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Digitalexperte Roland Mitterbauer: Wie digital ist Zeitung?
15 Jahre bei der Mediengruppe Bayern, jetzt Head of Digital und stellvertretender Chefredakteur bei der Augsburger Allgemeinen – Bayerische Verlagshäuser verlassen sich auf Roland Mitterbauer, wenn es darum geht, ihre Digitalisierung voranzutreiben. Wie der Experte den Stand der Digitalisierung im Lokaljournalismus einschätzt und mit welcher Strategie sich Medienhäuser für die Zukunft aufstellen können, verrät er im Interview.
Roland, du warst stellvertretender Chefredakteur bei der Mediengruppe Bayern und bist seit zehn Monaten bei der Augsburger Allgemeinen. Du kennst die Lokaljournalismus-Branche also sehr gut. An welchem Punkt stehen lokale Printmedien aktuell in der digitalen Entwicklung?
Roland Mitterbauer: Lokale Tageszeitungen verstehen sich nicht mehr als Printmedien, sondern als multimedial agierende Medienhäuser. Tageszeitungen sind seit vielen Jahren im Internet präsent, nutzen Social Media, erstellen Newsletter, Podcasts und Videos. Natürlich ist der Umsatz mit gedruckten Zeitungen immer noch dominierend, aber fast alle Medienhäuser haben verstanden, dass nachhaltiges Wachstum nur im digitalen Bereich möglich ist und dort – zum Beispiel beim digitalen Pendant, dem ePaper – oft schon die höheren Margen erzielt werden.
Von Druckerei bis Redaktion: Der Digitalwandel ist in allen Köpfen angekommen
Für dich als Digitalchef der Augsburger Allgemeinen ist der digitale Wandel sehr präsent. Wie hoch ist das Verständnis in den einzelnen Redaktionen?
Roland: Es gibt in der Verlagsbranche natürlich verschiedene Zweige, die zum Teil sehr printorientiert sind. Aber wenn ich zum Beispiel in die Druckerei schaue, hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viel verändert, was Digitalisierung und Automatisierung anbelangt. Auch in den Redaktionen ist der Wandel bei uns in Augsburg in allen Köpfen angekommen. Ich würde sagen, dass wir eine gute Trennung zwischen Redaktion und Editorial haben: Unsere Journalist:innen konzentrieren sich auf die Recherche ihrer Themen, auf das Schreiben, auf die Erstellung von Videos, Fotos und Co., während sich andere Einheiten verstärkt auf Layout und die Zeitungsproduktion fokussieren. Diese Spezialisierung ist aus meiner Sicht eine gute Grundvoraussetzung, um den digitalen Wandel anzugehen.
Womit genau beschäftigst du dich als Head of Digital?
Roland: Die Augsburger Allgemeine gehört wie der Südkurier in Konstanz und die Main-Post in Würzburg zur Mediengruppe Pressedruck. Es gibt viele digitale Köpfe bei uns – ich verantworte gemeinsam mit den Kolleg:innen in der Chefredaktion der Augsburger Allgemeinen den redaktionellen Beitrag zur Weiterentwicklung der Reichweite, der Digital-Abos und der Digitalerlöse. Dafür überlegen wir uns: Wie können wir mehr Menschen mit unseren Inhalten erreichen? Mit welchen Themen müssen wir uns beschäftigen? Wie müssen wir unsere Strategie anpassen, damit sie erfolgreich ist? Gemeinsam mit den anderen Standorten, dem Regionalfernsehen und Radiosendern sowie dem konzernweit agierenden pd digital Hub entwickeln wir unsere journalistischen Marken auf allen Kanälen weiter und koordinieren gruppenweite Projekte. Unsere Arbeit ist deshalb wichtig, weil die Transformation natürlich noch längst nicht abgeschlossen ist. Wir haben die zwei Säulen Print und Online und sind ständig dabei, den Change-Prozess fortzuführen.
