Ist deine Website barrierefrei? 9 Tipps von Gehirngerecht Digital

Von Florentina Czerny

Foto: Gehirngerecht Digital

Mit dem Eintritt des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz müssen ab Juni viele Unternehmenswebsites barrierefrei sein. Doch was bedeutet das überhaupt? Das Unternehmen Gehirngerecht Digitalaus Augsburg hat sich darauf spezialisiert, inklusive Webauftritte zu gestalten – und gibt Tipps, wie du deine Website barrierefrei machst.

Weißt du, ob die Website deines Unternehmens von Menschen mit einer Sehschwäche problemlos genutzt werden kann? Finden sich darauf Hörgeschädigte zurecht, oder Menschen, die ihre Arme und Hände nicht benutzen können? Das Thema Barrierefreiheit spielt im Netz keine große Rolle – das wird sich bei vielen Anbietern aber bald ändern müssen: Ab Juni sind viele Unternehmen dazu verpflichtet, barrierefreie Websites anzubieten. Dazu zählen zum Beispiel Onlineshops im B2C-Bereich und Dienstleister, die Websites nutzen, um Termine mit ihren Kunden zu vereinbaren. Zusammen mit ihrem Co-Founder Tobias Roppelt hat die Informatikerin Nina Jameson Gehirngerecht“ gegründet. Die beiden Jungunternehmer aus Augsburg klären in ihrem Onlineblog und in Seminaren über Inklusion und Barrierefreiheit im Netz auf und helfen ihren Klienten dabei, ihren Webauftritt für alle zugänglich zu machen. Doch wie geht man dieses Thema an? Nina Jameson gibt Tipps, die dir den Anfang erleichtern können:

1. Bewusstsein schaffen: Das „Warum“ muss klar sein

Natürlich spielt bei dieser Frage die rechtliche Lage eine wichtige Rolle: Durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) werden viele Unternehmen dazu verpflichtet Inhalte barrierefrei umzusetzen. Abgesehen davon ist auch die moralische Sichtweise sehr wichtig. Jeder sollte sich ohne fremde Hilfe am digitalen Leben beteiligen können. Dass wir gesellschaftlich noch lange nicht an diesem Punkt angekommen sind, zeigt die aktuelle WebAIM Studie über Accessibility: 95 Prozent aller Websites sind demnach nicht barrierefrei. Und circa 16 Prozent der Menschen haben nicht die gleichen Chancen, am Leben im Netz teilzunehmen.“

Digitale Barrierefreiheit

Digitale Barrierefreiheit ist hilfreich für alle, denn sie macht das Internet zugänglich und schafft Inklusion. / Grafik: Gehirngerecht Digital

2. Inklusion als Standard: Werte annehmen und leben

Wer sich mit dem Thema Barrierefreiheit im Netz etwas intensiver beschäftigt, merkt schnell, dass es umfassend und vielschichtig ist. Für viele von uns bedeutet das, viel Neues zu lernen und dieses Wissen im Arbeitsalltag umzusetzen. Besonders in Unternehmen, die bisher wenig mit Inklusion zu tun hatten, sind Veränderungsprozesse notwendig. Dabei kann es vorkommen, dass nicht alle Mitarbeitenden sofort begeistert sind – und das macht die Umsetzung oft schwieriger und führt nicht immer zu den besten Ergebnissen. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig für das Thema zu sensibilisieren. Die richtige Motivation entsteht viel leichter, wenn man die Notwendigkeit wirklich versteht.“

3. Keine Angst: Gute Fehlerkultur macht die Umsetzung einfacher

Der vielleicht wichtigste Tipp: Lass dich nicht davon abhalten, das Thema anzugehen! Viele haben Angst davor, weil sie denken, dass es ein so riesiger Berg an Arbeit ist – und es ist auch viel. Doch dahinter steckt keine Raketenwissenschaft. Wichtig ist auch eine gute Fehlerkultur und sich nicht zu sehr zu ärgern, wenn etwas nicht so klappt wie gewünscht. Es wird immer Menschen geben, die man mit seinem Angebot nicht erreicht. Wichtig ist, dass man Barrierefreiheit trotzdem angeht, dass man Spaß an dem Thema hat und die Freude an der Umsetzung nicht verliert.“

Digitale Barrierefreiheit umzusetzen, kann einschüchternd wirken. Wichtig ist, sie als Prozess zu sehen und mit kleinen Schritten zu beginnen. / Grafik: Gehirngerecht Digital

4. Planungsbeginn: Den richtigen Rahmen abstecken

„Zuerst sollte man sich überlegen, was es überhaupt bedeutet, barrierefrei zu sein. Für jeden ist Barrierefreiheit etwas anderes, denn jeder Mensch hat seine ganz eigenen Bedürfnisse. Auf europäischer Ebene ist die Norm ,EN 301 549 als Standard festgelegt – ihr müssen viele digitale Produkte entsprechen. Die EN verweist an vielen Stellen auf den etablierten internationalen Standard der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Neben den im Standard genannten Kriterien enthält die WCAG jedoch noch eine ganze Reihe von Anforderungen, die laut Gesetzgeber nicht erfüllt werden müssen. Das sind die sogenannten AAA-Kriterien, welche die Barrierefreiheit einer Anwendung deutlich erhöhen.“

