Christian Kaeßmann: Warum wir nachhaltige Media brauchen

2016 gründete Christian Kaeßmann aus einer unternehmerischen Chance heraus die Mediaagentur „PLAN“ in München. Heute stehen er und sein Unternehmen für einen starken Fokus auf Nachhaltigkeit, einen kritischen Umgang mit sozialen Plattformen und ein Umdenken im Werbemarkt. Im Interview spricht er über die Dimensionen nachhaltiger Media und warum sie für den Erhalt eines vielfältigen Mediensystems unabdingbar ist.

17.07.2025 8 Min. Lesezeit

Christian, du hast die Agentur PLAN 2016 gegründet – mit welcher Vision?

Christian Kaeßmann: Es wäre schön gewesen, wenn wir da schon eine Vision gehabt hätten! Das war eher holterdipolter. Ich war damals bei einer inhabergeführten Agentur angestellt, und wir hatten die Idee, hier in München einen Standort zu etablieren. Ein paar Wochen bevor das starten sollte, wurden wir uns plötzlich uneinig. Ich habe die Flucht nach vorne angetreten und mit dem kurzen Vorlauf von zweieinhalb Wochen eine eigene Agentur gegründet. Unsere erste TV-Kampagne haben wir damals mit GMX-Mailadressen gebucht!

Heute zeichnet euch euer Fokus auf Nachhaltigkeit aus. Den gab es am Anfang also gar nicht?

Christian: Nein. Das Thema Nachhaltigkeit gab es damals in der Media generell noch nicht. Mediaplus hat in der Zeit erst angefangen, den Green GRP (Anm. d. Red.: Messwert für den CO2-Fußabdruck von Kampagnen) zu entwickeln. Das habe ich am Rande wahrgenommen und fand, das war eine coole Idee. Wir haben auch an unserer Positionierung gefeilt. Mir ist damals eine Formulierung vom Redakteur Thomas Nötting in der W[&]V besonders aufgefallen: Er schrieb, man solle Mediaplanung wieder auf ihren Ursprung zurückführen. Das trifft unsere Arbeit sehr gut, auch heute noch.

Inwiefern?

Christian: Wir wollen bei der Mediaplanung nicht auf jeden Zug aufspringen, das Internet als Lösung aller Dinge sehen und am Ende nur bei Facebook, Insta und TikTok platzieren. Stattdessen suchen wir das Gespräch mit unseren Kunden: Was ist ihre Zielgruppe? Was für ein Mediennutzungsverhalten hat diese? Was ist die Zielsetzung des Kunden? Wir wollen bei den Grundlagen anfangen, weil das heute in der Branche viel zu wenig gemacht wird. Stattdessen wird viel Geld ausgegeben für Dinge, die nicht immer durchdacht sind.

Zu oft geht es in der Media nur um Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und Tausenderkontaktpreise, die aber keine Aussage über Qualität und Wirkung von Werbung machen.

Christian KaeßmannGründer von PLAN

So hat sich dann auch der Fokus auf Nachhaltigkeit ergeben?

Christian: Da sind viele Sachen zusammengekommen. In der Pandemie haben wir gelernt: Arbeit geht auch, wenn Menschen nicht im Büro sitzen. Wir haben daraufhin eine Kehrtwende gemacht, unsere Arbeitsverträge geändert und allen Mitarbeitenden 100 Prozent Homeoffice ermöglicht. Am liebsten hätte ich noch die feste Wochenarbeitszeit abgeschafft, aber das geht arbeitsrechtlich nicht. Es ist doch einfacher zu sagen, wir arbeiten, was geleistet werden muss, und wieviel Zeit jemand dafür verbraucht, ist mir wurscht! Bei mir kam eine persönliche Krise hinzu. Daraufhin habe ich angefangen, in meinem Leben Dinge konsequent zu verändern.

Was hatte das für einen Einfluss auf die Agentur?

Christian: Ich musste die alleinige Verantwortung abgeben. Ich habe zusätzlich Leute reingeholt und mir gesagt: Wir haben ein paar Jahre lang Geld verdient, wir können es uns erlauben, wenn wir jetzt zwei bis drei Jahre kein Geld verdienen. Und plötzlich stand das Thema Nachhaltigkeit für die Positionierung der Agentur im Raum. Das fand ich eine logische Konsequenz. Wäre die Positionierung aus einer betriebswirtschaftlichen Analyse heraus entstanden, würde es den Fokus auf Nachhaltigkeit nicht geben.

