
Foto: Denis Pernath/Wiedemann & Berg/XPLR: MEDIA
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Wie viel KI steckt schon jetzt in der Filmproduktion – und welche Rolle spielt sie zukünftig in der Branche? Produzent Max Wiedemann, Founder von Wiedemann & Berg Film und W&B Television und Co-Founder von LEONINE Studios, beschäftigt sich damit, wie künstliche Intelligenz in die Produktion von Film- und Serienprojekten integriert werden kann. Welche Chancen er in der Technologie sieht und an welcher Stelle er bei der Verwendung noch vorsichtig ist, verrät er im Interview.
Herr Wiedemann, neue Chancen oder gefährliches Risiko: Was bedeutet die Entwicklung von KI für die Filmproduktion?
Max Wiedemann: KI ist eine sehr faszinierende Technologie und wird vielerorts als General Purpose Technology beschrieben, also eine grundlegende technologische Innovation, die viele Bereiche verändern wird. Es geht darum, beides im Blick zu haben – die Chancen und die Risiken – und diese verantwortungsvoll zu managen. Grundsätzlich bin ich enthusiastisch angesichts der vielen Möglichkeiten, die sich bieten, gerade auch was die Entwicklung der generativen KI angeht. Wir waren alle überrascht zu sehen, dass die Technologie nicht nur in der Lage dazu ist, repetitive Aufgaben und Prozessoptimierung zu übernehmen, sondern auch einen kreativen Beitrag leisten kann. Das macht KI besonders für unsere Branche relevant.
Als Chief Business Development Officer bei LEONINE beschäftigen Sie sich damit, wie KI sinnvoll in Arbeitsabläufe integriert werden kann. Wie gehen Sie dabei vor?
Wiedemann: Es gibt mittlerweile belastbare Studien, die belegen, dass man mit der Einführung von KI über alle Mitarbeiter:innen und Unternehmensbereiche hinweg eine deutliche Steigerung der Produktivität und der Ergebnisse erreichen kann. Das brachte uns schnell zu dem Schluss, dass wir es unseren Mitarbeiter:innen ermöglichen müssen, auf diese Technologie zuzugreifen und sie für ihre Arbeit zu nutzen. Dafür braucht es drei Dinge. Zum einen die Governance, also klare und verständliche Richtlinien, die definieren, welche KI genutzt werden darf, wozu sie genutzt werden darf und was dabei zu beachten ist. Dabei spielen rechtliche Faktoren eine Rolle, aber auch ethische Fragestellungen. Der zweite Punkt ist Training und Weiterbildung: Man muss Workshops organisieren, um die Mitarbeiter:innen mit den neuen Tools vertraut zu machen. Wir möchten sie dazu motivieren, diese Tools auch im Privaten zu nutzen, denn je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, desto besser lernt man sie zu verstehen und kann sie im betrieblichen Umfeld anwenden. Und zudem geht es darum, den Mitarbeiter:innen den technischen Zugang zu diesen Tools zu stellen.
Wie viel KI steckt bereits in Ihren Filmen – und wo genau?
Wiedemann: In den Filmen selbst ist KI noch kaum sichtbar – es ist ja noch eine relativ junge Disziplin. Wenn man professionell Filme herstellt, spielen gesicherte Rechteketten eine wichtige Rolle und auch die visuelle Qualität, die dem Niveau der klassischen Herstellung Stand halten muss. Wir kommen erst jetzt langsam an einen Punkt, an dem wir KI-Elemente in unseren Produktionen nutzen können. Momentan spielen sie beispielsweise eine Rolle in der Stofffindung, in der Auseinandersetzung mit Stoffen, in der Recherche, in der Pre-Visualisierung, in der Präsentation – das sind Bereiche, in denen wir merken, dass KI jetzt schon echte Use Cases schafft, aber das ist erst der Anfang.
»Wir würden mit einer künstlichen Intelligenz nichts machen, was wir nicht auch mit Menschen machen würden. Nur weil man mit KI plötzlich mehr Möglichkeiten hat, ist nicht alles, was man machen kann, richtig.«
Max Wiedemann
Foto: Czerny
Wann ist der Einsatz von KI für Sie ethisch vertretbar, wann nicht?
