Mariam En Nazer: So geht Nachhaltigkeit in der Buchbranche

Auch durch neue gesetzliche Vorgaben rückt das Thema Nachhaltigkeit bei Verlagen zunehmend in den Fokus. Die Penguin Random House Verlagsgruppe, mit Sitz in München, hat für den ganzheitlichen Blick auf die ökologische Transformation eine neue Position geschaffen: Head of Sustainability. Seit Mai ist Mariam En Nazer in dieser Funktion tätig. Im Interview erklärt sie, wie die Verlagsgruppe insgesamt grüner werden will.

29.07.2025 5 Min. Lesezeit

Mariam, wie war dein Einstieg in die neue Position als Head of Sustainability?

Mariam En-Nazer: Der Einstieg war für mich ein fließender Übergang. Ich hatte das Thema Nachhaltigkeit bei uns in der Verlagsgruppe schon seit einigen Jahren vorangetrieben, bisher allerdings als Production and Sustainability Managerin. Mit der neuen Stelle ist mir allerdings noch einmal bewusst geworden, wie viel Gestaltungsspielraum damit verbunden ist und welche Erwartungen damit einhergehen.

Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle bei Materialien, Druckprozessen und Lieferketten

 

Erzähl uns gerne mehr von deinem beruflichen Weg zur Nachhaltigkeit.

En-Nazer: Ich bin gelernte Verlagsbuchhändlerin mit Schwerpunkt Verlagsherstellung und habe jahrelang direkt in der Buchproduktion gearbeitet. Dabei ging es um Materialien, Druckprozesse und Lieferketten – Bereiche, in denen Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt und durch kluge Entscheidungen viel bewirkt werden kann. Mit der Zeit habe ich mich immer häufiger gefragt, wie sich das Büchermachen ressourcenschonender gestalten lässt, etwa durch gezielte Materialwahl oder optimierte Auflagenplanung. Aus diesem Antrieb heraus absolvierte ich eine Weiterbildung in Umweltökonomie. Meine beruflichen Positionen gingen dann immer mehr in die strategisch-nachhaltige Richtung.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?

En-Nazer: Ein großer Teil meiner Arbeit besteht aus Analyse: Ich bewerte Daten, um daraus konkrete Handlungsempfehlungen und Maßnahmen abzuleiten. Zum Beispiel: Welche Materialien haben welchen ökologischen Fußabdruck? Und an welchen Standorten und mit welchen Druckereien lässt sich ein Buch möglichst nachhaltig produzieren? Gleichzeitig ist Kommunikation ein wichtiger Bestandteil. Ich vermittle Wissen und sensibilisiere die Menschen im Unternehmen für das Thema Nachhaltigkeit. Darüber hinaus beschäftige ich mich intensiv mit gesetzlichen Vorgaben. Aktuell liegt der Fokus auf der EU-Entwaldungsverordnung, die ab Ende des Jahres für alle Verlage verbindlich wird. Zudem sind wir verpflichtet, gemäß CSRD einen Umweltbericht zu veröffentlichen.

Die Verantwortung liegt bei Verlagen. Wir sollten Bücher grundsätzlich so auf den Markt bringen, dass sie mit gutem Gewissen gekauft werden können, ganz ohne Extra-Nachfrage.

Foto: Penguin Random House Verlagsgruppe

Mariam En NazerHead of Sustainability

Du schaust anderen Abteilungen in Sachen Nachhaltigkeit auf die Finger. Gibt es da häufiger Diskussionen?

En-Nazer: Eher würde ich sagen: Ich berate die Abteilungen und bin ihre Ansprechpartnerin. Ein Beispiel ist das Marketing, wenn es um die Produktion von Flyern, Postern oder Pappaufstellern geht. Dabei helfe ich, nachhaltige Lösungen zu finden, aber ohne erhobenen Zeigefinger und ohne Überregulierung. Alle Mitarbeitenden sollen das nötige Know-how und die passenden Werkzeuge haben, um nachhaltig handeln zu können, auch bei kleinen Entscheidungen.

Welche Projekte liegen dir besonders am Herzen?

En-Nazer: Generell gilt: Bis 2030 wollen wir unsere Emissionen um 50 Prozent senken. Dafür müssen wir die Themen mit dem größten Impact angehen – von klimafreundlichen Papieren über optimierte Druckprozesse bis hin zu nachhaltiger Forstwirtschaft. Ein anschauliches Projekt, das mir am Herzen liegt, ist die Aktion „Ich schenk dir eine Geschichte“ der Stiftung Lesen. Seit 1997 bekommen rund 1,1 Millionen Schulkinder im Rahmen dieser Initiative ein Buch aus unserer Verlagsgruppe geschenkt. In diesem Jahr war es der Comicroman „Cool wie Bolle“ von Thomas Winkler und Timo Grubing, aus dem Verlag cbj. Stolz bin ich darauf, dass wir das Buch erneut mit höchsten Umweltstandards produziert haben: emissionsarmes, FSC-zertifiziertes Papier, gedruckt in Deutschland mit erneuerbarer Energie, ohne Folienkaschierung und komplett Cradle-to-Cradle-zertifiziert. Das heißt, alle Bestandteile wie Papier, Farben, Leime und Lacke sind vollständig in den ökologischen oder technischen Kreislauf rückführbar. Auf der letzten Seite des Buches wird diese Produktionsweise kindgerecht erklärt.