Das ist ja leider beim Thema Nachhaltigkeit meistens so – finanziell lohnt sie sich selten.

Christian: Genau. Wir zehren aktuell noch von dem, was wir uns in den Jahren zuvor erarbeitet haben, und vom Standardgeschäft, das mit Nachhaltigkeit wenig zu tun hat. Aber wir versuchen heute mit unseren Kunden gezielt das Thema nachhaltig-orientierte Media voranzutreiben. Das stößt nicht bei allen auf große Begeisterung, obwohl alle sagen, es sei wichtig. Aber in der tatsächlichen Umsetzung geht es eben doch darum, dass am Ende Wirtschaftlichkeit steht. Dabei orientieren wir uns bei der Frage an den falschen Indikatoren. Zu oft geht es nur um Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und Tausenderkontaktpreise, die aber keine Aussage über Qualität und Wirkung von Werbung machen.

Kommen neue Kunden auf euch zu, weil ihr auf das Thema Nachhaltigkeit setzt?

Christian: Unternehmen, die für sich sagen, Nachhaltigkeit ist Bestandteil unserer Unternehmens-DNA, finden uns gut und kommen auf uns zu. Dieses Pflänzchen ist noch klein, aber es wächst. Wir haben festgestellt, dass wir mit der breiten Masse noch nicht reden brauchen, weil der Markt noch nicht weit genug ist. Deshalb gehen wir gezielt in die Öko-Bubble und dort auf Kundensuche, weil wir aufgeschlossen empfangen werden. Diese Unternehmen  identifizieren sich mit einem Partner wie uns, weil wir Nachhaltigkeit auch selbst in der DNA haben.

Wie lebt ihr Nachhaltigkeit beim PLAN?

Christian: Wir haben im Kleinen angefangen. Wir haben Stromanbieter gewechselt und sind jetzt bei Naturstrom und nicht mehr bei den Stadtwerken. Es gibt in dieser Agentur keine Dienstwagen, dafür haben wir Bike Leasing eingeführt. Wir fahren grundsätzlich nur mit der Bahn, unser Wasser kommt aus der Leitung und nicht aus der Plastikflasche. Der Fußboden in unseren neuen Büros ist aus einem nachhaltigen Material. Wir haben unsere alten Büromöbel bei Kleinanzeigen verkauft und teilweise neue Dinge dort angeschafft. Ohne Beleg und von privat – erklär das mal dem Steuerberater! Damit es glaubhaft ist, dass wir Nachhaltigkeit in der DNA haben, erstellen wir gerade einen Bericht nach dem VSME-Standard.

Und wie setzt man Nachhaltigkeit im Bereich der Media um?

Christian: Generell gibt es drei Komponenten bei der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales. In der Ökonomie sind wir in der Media gut, weil Wirtschaftlichkeit im Kern unseres Geschäfts liegt. Zur Ökologie wurde vor einigen Jahren der Begriff „Green Media” etabliert. Im Grunde geht es dabei darum: Welche Emissionen entstehen durch die Verbreitung einer Werbekampagne? Sehr vereinfacht könnte man sagen: „Emission per Impression”. Das berechnen Messinstrumente wie zum Beispiel der GRP Rechner der Mediaplus und zwei, drei ähnliche Tools.

Und was ist mit der sozialen Komponente?

Christian: Für die Media übersetzt ist die soziale Dimension eine Demokratie-Diskussion: Da geht es um den Erhalt der Medienvielfalt, die Aufwertung des Qualitätsjournalismus, die Förderung der Demokratie durch Medien oder den Kampf gegen Hate Speech und Fake News. Aber die Frage ist: Wie mache ich das quantifizierbar? Wie drückt man Qualitätsjournalismus als Indexwert aus? Darauf gibt es noch keine Antworten.

Wie bringt ihr das an eure Kunden?

