
Foto: Siemens
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Der bayerische Industriegigant Siemens gehört zu den Vorreitern des „Industrial Metaverse“ – und kombiniert dabei XR mit der systematischen Nutzung von Daten, digitalen Zwillingen, künstlicher Intelligenz, IoT und anderen Zukunftstechnologien. In Erlangen baut das Unternehmen gerade eine Vorzeigefabrik für das Industrial Metaverse. Im Interview gibt Siemens-Experte Dr. Stefan Krug Einblicke in das Projekt und erklärt, wie das Industrial Metaverse für mehr Qualität, Effizienz und Nachhaltigkeit sorgen soll.
Dr. Krug, noch gibt es keine eindeutige Definition vom „Industrial Metaverse“, daher eine ganz grundsätzliche Frage zum Einstieg: Was versteht Siemens darunter?
Stefan Krug: Das „Industrial Metaverse“ ist ein virtueller Raum, der die reale und virtuelle Welt miteinander verbindet, es ist echtzeitfähig, fotorealistisch, physikbasiert und „always on“. Im Vergleich zum „Consumer Metaverse“ ist das industrielle Metaverse dabei wesentlich mehr als nur das Eintauchen in einen virtuellen Raum. Es basiert auf einer großen Menge an Daten aus der realen und virtuellen Welt. Diese kommen im Industrial Metaverse zusammen und werden für Mensch und Algorithmen zugänglich gemacht.
Im Industrial Metaverse werden durch die Verfügbarkeit von realen und virtuellen Daten sowie Verhaltensmodellen drei Dinge möglich:
Wir bei Siemens haben beschlossen, mehr als 500 Millionen Euro zu investieren, um unsere Fabrik in Erlangen hier in Bayern auszubauen und sie zu einer Vorzeigefabrik für das Industrial Metaverse zu machen.
»Je mehr es um die räumliche Darstellung oder das visuelle Erscheinungsbild geht, umso größer ist die Bedeutung von XR-Technologien.«
Dr. Stefan Krug
Warum treibt Siemens die Entwicklung des Industrial Metaverse voran? Bringt es Verbesserungen gegenüber der Industrie 4.0?
Stefan Krug: Durch das Industrial Metaverse entstehen völlig neue Möglichkeiten, die Herausforderungen in der Industrie zu lösen und Optimierungspotenziale zu heben. Als Siemens wollen wir beispielsweise damit sowohl in unsere eigenen Fabriken als auch in der Produktion unserer Kunden die Effizienz, Qualität, Lieferperformance und auch Nachhaltigkeit deutlich steigern. Wie das genau funktioniert, entwickeln und erproben wir in unserer Fabrik in Erlangen. Das Industrial Metaverse ist kein alternatives Konzept zu Industrie 4.0. Vielmehr ist, wie bereits zu Beginn beschrieben, die Vernetzung und der Zugang zu Daten eine der erforderlichen Grundlagen, um ein Industrial Metaverse zu ermöglichen. Daneben sind noch weitere Technologien, wie der Digitale Zwilling, künstliche Intelligenz, IoT, Simulation oder auch die User Experience wesentliche Bausteine für das Industrial Metaverse. Wir sprechen hier von den Technologiebausteinen des Industrial Metaverse. Mit dem Industrial Metaverse bringen wir diese Bausteine zusammen – die Konvergenz der Technologien. Je mehr und je detaillierter Daten aus der realen Welt, je präziser Simulationen, je genauer der Digitale Zwilling ist und vor allem, je besser diese Technologien zusammenspielen, desto größer wird der Nutzen des Industrial Metaverse. Damit wird es möglich, bessere und schnelle Entscheidungen zu treffen, die einen Impact auf die reale Welt haben.
Welche Rolle spielen XR-Technologien, also Virtual, Augmented und Mixed Reality, für das Industrial Metaverse – und welche anderen Technologien und Bausteine braucht es noch?
Stefan Krug: XR-Technologien spielen eine wichtige Rolle im Industrial Metaverse. Sie sind neben weiteren Möglichkeiten ein Bestandteil, um Menschen den Zugang zur virtuellen Welt zu ermöglichen. Es kommt dabei jedoch immer auf den Anwendungsfall an, für den das industrielle Metaverse genutzt wird. Je mehr es um die räumliche Darstellung oder das visuelle Erscheinungsbild geht, umso größer ist die Bedeutung von XR-Technologien.