E-Books sind nicht automatisch nachhaltiger als das gedruckte Buch

 

Wäre die Branche nachhaltiger, wenn sie stärker auf das E-Book setzen würde?

En-Nazer: Ein E-Book ist nicht automatisch nachhaltiger. Es verlagert den Ressourcenverbrauch auf Server und Endgeräte, die in der Herstellung und im Betrieb energieintensiv sind und irgendwann ersetzt werden müssen. Ein gedrucktes Buch, das häufig gelesen wird, kann somit ökologisch sinnvoller sein als ein E-Book, das ungenutzt auf dem Reader liegt. Studien zeigen: Man müsste rund zehn E-Books pro Jahr lesen, damit sich die Umweltbilanz eines Tablets ausgleicht. Und am Ende ist es Elektroschrott – deutlich schwerer zu recyceln als ein Buch aus Papier.

Wie wichtig ist den Käufer:innen das Thema Nachhaltigkeit?

En-Nazer: Nachhaltigkeit ist selten ein Kaufkriterium, aber es kommt vor, dass Kund:innen danach fragen – und das freut mich jedes Mal. Trotzdem sollte es nicht ihr Job sein, sich in der Buchhandlung zwischen „nachhaltig“ und „konventionell“ zu entscheiden. Du willst ja nicht irgendein Buch, sondern genau diesen einen Roman, und den gibt es oft nur in einer Ausgabe. Deshalb finde ich: Die Verantwortung liegt bei Verlagen. Wir sollten Bücher grundsätzlich so auf den Markt bringen, dass sie mit gutem Gewissen gekauft werden können, ganz ohne Extra-Nachfrage.

Wie stehst du zu Entwicklungen wie Merchandising mit Plastikfiguren rund um Buchcharaktere oder besprühte Buchseiten?

En-Nazer: Das ist ein spannender Punkt, denn besonders im Genre „New Adult“ verlangt die Zielgruppe nach aufwendigen Veredelungen. Meiner Meinung nach geht es darum, bewusst zu überlegen, wann so eine Inszenierung wirklich sinnvoll ist. Viele dieser Bücher werden nicht einfach weggeworfen, sondern aufgehoben und präsentiert, was auch eine Form von Nachhaltigkeit durch Langlebigkeit ist. Gleichzeitig sollte man bei jedem Buchprojekt abwägen, wie notwendig ein solcher Schritt ist. Daneben sind Grafiker:innen gefragt, kreative Wege zu finden, mit weniger Veredelung starke visuelle Effekte zu erzielen.

Wie schätzt du den Standort München ein? Gibt es hier gute Voraussetzungen, um als Unternehmen nachhaltig zu handeln?

En-Nazer: Der Standort München ist für unsere Produktion nicht so relevant, weil wir deutschland- und europaweit drucken lassen. Aber als Verlag profitieren wir von der hervorragenden Infrastruktur. Bayern fördert außerdem nachhaltiges Wirtschaften, was grundsätzlich ein positives Umfeld schafft. Für uns ist es ein guter Ort, um Dinge anzustoßen und weiterzuentwickeln.

Zum Abschluss: Gibt es ein Buch zum Thema Nachhaltigkeit, das dich besonders inspiriert hat?

En-Nazer: Mich hat „Zukunft – eine Bedienungsanleitung“ von Florence Gaub sehr beeindruckt. Es geht in dem Buch nicht direkt um Nachhaltigkeit, sondern darum, wie wir zukunftsfähig denken und handeln können. Die zentrale Idee: Zukunft fällt nicht einfach vom Himmel, sie wird gestaltet – und genau so ist es mit Nachhaltigkeit. Wir haben sie selbst in der Hand.

Bannerbild: Penguin Random House

Über den Autor/die Autorin

Dr. André Gärisch

Jedes unbeschriebene Blatt ist eine Einladung, Welten entstehen zu lassen, sei es in Features, Reportagen, Essays, Interviews oder Kurzgeschichten. Diesem Motto folgt André Gärisch seit über zehn Jahren als freier Redakteur, mit Veröffentlichungen unter anderem in Frankfurter Rundschau, Welt, Jetzt, Horizont und Strive.

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