Wiedemann: Der beste Kompass für diese Entscheidung ist die natürliche Intelligenz – ein gesunder Menschenverstand. Wir würden mit einer künstlichen Intelligenz nichts machen, was wir nicht auch mit Menschen machen würden. Nur weil man mit KI plötzlich mehr Möglichkeiten hat, ist nicht alles, was man machen kann, richtig. Wenn wir eine Serie drehen und es geht um eine mögliche Fortsetzung – würden wir uns die Rechte einräumen lassen, dass wir die Serie ausschließlich mit digitalen Avataren der Darsteller:innen weiterführen dürfen? Nein. Das fände ich aus heutiger Sicht ethisch nicht richtig. Würden wir uns die Rechte abtreten lassen, dass wir die Serie mit Hilfe von KI fortsetzen dürften, falls ein:e Darsteller:in während des Drehs verstirbt? Ja, das fände ich in Ordnung. In diesem Fall muss man abwägen: Könnte man das nicht machen, wäre die Arbeit und die Finanzierung, die man bis zu diesem Punkt investiert hat, für alle Beteiligten vergebens. Und solche Fälle gab es bereits, wie z.B. bei THE CROW oder FAST & FURIOUS.
Wo stoßen Sie bei der Verwendung von KI in der Filmproduktion an Grenzen?
Wiedemann: KI arbeitet nicht ohne Fehler und man muss sich ihre Arbeit ganz genau ansehen. Gleichzeitig verschiebt sich diese Grenze aber auch ständig, weil die Entwicklung schnell und dynamisch voranschreitet. Ich bin überrascht, wie gut einige Dinge schon funktionieren, ich bin aber manchmal auch überrascht, wie schlecht einige Dinge funktionieren. Zu entdecken, was die Technologie wirklich kann, ist eine permanente Aufgabe, die nie abgeschlossen wird. Es gibt aber auch Konstanten. Eine davon ist, dass man sich nie blind auf die KI verlassen kann. Man braucht zwingend den Menschen im Driver’s Seat. Denn besonders effektiv ist nur das Tandem aus Mensch und Maschine. Man braucht den Menschen, der weiß, was er tut, der die KI richtig prompten und die Ergebnisse richtig bewerten und einordnen kann.
Was bräuchten Sie als Filmproduzent, damit Sie sich bei der Verwendung von KI rechtlich auf der sicheren Seite fühlen?
Wiedemann: Es ist wichtig, dass man sich bei aller Diskussion erst einmal anschaut, was schon geregelt ist und wo es tatsächlich Regelungslücken gibt. In vielen Bereichen stelle ich immer wieder fest, dass es den Ruf nach Regularien gibt, wo doch eigentlich schon recht gute Regelungen existieren. Oft gibt es bei Darstellenden zum Beispiel die Sorge, dass ihr Bildnis oder ihre Stimme gescannt wird und Produktionen damit umgesetzt werden, ohne dass sie dafür engagiert wurden. Die aktuelle Gesetzeslage lässt das aber gar nicht zu. Es gibt das Recht am eigenen Bild und das Recht an der eigenen Stimme. Eine Grauzone ist aktuell noch die Thematik der Trainingsdaten. Womit werden Tools trainiert? Da brauchen wir eine maßvolle Abwägung: Auf der einen Seite möchte und muss man Urheberrechte schützen, auf der anderen Seite darf man diese Innovation aber auch nicht verhindern.
Sie blicken mittlerweile auf eine Liste von über 160 Film- und Fernsehproduktionen. Welches Projekt ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Wiedemann: Meistens sind es die Erfahrungen im Leben, die man zum ersten Mal macht, die einem besonders im Gedächtnis bleiben. Rückblickend verbinde ich auch oft die Projekte mit besonderen Meilensteinen in meiner Karriere, bei denen mein Geschäftspartner Quirin und ich Neuland betreten haben. Und davon gab es viele, angefangen mit „Das Leben der Anderen”, unserem ersten Kinofilm. Das war natürlich eine interessante Reise, die dieser Film über den kompletten Globus bis zum Oscar gemacht hat. Zu den wichtigen Momenten zählen aber auch unsere erste Netflix-Produktion „Dark” und einige Serien und Kinofilme, mit dem wir etwas auf die eine oder andere Art nochmal neu definiert haben. Zum Beispiel „4 Blocks“ oder „Der Pass“, wo es uns gelungen ist, dem jeweiligen Genre eine neue Farbe zu geben, oder auch die großen Kinokomödien wie „Friendship”, „Männerherzen“ oder „Willkommen bei den Hartmanns“, die jede für sich das Genre ein Stück weit weiter entwickelt haben. Aber auch international ambitionierte Projekte wie „Werk ohne Autor“ oder „Girl You Know It’s True“. Darauf ist man im Nachhinein dann, gemeinsam mit den großartigen Kreativen, mit denen wir diese Projekte realisieren durften, ein wenig stolz.
