienstreise nicht notwendig. Ich glaube, dass das auf jeden Fall ein nachhaltiges Learning sein wird.
Werden Sie nach Corona wieder zum „alten Modell“ zurückgehen?
Nebel: Ich gehe fest davon aus, dass wir den Schritt zurück nicht mehr gehen. Wir haben gesehen, dass es auch im Home-Office gut funktioniert, dass die Abstimmungen klappen und dass weiterhin Bücher erscheinen. Alles, was wir als Verlag tun müssen – Autorenrecherche, Verträge, Lektorat, Druck – funktioniert auch ohne diesen „Präsentismus“ und von daher gibt es keinen Grund, das wieder rückgängig zu machen. Wie wir künftig arbeiten, ist vielmehr auch eine Typfrage: Es gibt Leute, die arbeiten lieber zuhause, weil sie sich dort besser konzentrieren können. Andere gehen lieber ins Büro, weil sie den Austausch mit Menschen brauchen. Tatsächlich wollen wir dahinkommen, dass sich jeder aussuchen kann, von wo er arbeitet. Und wir denken über eine gewisse Freizeit-Einteilung nach. Natürlich sollte es eine Überschneidungszeit für Abstimmungen geben, aber mit der Öffnung des Arbeitsortes geht auch eine Öffnung der Arbeitszeiten einher. Dieses Rad würden wir ungerne zurückdrehen wollen.
Die Corona-Krise hat sich für viele Branchen als eine Art Transformationsbeschleuniger herausgestellt. Welche geplanten Veränderungen wurden in Ihrem Unternehmen durch die Auswirkungen der Pandemie beschleunigt?
Nebel: Corona war tatsächlich auch bei uns ein Beschleuniger. Wir hatten Home-Office letztes Jahr eingeführt und waren da am Anfang sehr vorsichtig, da wir aus einer Präsenzkultur kommen. Dieses Projekt hätten wir ohne Corona deutlich langsamer weiterentwickelt.
Welche Auswirkungen hat Corona Ihrer Meinung nach langfristig auf die Verlagsbranche?
Nebel: Das Medium Buch ist als Produkt immer noch stark gefragt und das ist sehr beruhigend. Wir sehen auch, dass viele digitale Produkte rund um das gedruckte Buch, wie zum Beispiel Hörbücher oder ergänzende Online-Kurse, ziemlich gut laufen und das wird sich wahrscheinlich noch steigern. Es stellt sich ja oft die Frage, wie lange es das gedruckte Buch noch geben wird. Ich bin der Meinung: auch nach der x-ten Krise wahrscheinlich für immer.
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