»Grundsätzlich müssen neue Technologien dabei helfen, die Arbeit effizienter zu machen oder ein neues Produkt anzubieten. Man muss immer reflektieren: Wofür kann ich diese Technologie brauchen und wird dadurch wirklich ein Problem gelöst?«
Roland Mitterbauer
Foto: Privat
Welche Strategie fährt die Augsburger Allgemeine, um zukünftig gut aufgestellt zu sein?
Roland: Wir wollen natürlich eine gute Reichweite sowie Werbeerlöse generieren. Wir möchten weiter unsere Leser:innen und zusätzlich neue Zielgruppen erreichen und im Bestfall von den meisten ein Abo bekommen. Dass es viele gibt, die online nicht für Journalismus bezahlen möchten, ist uns klar. Um auch diese Menschen zu erreichen, möchten wir uns nicht komplett auf eine Erlösstrategie konzentrieren, sondern uns möglichst breit aufstellen. Wir bieten zum Beispiel einen guten Mix aus frei verfügbaren Artikeln und Texten hinter der Paywall an.
Welche neuen Technologien machen für eine Lokalzeitung Sinn, wovon hält man besser Abstand? Worauf achtest du, wenn du neue Tools testest?
Roland: Aus meiner Sicht braucht es jeweils ein gutes Tool für vier verschiedene Bereiche: die Themenplanung, die Erstellung der Inhalte, die Ausspielung und die Analyse. Grundsätzlich müssen neue Technologien dabei helfen, die Arbeit effizienter zu machen oder ein neues Produkt anzubieten. Man muss immer reflektieren: Wofür kann ich diese Technologie brauchen und wird dadurch wirklich ein Problem gelöst? Entscheidungskriterien sind für mich neben dem Preis-Leistungs-Verhältnis beispielsweise die Benutzerfreundlichkeit, Datenschutz, die Roadmap, der Support und die Unternehmensstruktur des Anbieters sowie Berichte von Referenzkunden. Man sollte sich aber von dem Glauben verabschieden, dass allein durch den Kauf von Technologie etwas besser wird. In der Regel müssen sich auch Strukturen und Arbeitsweisen ändern, damit ein neues Tool erfolgreich im Arbeitsalltag integriert werden kann.
Einsatz von KI: In manchen Bereichen sinnvoll, in anderen nicht
Welche Rolle spielt AI im lokalen Printjournalismus und speziell in eurem Medienhaus?
Roland: KI scheint aktuell irgendwie alles zu sein. In manchen Bereichen ist der Einsatz sicherlich sinnvoll, in anderen sollte man Abstand davon nehmen. Was ich gut und richtig finde, sind die sogenannten No-Code- und Low-Code-Anwendungen, also Automatisierungslösungen. Ich glaube, da steckt sehr viel Potenzial drin, aber das hat natürlich wenig mit KI zu tun. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz an sich macht für mich auch bei Rechtschreib- und Grammatikprüfungen, beim Redigieren, beim Finden von SEO-relevanten Überschriften oder zur Unterstützung bei der Recherche Sinn. Eine klare Schranke haben wir verlagsintern bei KI-generierten Bildern gesetzt. Wir verwenden KI-generierte Illustrationen nur in Ausnahmefällen und auch nur mit ganz klarer Deklaration. Für den Einsatz von KI haben die Chefredaktionen der Mediengruppe klare Richtlinien formuliert: Bei journalistischen Inhalten trägt immer der Mensch die Verantwortung und KI kann höchstens der Copilot sein.
Ich könnte mir vorstellen, dass KI zukünftig eine größere Rolle beim Bauen und Layouten von Seiten spielt. Oder auch zur Personalisierung, zum Beispiel, indem Paywall und Abo-Angebote auf Basis von Inhalt und Nutzerverhalten automatisch ausgespielt werden. Dann entscheiden nicht mehr die Redakteur:innen, ob ein Artikel hinter der Paywall steht, sondern die KI.
„Der digitale Wandel wird sich noch stärker beschleunigen und man muss zusehen, dass man Schritt halten kann. Die Rückgänge von Print-Abos werden nicht abreißen, aber man kann als Medienhaus Zeit gewinnen, indem man in größeren Gruppen agiert und Synergien erschaffen.“
Gibt es ein Beispiel für eine Technologie, die du erfolgreich im Unternehmen etablieren konntest?
