
Foto: Hyperbowl
Foto: Hyperbowl
Auf fremden Planeten spazieren oder in der Tiefsee zwischen skurrilen Kreaturen schwimmen – Virtual Production eröffnet der Filmbranche ganz neue Spielräume. Hyperbowl mit Sitz in Penzing zählt dabei zu den führenden Unternehmen Europas. Elfi Kerscher, Leiterin Business Development, spricht über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Technologie und erklärt, warum die neue Partnerschaft mit den Bavaria Filmstudios ein starkes Signal für den Medienstandort Bayern ist.
Elfi, du bist vor einem halben Jahr zu Hyperbowl gewechselt. Was hat dich dorthin geführt?
Elfi Kerscher: Ich komme ursprünglich aus der Welt der Visual Effects. Direkt nach meinem Computer-Science-Studium an der FH Darmstadt habe ich bei Discreet Logic angefangen und war als Trainerin und Demo-Artist für die Software Flame früh an großen Produktionen beteiligt. Danach ging es zu Arri, wo ich viele Jahre in verschiedenen Rollen tätig war, zuletzt im Innovationsteam. Dort haben wir uns intensiv mit neuen Technologien im Filmbereich beschäftigt. Dabei bin ich erstmals auf Virtual Production gestoßen: die Möglichkeit, ganze Orte oder Welten realitätsnah im Studio zu erschaffen, vom ruhigen Seeufer mit Parkbank bis zur futuristischen Stadt. Das hat mich sofort gepackt. Nach einer Station bei Plaza Media bin ich dann Anfang des Jahres zu Hyperbowl gewechselt.
Was fasziniert dich an Virtual Production am meisten?
Kerscher: Der größte Reiz ist für mich die Vielfalt und die Steuerbarkeit: Mit der Unreal Engine lassen sich ausdifferenzierte Welten präzise nach Wunsch erschaffen. Perspektiven, Wetter, Tageszeit – einfach alles ist frei gestaltbar.
Hyperbowl war in seinen Anfangsjahren vor allem bekannt für Werbespots und Live-Produktpremieren. Hat sich das verändert?
Kerscher: Werbung und Events zählen weiterhin zu den beliebtesten Projekten, aber Filmproduktionen nehmen deutlich zu. Für den Film „Chantal im Märchenland“ haben wir etwa die komplette Tempelszene umgesetzt. Auch internationale Projekte wie der Horrorfilm „The Crow 2“ oder die Mysteryserie „Nine Perfect Strangers“ mit Nicole Kidman haben wir unterstützt. Aktuell läuft zudem ein spannendes Format auf Amazon Prime, an dem wir beteiligt waren: die „Yes or No Games“ – eine Gameshow, in der Kandidat:innen Aufgaben in virtuellen Welten lösen.
Es geht also manchmal nicht nur darum, schöne Hintergründe zu entwickeln, sondern mit diesen auch interagieren zu können.
Kerscher: Genau. In der Show stehen die Kandidat:innen zum Beispiel in einer virtuellen Bibliothek und sollen dort Bücher zählen. Sie sehen die Umgebung in Echtzeit und interagieren mit ihr. Virtual Production ist ein kreatives Werkzeug, das völlig neue Erzählräume eröffnet. Der große Vorteil im Vergleich zum Greenscreen: Die Protagonist:innen schauen nicht ins Leere, sondern sehen die Welt um sich herum. Das macht es leichter, wirklich einzutauchen.
»Virtual Production hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Was vor drei, vier Jahren noch als virtuell auffiel, wirkt heute oft völlig echt.«
Elfi Kerscher
Leiterin Business Development, Hyperbowl
Foto: privat
Gab es in den ersten Monaten bei Hyperbowl etwas, das dich überrascht hat? Vielleicht eine virtuelle Umsetzung, die du für unmöglich gehalten hättest?
Kerscher: Überraschungen im eigentlichen Sinne nicht, aber wie man hier mit Wasser arbeitet, finde ich faszinierend. Besonders beeindruckt hat mich ein Werbespot mit einer Schwimmerin in einem Alpensee, nur dass der See im Studio stand. Draußen Minusgrade, drinnen ein Wasserbecken mit Gegenstromanlage, und das Bergpanorama auf der LED-Wand. Das sah fantastisch aus – ein tolles Beispiel für kreativen Setbau kombiniert mit Virtual Production.