Christian: Was wir machen ist total banal: Wir sprechen mit Kunden darüber, wir schaffen Bewusstsein und sensibilisieren. Wir hinterfragen mit ihnen, ob es richtig ist, dass ein Großteil ihres Mediabudgets in Tech-Giganten und Soziale Plattformen fließt, bei denen man nicht weiß, in welchem Umfeld die Werbung stattfindet. Plattformen, die pseudomäßig gegen Hass und Fake News vorgehen und ihre eigenen User nicht schützen. Die dafür sorgen, dass Fake News in der Welt verbreitet werden können, die demokratieschädigend sind. Wir erleben teilweise, dass sich Marketing-Entscheider:innen sich über diese Fragen noch keine Gedanken gemacht haben.

Wie sollten wir mit Werbeschaltungen auf Google, Meta und Co. umgehen?

Christian: Kunden müssen anfangen, die Transparenzfrage zu stellen. Bei einer TV-Kampagne hinterfragen die Marketing-Entscheider:innen ja auch, wo ihr Spot läuft. Sie wollen Einschaltpläne sehen und diskutieren über Ausschlussumfelder: no sex, no crime, no violence, teilweise sogar no news. Da ist alles hochsensibel, damit die Marke bloß nicht im Umfeld von vermeintlich schädlichen Dingen steht. Und daneben sitzt die Online-Marketing-Abteilung, die jeden Tag 15.000€ bei Facebook oder TikTok ausgibt. Nach Umfeld und Kontaktqualität fragt da keiner. Warum denn nicht? Diese Sensibilität müssen wir wiederfinden.

Du bist seit Kurzem Teil der Initiative 18, einem Bündnis für freie, sichere und nachhaltige Medien. Was genau macht die Initiative 18?  

Christian: Das Kernziel ist der Erhalt eines vielfältigen Mediensystems und die Aufnahme dieses Zieles in die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Das Wirken wird also global gedacht, das soll ja nicht nur hier im deutschen Markt stattfinden.

Warum kommt die Initiative nicht aus dem Journalismus selbst, sondern aus der Werbebranche?

Christian: Der Werbemarkt investiert Geld in Medien und Geld sorgt mit dafür, dass Medien am Leben bleiben. Es arbeiten einige Leute in unserer Branche, die ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass wir diese Gelder steuern. Und wenn wir das ganze Geld zu Google, Meta und TikTok schieben, gehen diese anderen Medien, die für die Medienvielfalt wichtig sind, kaputt. Es gibt mittlerweile auch Schnittstellen und einen Schulterschluss, zum Beispiel beim „Projekt Zuversicht” mit der Initiative #UseTheNews.

Wirf mal einen Blick in die Zukunft: Wie sieht der Werbemarkt in fünf Jahren aus – regieren immer noch Meta und Co.?

Christian: Es wird mehr Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit da sein. Aber ein richtig großes Umdenken – das wird noch ein paar Jahre dauern. Es gibt auch noch andere Veränderungen, die das beeinflussen. Zum Beispiel verändert sich durch KI das Thema Suchmaschine und damit auch die Geldflüsse ins Suchmaschinenmarketing. Auf kurz oder lang profitiert Google vielleicht nicht mehr so stark. Die nächste Frage ist: Wann öffnet sich ChatGPT für den Werbemarkt? Und was bedeutet das dann? Gibt es dann Einflüsse von außen, die die Ergebnisse der KI beeinflussen? Es gibt also sehr viel mehr Einflussfaktoren als unser Bestreben nach Bewusstsein für Nachhaltigkeit.

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Christian: Ich wünsch mir, dass alle, die auf derselben Reise sind, die Energie nicht verlieren. Dass sie Überzeugungstäter bleiben, wie wir.

Bannerbild: Monica Garduno-Soto

Über den Autor/die Autorin

Nina Labaute

Nina beschäftigt sich als Teamlead von XPLR: MEDIA in Bavaria intensiv mit dem Medienstandort und berichtet regelmäßig über innovative Medienprojekte aus Bayern. Davor studierte sie European Studies in Passau, absolvierte ein Stipendium beim Institut für Journalistenausbildung der Passauer Neue Presse und arbeitete drei Jahre in Paris als Online-Redakteurin.

newsletter

Du willst mehr zu Medieninnovationen am Standort wissen?

Bleib auf dem Laufenden mit aktuellen Artikeln und Event-Tipps direkt per E-Mail.