Zusammen mit Quirin Berg haben Sie 2003 Ihre gemeinsame Produktionsfirma Wiedemann & Berg Film gegründet. Was hat sich seitdem in der Branche getan?
Wiedemann: Die vergangenen 20 Jahre waren ein sehr intensiver Zeitraum, der von dynamischen Veränderungen geprägt war. Davon gab es viele, angefangen mit der Digitalisierung der Filmherstellung bis zur Veränderung der Verbreitungswege. Als wir angefangen haben, gab es noch kein iPhone. Der gesamte Mobile-Bereich war nicht existent. Es gab noch kein Streaming, YouTube fing gerade so an. Es sind auch neue Produktionsformen viel relevanter geworden: die horizontal erzählte Serie, Genre-Produktionen, die globale Auswertungsperspektive. Dass wir aus Deutschland heraus Produktionen herstellen können, die auch auf dem internationalen Markt erfolgreich sind, war einfach noch keine Realität zu Beginn unseres Werdegangs. Und dann die vielen technologischen Entwicklungen wie zuletzt KI, die seit zwei, drei Jahren neu im Raum steht. Wenn eins die Filmbranche auszeichnet, dann, dass nichts ewiger ist als der Wandel.
Viele Streaming-Anbieter wie Prime Video oder Netflix erhöhen die Abopreise oder lassen neuerdings Werbung zu. Der finanzielle Druck scheint zu steigen – spüren Sie die Auswirkungen davon?
Wiedemann: Wir haben vor einigen Jahren mit dem Erscheinen der Streamer gesehen, dass es eine starke Belebung des Marktes gab und dass sehr viele neue Produktionen realisiert wurden. Das fand alles in einer Phase des Niedrigzinses und des Wachstums statt, die sich ein Stück weit gedreht hat. Die Zinsen sind hochgegangen und der Profit im Hier und Jetzt ist wichtiger geworden, als das Wachstum von Morgen und Übermorgen. Das hat der ganze Markt gespürt. Einige Anbieter haben ihr Engagement, was deutsche Eigenproduktionen angeht, zurückgefahren wie beispielsweise die Telekom, Sky oder Paramount+. Man darf bei allen Veränderungen aber nicht vergessen, dass die fiktionale Story nach wie vor intakt ist. Es verändern sich Auswertungsformen und -wege, aber die Menschen wollen nach wie vor Eigenproduktionen aus Deutschland sehen. Das motiviert uns weiterzumachen, auch wenn Ausspielweg und Format nun teils anders sind. Die Herausforderung der heutigen Zeit besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Abonnement-Gebühren der neuen Anbieter zu einem angemessenen Teil auch ihren Weg in deutsche Produktionen finden, die in Deutschland realisiert werden, und der Erfolg auch bei den Produktionsfirmen ankommt. Aber auch da sind wir mit der Förderreform auf einem guten Weg.
Auf welche Produktionen von Ihnen dürfen wir uns demnächst freuen?
Wiedemann: Gerade findet das Münchner Filmfest statt, auf dem wir mit zwei Produktionen Premiere feiern. Zum einen wird unser Kinofilm „Alles Fifty Fifty“ von Alireza Golafshan, hier zum ersten Mal zu sehen sein und am 29. August in die Kinos kommen. Außerdem stellen wir „Spieleabend” von Marco Petry vor, einen tollen Film, den wir für Netflix realisiert haben und der dort ab dem 12. Juli zu streamen ist. Mit Simon Verhoeven haben wir gerade die nächste große Kinoproduktion abgedreht. „Alter weißer Mann” kommt am 31. Oktober in die Kinos und beleuchtet die gesellschaftliche Diskussion um Wokeness und Political Correctness mit einem zwinkernden Auge und kann meiner Ansicht nach einen echten Nerv treffen. Und wir freuen uns, dass es mit unserer Erfolgsserie „Crooks” von Marvin Kren weitergeht, die wir für Netflix fortführen dürfen.
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