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Keine Macht den Fakes: Wie der Volksverpetzer aufklärt
„Der Volksverpetzer“ aus Augsburg will Volksverhetzer entlarven. Gründer und Autor Thomas Laschyk rief den Anti-Fake-Newsblog 2014 ins Leben, heute arbeitet ein zehnköpfiges Team gegen Desinformation. Wichtiger Teil seiner Arbeit ist eine starke Social-Media-Präsenz. Für Tiktok-Videos und Instagram-Reels steht Charlotte Theis vor und hinter der Kamera.
Charlotte, Thomas, braucht der Kampf gegen Fakes einen anderen Journalismus?
Thomas: Kurze Antwort: ja. Journalist:innen machen sehr gute Arbeit. Aber durch Social Media und Akteur:innen, die Desinformation verbreiten, ganz besonders die extreme Rechte, sehen wir im Endergebnis, dass eine Lücke entstanden ist.
Charlotte: Man rennt den Themen, besonders den Fakes, oft hinterher – es ist aber schwer, eine umfassende Einordnung zu leisten. Das ist diese Lücke, die Thomas anspricht. Beim „Volksverpetzer“ sind wir ein kleines Team, wir können uns den Mut erlauben, mit einem neuen Spirit in diese Leerstelle reinzugehen, die etablierte Medienhäuser noch offenlassen. In den vergangenen Jahren hat der Journalismus eine andere Rolle bekommen. Früher waren Journalist:innen vor allem Gatekeeper. Jetzt können aber alle Menschen ihre Inhalte im Netz verbreiten. Das bedeutet für Journalist:innen, stärker in eine Beobachterrolle zu gehen und Themen einzuordnen, anstatt diese zu platzieren. Dieses Rollenverständnis muss die Branche akzeptieren und an die Schnelligkeit von Social Media anpassen.
Thomas: Der Journalismus heute wird ausgetrickst und ausgenutzt. Von Menschen, die sich Journalist:innen nennen und seriöse Inhalte für gezielte Desinformation missbrauchen. Wir müssen als Medienlandschaft lernen, wie wir mit den Inszenierungen von Fake-Verbreitenden umgehen. Wir als Volksverpetzer möchten ein Ideengeber sein, wie diese Lücke gefüllt werden kann.
Klassische Faktenchecks werden mit neuen Methoden ergänzt
Inwiefern hat der „Volksverpetzer“ ein anderes Konzept als übliche Faktenchecks?
Thomas: Beim „Volksverpetzer“ gibt es im weitesten Sinne Faktenchecks, aber ich benutze den Begriff „Anti-Fake-News-Blog“. Bei der Gründung wollte ich mich abgrenzen von dezidiert journalistischen, klassischen Faktencheck-Formaten. Wir möchten bestehende Faktenchecks durch einen neuen Ansatz ergänzen und so den Inhalten mehr Reichweite verschaffen. Das bedeutet, auch die Methoden der Verbreitenden selbst aufzugreifen, insbesondere auf Social Media, um Gegendarstellungen zu Fakes viral gehen zu lassen. Selbst bei akribischen Quellennachweisen profitieren Fakes und Verschwörungsmythen von mehr Reichweite, wenn man sie aufklären will.
Wie geht ihr mit diesem Spannungsfeld um?
Thomas: Wenn man eine Desinformationskampagne aufgreift, besteht immer die Gefahr, diese durch den Streisand-Effekt bekannt zu machen oder ihr mehr Reichweite zu geben. Man muss bedenken, dass viele Menschen oft nur Teaser und Überschriften lesen. Wenn die Medien, die den Fake streuen, und die Medien, die darüber aufklären, fast nicht zu unterscheidende Überschriften liefern, richtet das mehr Schaden an. Ich plädiere dafür, das Framing der Fake und Verschwörungsmythen Erzähler:innen zu verlassen. Es sollten die Fakten im Vordergrund stehen und nicht die Mythen. Wichtig ist, mehr Werbung für die Wahrheit zu machen. In Artikeln sollten die wahren Tatsachen an erster Stelle stehen. Zum Beispiel kann man über die Desinformationskampagne berichten, anstatt sie zu zitieren.
»Es sollten die Fakten im Vordergrund stehen und nicht die Mythen. Wichtig ist, mehr Werbung für die Wahrheit zu machen.«
Thomas Laschyk
Foto: Dominik Asbach
Wie kann eine Berichterstattung über Desinformationskampagnen konkret aussehen?