5. Die Arbeitsweisen anpassen: Jeder trägt seinen Teil bei

„Digitale Barrierefreiheit betrifft wirklich jeden Inhalt, den wir erstellen. Egal, ob es sich um Websites, Newsletter, Produkte für einen Onlineshop, Live-Chats, Blogartikel, E-Mails an Kolleg:innen, PDFs, Social Media und so weiter handelt – Barrierefreiheit fängt da an, wo ich digitale Inhalte für andere bereitstelle. Jeder muss seine Arbeitsweise nachhaltig anpassen. Zu überlegen, wie man gewohnte Arbeitsabläufe verändern muss, ist ein großer Teil der Arbeit. Das Ziel sollte sein, die Barrierefreiheit bei jedem Schritt im Hinterkopf zu behalten.“

 

»Ein klassischer Fehler ist zum Beispiel, Informationen nur über Farbe zu vermitteln. Wenn ich richtig und falsch nur durch Rot und Grün ausdrücke, können zehn Prozent aller Männer das aufgrund einer Rot-Grün-Schwäche nicht wahrnehmen.«

Nina Jameson

6. Verständnis geht vor: Die richtige Sprache verwenden

„Bei der Sprachwahl kommt es in erster Linie auf die Zielgruppe an. Die meisten relevanten Texte (etwa Onlineanträge und Informationsmaterial dazu) werden von Akademikern verfasst. Das schriftliche Sprachniveau ist also sehr hoch. Akademiker machen aber nur ein Drittel der Bevölkerung aus. Man kann also nicht davon ausgehen, dass lange Schachtelsätze und Fachbegriffe von allen Leser:innen richtig verstanden werden. Ein guter Kompromiss ist hier die Verwendung von Einfacher Sprache. Öffentliche Stellen sind sogar verpflichtet, gewisse Informationen in Leichter Sprache vorzuhalten. Leichte Sprache ist eine spezielle Variation der deutschen Sprache, die auf besondere Verständlichkeit abzielt. Zielgruppe sind zum Beispiel Menschen mit Lernbehinderung oder Demenz.“

7. Inklusives Design: Optik und Navigation, die alle Menschen anspricht

„Im Design wird das Fundament für Programmierung und Inhaltserstellung gelegt. Wenn hier bereits Fehler hinsichtlich der Barrierefreiheit auftauchen, können diese in der Umsetzung nicht mehr ohne Weiteres korrigiert werden. Ein klassischer Fehler ist zum Beispiel, Informationen nur über Farbe zu vermitteln. Wenn ich richtig und falsch nur durch Rot und Grün ausdrücke, können zehn Prozent aller Männer das aufgrund einer Rot-Grün-Schwäche nicht wahrnehmen. Geringe Farbkontraste sind für alle problematisch, besonders wenn die Sehkraft im Alter nachlässt. Digitale Barrierefreiheit betrifft jedoch weit mehr als das visuelle Spektrum. Um eine barrierefreie Anwendung zu schaffen, sollte man nie eine spezielle Nutzungsweise voraussetzen. In einer barrierefreien Anwendung kann ich alles über einen Klick erreichen. Swipe-Gesten wie bei der Dating-App Tinder können für manche Menschen, die ihre Hände nicht benutzen können,  bereits problematisch sein, wenn keine Alternative zur Verfügung gestellt wird.“

Zusätzlich zu Farbe kann man Fehler mit Icons wie Kreuz für falsch und Haken für richtig kennzeichnen. So können auch Menschen mit Farbsehschwäche, den Fehler erkennen. / Grafik: Gehirngerecht Digital

8. Die technische Basis: Barrierefreiheit beginnt beim Programmieren

Die Vorbereitung ist abgeschlossen, nun geht’s an die Umsetzung – doch wie geht man diese am besten an? Zuerst sollte man prüfen, ob die verwendeten Tools überhaupt barrierefreie Inhalte erstellen können. Leider machen uns auch im Jahr 2024 die Hersteller in vielen Fällen noch einen Strich durch die Rechnung. Ein anschauliches Beispiel sind Content-Management-Systeme (CMS) in der Webentwicklung. Mit einem CMS kann man Websites erstellen und verwalten. Wenn das CMS selbst aber keinen barrierefreien Output, unabhängig von den Eingaben, liefert, kann das Ergebnis niemals eine barrierefreie Website sein. Jedes Tool, das wir einsetzen, sollte idealerweise den Anforderungen der EN 301 549 entsprechen. Ist das nicht gegeben, kann es, abhängig vom Anwendungsfall, die schnellere und unkompliziertere Lösung sein, das eingesetzte Tool zu wechseln.“

9. Website überprüfen: Tools und Ansprechpartner, die helfen können

„Ob man bei der Barrierefreiheit gute Arbeit geleistet hat, kann man mit verschiedenen Tools testen, zum Beispiel mit 'Wave'. Wave ist ein automatisiertes Test-Tool, das Websites auf verschiedene Barrierefreiheitskriterien, wie zum Beispiel den Farbkontrast, überprüft. Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass solche Tools nur etwa 30 Prozent aller möglichen Barrierefreiheitsfehler erkennen. Wenn sie also keine Fehler anzeigen, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es keine gibt. Um digitale Inhalte manuell zu überprüfen, gibt es verschiedene Ansätze. Man kann seine Website nach einem technischen Standard testen lassen oder mit Menschen mit Behinderung zusammenarbeiten. In München kann beispielsweise die Stiftung Pfennigparade als Ansprechpartner dienen.“

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