Ist das Industrial Metaverse bisher nur ein Konzept – oder wird es, auch bei Siemens, schon aktiv in die Tat umgesetzt, zum Beispiel in den eigenen Fabriken und an den eigenen Standorten?
Stefan Krug: Wir befinden uns noch in einem frühen Stadium der Entwicklung des industriellen Metaverse und wir entwickeln das Konzept, Anwendungen und die technologischen Bausteine ständig weiter. Ähnlich wie beim Internet werden sich die Möglichkeiten mit dem Industrial Metaverse kontinuierlich ausbauen. Nachdem wir heute schon über viele Bausteine des Industrial Metaverse verfügen, haben wir bei Siemens in unseren eigenen Fabriken schon beachtliche Erfolge erzielen können. Wir haben beispielsweise bereits vor einigen Jahren eine neue Fabrik in Nanjing gebaut, die vollständig virtuell geplant und simuliert wurde, bevor wir sie gebaut haben. Das Projekt war ein voller Erfolg und wir konnten die Fabrik deutlich unter dem geplanten Budget und Zeitrahmen fertigstellen und in Betrieb nehmen.
Ein anderes Beispiel ist unser Werk für Leistungselektronik in Erlangen (GWE). Hier haben wir unter anderem mit den Bausteinen des Industrial Metaverse die Effizienz und Qualität der Produktion deutlich steigern können. Erste greifbare Ergebnisse sind bereits heute zu sehen. Hier werden Technologien wie der Digitale Zwilling und synthetische Daten genutzt, um beispielsweise Roboter zu trainieren, ungeordnete Teile aus einer Kiste zu greifen oder automatisiert Qualitätskontrollen durchzuführen.
„Trotz bereits beachtlicher Erfolge des Industrial Metaverse und der Technologiebausteine befinden wir uns erst am Anfang dieser spannenden Reise. Wir sind davon überzeugt, dass wir basierend auf den Möglichkeiten des Industrial Metaverse die Produktion der Zukunft revolutionieren.“
Kann ein großes Unternehmen wie Siemens das Industrial Metaverse allein „bauen“? Oder, anders gefragt: Wie wichtig ist das Ökosystem?
Stefan Krug: Niemand kann es allein realisieren. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, Partner mit komplementären Kompetenzen zu finden, die Kräfte zu bündeln und Ökosysteme zu formen. Siemens Xcelerator ist die Antwort von Siemens auf diese Frage. Es ermöglicht die Interoperabilität verschiedenster Technologien und Lösungen von Siemens und deren Partnern.
Ein Beispiel hierfür ist unsere Zusammenarbeit mit Sony und deren neuen VR-Brillen, die in den kommenden Monaten auf den Markt kommen sollen. Sony hat neue Brillen speziell für 3D-Engineering-Tools entwickelt, die mit innovativen Eingabegeräten – einem Ring und einem Touchpad – ausgestattet sind und eine höhere Genauigkeit bei der Interaktion mit 3D-Geometrien ermöglichen. Der Siemens NX Immersive Explorer, kombiniert mit den Sony-Brillen, ermöglicht eine kollaborative Designüberprüfung und somit schnellere Entscheidungen in der Entwurfsphase. Dies hat Sony bereits heute geholfen, ihre betriebliche Effizienz um bis zu 30 Prozent zu steigern.
Wie lange wird es dauern, bis das Industrial Metaverse zur Realität geworden ist?
Stefan Krug: Das Industrial Metaverse ist eine Evolution und Konvergenz bestehender Technologien, deren Möglichkeiten sich ständig weiterentwickeln. Die erforderlichen Technologiebausteine sind bereits heute verfügbar und Realität. In den nächsten Jahren werden wir die Ergebnisse der Industrial Metaverse Entwicklungen ernten. Trotz bereits beachtlicher Erfolge des Industrial Metaverse und der Technologiebausteine befinden wir uns erst am Anfang dieser spannenden Reise. Wir sind davon überzeugt, dass wir basierend auf den Möglichkeiten des Industrial Metaverse die Produktion der Zukunft revolutionieren. Diese Fortschritte setzen wir im Gerätewerk Erlangen um. Sie können dort in einer laufenden Fabrik live erlebt werden.
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