Thomas: Die Verbreitenden setzen darauf, dass man ihr Gesagtes übernimmt. Wenn man bei der ersten Meldung direkt deren Framing einordnet, lässt sich die Verbreitung von Falschbehauptungen oder irreführenden Mutmaßungen vermeiden. Umgekehrt: Richtigstellungen oder Faktenchecks reagieren auf eine sehr emotionale Botschaft sehr nüchtern. Das kommt bei den Menschen nicht mehr an. Wir sind der Meinung, dass auch die Richtigstellung sehr emotional sein muss, damit es für die Leute interessant ist. So erhalten die Faktenchecks besonders auf Social Media eine höhere Reichweite.
Charlotte: Zusätzlich zu den klassischen Faktenchecks braucht es einen viel stärkeren und präsenteren Medienjournalismus, der Diskussionen und Diskurse analysiert und dann in den jeweiligen Kontext setzen kann. Im Sinne von: Was sind die Motive der Desinformationsverbreitenden? Zum Beispiel werden immer die gleichen alten rassistischen Narrative bedient. Aber wo haben die ihren Ursprung? Es wäre sinnvoll, in der Berichterstattung diesen Kontext mitzugeben, anstatt nur auf Desinformationen zu reagieren. Dann wird es einfacher, die Narrative der Fakes zu erkennen.
Gibt es ein Beispiel für einen sehr erfolgreichen Beitrag von euch?
Charlotte: TikTok-Videos oder Instagram- Reels funktionieren am besten mit Emotionen. Das fördert die Interaktion auf den Plattformen, das führt zu mehr Reichweite. Die Verpackung muss stimmen, aber inhaltlich braucht es auch Qualität und Relevanz. Gut funktioniert hat das zum Beispiel, als der AfD-Politiker Josef Burkart 2023 gesagt hat, die kostenlose Ausgabe von Menstruationsartikeln an Frauen sei gleichzusetzen mit der kostenlosen Ausgabe von Alkohol und Zigaretten. Ich habe dann ein humorvolles Video gepostet, in dem ich meine Menstruation als Sucht dargestellt habe. Das fängt sehr emotional an, mit trauriger Musik im Hintergrund. Das Video ging viral und viele Frauen haben in Kommentaren mein Framing übernommen.
Grauzone statt frei erfunden: Die Qualität der Fakes ist heute eine andere
Wie haben sich Fakes in den letzten zehn Jahren entwickelt?
Thomas: Da sehen wir drei Dinge. Erstens hat sich die Qualität verändert, es gibt kaum noch komplett frei erfundene Geschichten. Auch, weil sie besonders leicht zu widerlegen sind. Heute bewegen sich die Meldungen in Grauzonen, die Verfassenden spielen mit Doppeldeutigkeit. Sie setzen Framing gezielter ein und reißen Sätze aus dem Kontext. Zweitens haben sich die Verbreitenden professionalisiert. Zusammen mit dem Erstarken der AfD hat sich eine parallele Medienwelt entwickelt, mit Verlagen, TV-Sendern, Zeitungen oder Gruppierungen, die sich dezidiert außerhalb der traditionellen Medien bewegen und versuchen, diese zu ersetzen. Drittens ist man erfolgreich damit. Diese Parallel-Medienwelt bringt sich in den öffentlichen und medialen Diskurs ein und schafft es, Debatten mitzubestimmen. Sie. verschiebt die Grenze des Sagbaren.
»Auch Inhalte in schlechter Qualität funktionieren, weil bei TikTok Authentizität zählt.«
Charlotte Theis
Foto: Dominik Asbach
Auch Social-Media-Portale haben sich verändert. Welche Stellung haben Fake-Verbreitende heute in der Kanallandschaft?
Charlotte: Rechte Gruppierungen haben es sehr schnell geschafft, Instagram und vor allem TikTok für sich einzunehmen. Sie erobern mit einer Masse an Accounts den Diskursraum, weil sie sehr koordiniert vorgehen. Auf TikTok gibt es ein ganzes Netzwerk an Kanälen der AfD, keine andere Fraktion im Bundestag hat so viele aktive Accounts von Abgeordneten und keine andere Partei ist so erfolgreich auf dieser Plattform. Sie war sehr schnell darin, dieses Netzwerk aufzubauen, in dem alle Accounts ähnliche Inhalte streuen und zum Beispiel AfD-Reden reposten – auch in schlechter Qualität. Das funktioniert, weil bei TikTok Authentizität zählt. Diese Accounts wollen ihrer Zielgruppe damit vermitteln: „Wir sind nahe bei euch.“ Dieses Netzwerk wurde zu spät entdeckt und die Plattformen machen nicht genug, um fragwürdige Inhalte zu unterbinden.