Roland: Ich bin noch nicht einmal ein Jahr in Augsburg und es gibt einige tolle Projekte, die zum Beispiel von Lena Jakat, meiner Kollegin in der Chefredaktion, schon viel länger vorangetrieben werden. Da will ich mich nicht mit fremden Federn schmücken. Ein schöner Erfolg der letzten Wochen war, dass wir gemeinsam einen konzernweiten Artikelscore definiert haben, also einen Messwert, der zeigt, wie gut ein Artikel performt. Er wird in den nächsten Monaten und Jahren noch weiterentwickelt und ausgerollt. Derzeit arbeitet jeder Standort noch mit seinem eigenen Score. Durch die Vereinheitlichung in Zukunft verbessert sich die Vergleichbarkeit, wir sprechen über die gleiche Datenlage, man spart sich die Weiterentwicklung von verschiedenen Scores und fasst stattdessen alle nötigen Daten auf einem Score zusammen. Dieses Projekt durfte ich inhaltlich koordinieren.
Die Abozahlen von Printmedien gehen schon seit Jahren zurück. Muss die Zeitungsbranche ihren digitalen Wandel beschleunigen, um nicht den Anschluss zu verlieren?
Roland: Der digitale Wandel wird sich noch stärker beschleunigen und man muss zusehen, dass man Schritt halten kann. Die Rückgänge von Print-Abos werden nicht abreißen, aber man kann als Medienhaus Zeit gewinnen, indem man in größeren Gruppen agiert und Synergien erschaffen. So kann man die Wirtschaftlichkeit beibehalten, während man sich technologisch weiterentwickelt. Je größer das Medienhaus, desto mehr Zeit hat man – die Zeit muss man aber auch gut nutzen.
Die große Hoffnung: Menschen sind bereit, für Journalismus zu zahlen
Wie nutzt man sie am besten?
Roland: Wichtig ist, dass man überall das Bewusstsein dafür schärft, dass es diesen Wandel braucht. Auch wenn der Grundgedanke bei den meisten schon angekommen ist, gibt es immer irgendwie Zielkonflikte. Man braucht eine klare Strategie, wie man die Leute mitnimmt. Motivierte, gut ausgebildete und geschulte Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen sind extrem wichtig. Ideal wäre es außerdem, wenn man es schafft, eine geringe Personalfluktuation im Unternehmen zu haben, damit man diese Change-Kultur nicht immer wieder neu aufbauen muss, sondern gemeinsam in die Zukunft starten kann.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Was ist deine Vision für lokale Printmedien?
Roland: Es wird immer wichtiger, dass man weiterhin auf Qualität setzt. Es braucht auch in Zukunft tiefreichende Recherchen, die die User Needs erfüllen – die Leser:innen müssen einen Mehrwert von dem Content haben, den wir veröffentlichen. Was die Unternehmensstruktur von Medienhäusern betrifft, geht die Tendenz zu immer größeren Verlagshäusern und Kooperationen. Dadurch lässt sich die Finanzierbarkeit sichern und man kann als Medienhaus besser mit Fachkräfte- und Personalmangel umgehen. Inhaltlich gesehen wird sich die Arbeit von Lokaljournalist:innen stark wandeln: Video und Bewegtbild werden eine größere Rolle spielen, langfristig gesehen steht man vielleicht auch mehr vor der Kamera.
Meine große Hoffnung ist, dass die Zahlungsbereitschaft für Journalismus im Internet in Zukunft steigt. In meiner Kindheit hätte es zum Beispiel niemanden gegeben, der online für Musik Geld bezahlt – und mittlerweile kenne ich fast keinen mehr ohne Spotify-Abo. Gerade wächst eine Generation heran, die lernt, für qualitativ hochwertige Inhalte zu bezahlen. Die nächsten Jahre werden die Weichen gestellt: Bleiben uns die Leser:innen treu, gibt es einen Markt, den wir da erschließen können? Ich persönlich glaube daran.
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