Wo liegen die Grenzen dieser Technik?
Kerscher: Ich sehe da kaum Grenzen, da die aktuellen Verfahren eindrucksvolle Möglichkeiten eröffnen. Bei der Photogrammetrie etwa werden zahlreiche Fotos eines realen Objekts oder Ortes aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen und anschließend mithilfe spezieller Software zu einem präzisen 3D-Modell zusammengesetzt. Neuere Ansätze wie Gaussian Splatting verfolgen einen anderen Weg: Sie rekonstruieren reale 3D-Szenen aus sogenannten „Splats“ – Bildpunkten, die mit Informationen wie Farbe, Tiefe und Transparenz angereichert sind – und erzeugen so besonders flüssige, realitätsnahe Darstellungen. Für frei gestaltete Fantasiewelten eignen sich dagegen andere Tools besser, etwa 3D-Modellierungsprogramme oder KI-gestützte Bildgeneratoren wie Midjourney, die uns helfen, kreative Elemente schnell zu visualisieren und weiterzuentwickeln.
Erkennen geübte Augen eigentlich noch den Unterschied zwischen virtuellen und echten Hintergründen?
Kerscher: Virtual Production hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Was vor drei, vier Jahren noch als virtuell auffiel, wirkt heute oft völlig echt. In Produktionen wie „Nine Perfect Strangers“ würde man nicht vermuten, dass viele Szenen vor LED-Wänden entstanden sind. Die Illusion ist nahezu perfekt.
Kommen Kunden mit fertigen Ideen oder lassen sie sich von euch inspirieren?
Kerscher: Das hängt vom Projekt ab, aber immer mehr Kunden kommen sehr früh zu uns, oft mit dem Drehbuch in der Hand. Unser Virtual-Production-Team prüft dann Szene für Szene, was sich sinnvoll virtuell umsetzen lässt. Szenen mit geringem logistischen Aufwand – etwa ein Spaziergang im Wald – werden in der Regel real gedreht, es sei denn, besondere Licht- oder Wetterverhältnisse machen eine virtuelle Umsetzung notwendig. Um frühzeitig aufzuzeigen, was kreativ, technisch und ökonomisch möglich ist, erstellen wir Machbarkeitsanalysen und entwickeln Pre-Visualisierungen.
Gerade habt ihr eine Kooperation mit den Bavaria Studios gestartet. Was steckt dahinter?
Kerscher: Die Bavaria Studios haben mit „Bavipro“ bereits erste Erfahrungen mit Virtual Production gesammelt, verfügen jedoch nicht über ein eigenes virtuelles Studio. Das bringen wir mit – ebenso wie ein erfahrenes Team aus Kreativen, Unreal Artists und Techniker:innen. Ein großer Vorteil sind außerdem unsere mobilen Lösungen: Mit dem Pop-Up-Hyperbowl-Konzept können wir Leinwände und Materialien in verschiedenen Größen an Drehorten aufbauen. Deshalb haben wir den Vorschlag gemacht, die Ressourcen beider Unternehmen zu bündeln. Die Bavaria zeigte sich sofort offen.
Gibt es bereits konkrete gemeinsame Projekte?
Kerscher: Eine erste kleine Werbefilmproduktion haben wir schon gemeinsam realisiert, und aktuell laufen Gespräche über weitere Projekte. Besonders spannend sind für uns Szenen, die zwar nicht spektakulär klingen, aber logistisch eine Herausforderung darstellen – etwa in Zügen oder Flugzeugen. Solche Sets lassen sich virtuell zeitsparend und kostengünstig umsetzen; sie machen den Produktionsalltag noch dazu nachhaltiger. Zudem haben wir gemeinsam mit der Bavaria bereits einige Events durchgeführt, bei denen wir Interessierte an das Thema Virtual Production herangeführt haben, auch anhand konkreter Szenen, die wir an der LED-Wand gezeigt haben.
Was sind die mittelfristigen Ziele dieser Partnerschaft?
Kerscher: Aktuell besprechen wir ein Leuchtturmprojekt, mit dem wir alle Potenziale voll ausschöpfen und deutlich zeigen wollen: „Das ist Virtual Production made in Bavaria.“ Details sind noch vertraulich. Mittelfristig wollen wir uns als starke Gemeinschaft positionieren, die Produktionen jeder Art und Komplexität mit gebündeltem Know-how realisieren kann.
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