Was können Medienschaffende tun, um eine gemeinsame Basis aufzubauen, auf deren Grundlage konstruktive Diskussionen wieder möglich sind?
Thomas: Wir müssen es schaffen, die extremen Narrative aus dem öffentlichen Diskurs zu drängen. Unsere Strategie ist, Menschen nicht nur aufklären zu wollen, sondern gleichzeitig lauter zu sein als die Fake-Erzeugenden. Die Stärke der extremen Rechten ist zum Beispiel, dass sie ihre Narrative stärker vermittelt und dadurch attraktiv wirkt. Ein Ansatz ist, ihr diesen Schein zu nehmen, dann verliert sie auch einen Großteil ihrer Anhängerschaft. Menschen schämen sich dann dafür, auf deren Kampagnen hereingefallen zu sein. Dafür sollten Medien zum Beispiel kritischer und vorsichtiger mit extremistischen Politker:innen umgehen, die bekanntermaßen Desinformation verbreiten. Ich plädiere dafür, keine AfD-Politiker:innen in Talkshows einzuladen. Eine Alternative wäre, in einer Expert:innen-Runde über deren Aussagen zu sprechen, so lassen sich auch in Ruhe Fakten checken.
Seht ihr aktuell Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Fake-Produktion?
Thomas: Vereinzelt. KI-Bilder gibt es immer wieder. Aber ich teile nicht die Meinung der Warnenden, die meinen, dass mit KI eine „Post Truth“-Gesellschaft entsteht und nichts mehr wahr sein wird. Ich sehe, dass Menschen schon ohne KI auf Fakes hereingefallen sind, und zwar nicht, weil diese Inhalte auf Hochglanz poliert waren. Sondern weil sie Emotionen ansprechen und ein ganz bestimmtes Weltbild bestätigen. Technologie kann uns auch helfen. Schon während der Coronapandemie hatten wir einen Bot entwickelt, der einschlägige Telegram-Gruppen durchsucht hat und die Storys mit den meisten Shares ausgespuckt hat. Wir können KI auch fürs Fact-Checking nutzen und arbeiten aktuell an Lösungen, wie diese Entwicklung unsere Arbeit erleichtern kann.
Zu journalistisch, um als gemeinnützig zu gelten?
Dass eure Arbeit hoch geschätzt und unterstützt wird, zeigt euer Finanzierungsmodell: Seit Jahren könnt ihr auf Basis von Crowdfunding Falschinformationen aufdecken. Vor Kurzem wurde euch die Gemeinnützigkeit entzogen. Was bedeutet das genau für euch?
Thomas: Wir sind nach wie vor komplett durch Crowdfunding finanziert. Das Finanzamt hat uns jetzt aber den Status der Gemeinnützigkeit aberkannt und das rückwirkend von 2021 an. Für uns heißt das, dass wir auf die Spenden, die wir erhalten, jetzt Steuern zahlen müssen. Das heißt, dass wir weniger Geld von dem, was wir bekommen, für unsere Arbeit und unsere Projekte verwenden können, und vor allem, dass wir erst einmal eine hohe fünfstellige Summe nachzahlen müssen. Außerdem dürfen wir ab jetzt keine Spendenquittungen mehr ausstellen. Da wir vor allem viele Kleinspenden bekommen, ist das zum Glück für unsere Spender:innen nicht so relevant.
Was waren die Gründe dafür?
Thomas: So genau wissen wir das leider auch nicht. Es wurden zum einen Fehler an unserer Satzung bemängelt und zum anderen das Argument vorgebracht, dass unsere Arbeit zu journalistisch ist, es aber bislang keinen gemeinnützigen Journalismus gibt. Das Seltsame ist nur, dass diese Dinge bei der letzten Prüfung durch das Finanzamt noch vollkommen in Ordnung waren.
Wie geht es nun weiter mit dem Volksverpetzer – dürfen wir auch in Zukunft auf eure Aufklärung hoffen?
Thomas: Wir haben zum Glück eine sehr große Community, die uns in den vergangenen Wochen sehr stark unterstützt hat. Viele haben nach dieser Nachricht erst recht gespendet, sodass wir aktuell von unseren geplanten Projekten überhaupt nichts streichen mussten und unsere Arbeit wie gewohnt weitermachen können. Wie sich das Ganze mittelfristig entwickelt, können wir noch nicht wirklich einschätzen, über den Support freuen wir uns aber riesig und können sagen: Der Volksverpetzer macht genauso weiter wie bisher!
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