Markus Knall: „Wir sind radikal digital“
Das Netzwerk der Zentralredaktionen von Ippen Digital versorgt mehr als fünfzig Online-Portale rund um die Uhr mit News. Darunter auch Merkur.de und die Frankfurter Rundschau. Über den Erfolg dieses Redaktionsnetzwerks und die Zukunft des digitalen Journalismus haben wir mit Chefredakteur Markus Knall gesprochen.
Sie haben für Ippen die erste Zentralredaktion eines Verbundes von Lokalredaktionen aufgebaut. Können Sie uns etwas über das Team und seine Arbeitsweise erzählen?
Markus Knall: Was uns kennzeichnet: Wir agieren als Netzwerk. Dabei betreiben wir zwar sehr unterschiedliche Produkte, haben aber gemeinsame Technik, Prozesse und Leitlinien. Für die Zentralredaktionen haben wir eine besondere Organisationsform gewählt. In der Vergangenheit haben sich Redaktionen üblicherweise nach thematischen Schwerpunkten organisiert: Politik, Sport, Wirtschaft. Wir verfolgen einen anderen Ansatz. Unsere Redakteure sind nicht in erster Linie Reporter. Wir fassen unsere Mitarbeiter nicht nach Themen, sondern nach Funktionalitäten zusammen. Es gibt ein CvD-Team, ein SEO-Team, ein Engagement-Team. Daneben gibt es auch etwas, das sich wie ein Fachressort anhört: ein Lokal-Team oder ein Video-Team. Allerdings sind auch diese Teams vor allem digitale Blattmacher.
Gab es interne Widerstände gegen eine Zentralredaktion? Oder gehören die Sticheleien zwischen Print und Online der Vergangenheit an?
Knall: Der Weg in die Digitalisierung ist ein so tiefer Strukturwandel. Das geht nicht ohne Diskussionen. Diese Diskussionen sind aber wichtig. Vieles mussten wir erst ausprobieren und neu erfinden. Der Aufbau von digitalem Journalismus ist ein agiler Prozess und das geht nur mit Diskurs.
Die Zahlen scheinen Ihnen recht zu geben. „Merkur.de“ wuchs 2019 von 690.000 auf 1,66 Mio. Daily Unique User. Wie ist Ihnen das gelungen?
Knall: Wir haben verinnerlicht, dass man digitalen Journalismus in seinen Grundfesten entwickeln muss. Dass es nicht reicht, Traditionsmedien ins Internet umzulegen, sondern dass man eine Vision haben muss. Unser Ziel ist, etwas Eigenständiges zu schaffen: publizistisch, journalistisch und natürlich auch wirtschaftlich. Und wir sind überzeugt, dass ein Netzwerk mit gemeinsamer Technik, Prozessen und Leitlinien die beste Antwort auf die Herausforderungen im Digitalen ist. Unser Erfolgsrezept: wir sind radikal digital.
In einem Vortrag sprachen Sie von „Impact First“. Was meinen Sie damit?
Knall: Früher sprach man von „online first“ oder sogar „print first“. Diese Modelle haben vorausgesetzt, dass es so etwas wie „DEN Leser“ gibt. Wir stehen aber vor einer großen Breite an Zielgruppen und Produkten. Für uns ist also die Frage: Mit welchem Produkt haben wir bei welcher Zielgruppe den besten Erfolg? Für einen 65-jährigen loyalen Leser aus der Region ist der Impact der Tageszeitung vielleicht am höchsten. Einem 25-jährigen Studenten muss ich etwas anderes anbieten. Impact First heißt, den Wechsel hin zu einer kundenzentrierten Produktentwicklung zu schaffen.
In den Zentralredaktionen arbeiten Journalist*innen mit Programmierer*innen und Performance-Expert*innen zusammen. Prallen da Welten aufeinander?
Knall: Die Herausforderung der digitalen Branche ist das immer größer werdende Spektrum an Spezialisierungen. Wir brauchen dabei sowohl die Tiefe als auch die Breite an digitalen Fähigkeiten. Daher entwickeln wir Berufsbilder, die es vor ein paar Jahren gar nicht gab. Zum Beispiel den SEO-Redakteur. Das sind spezialisierte Journalisten, keine Techniker. Dafür bilden wir seit inzwischen fast vier Jahren SEO-Volontäre aus.
Das Berufsbild „Journalist“ hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Was erwarten Sie heute von neuen Kolleg*innen?
Knall: Wir suchen Menschen, die tief spezialisiert sind, um Exzellenz zu erzeugen. Da ist Recherche und Schreiben nur eine von vielen Aufgaben. Gleichzeitig braucht es auch die Fähigkeit, die Aufgaben anderer Spezialisten zu reflektieren und einzubinden, um Wissenssilos zu verhindern. T-Shape ist der Ausdruck dafür. Um diesen Spagat zu schaffen, übernehmen etwa die Kollegen aus dem SEO-Team auch mal Spätdienste.
Noch immer tun sich einige Medienhäuser schwer mit Digitalisierung. Was würden Sie Ihren Kolleg*innen raten?
Knall: Wir müssen anerkennen, dass eine zentrale Hypothese der regionalen Verlagsbranche nicht eingetreten ist. Dass sich nämlich sehr erfolgreiche analoge Produkte einfach ins Digitale kopieren lassen und dort genauso erfolgreich sind. Wir sehen, dass es nicht reicht, Texte ins Internet zu übertragen oder mit Videos TV-Formate nachzuahmen. Nach 25 Jahren digitalem Journalismus müssen wir feststellen: So funktioniert das nicht.
Und als nächstes kommt jetzt noch die künstliche Intelligenz ins Spiel.
Knall: Bei uns im Netzwerk erscheinen pro Tag mehr als 2.000 Artikel, die Millionen Menschen erreichen. Und das alles rund um die Uhr. Das ist für Redakteure im Detail schwer zu überblicken. Wir arbeiten daher an Graphen, Recommendations und Editorial Assistance, damit Redakteure wichtige Entscheidungen noch besser treffen und Leser den für sie passenden Inhalt noch einfacher bekommen.
Redaktionell geht es dabei auch um die Frage: Was ist die künftige Rolle von Journalisten? Algorithmen werden Journalisten die Aufgaben abnehmen, die Maschinen schneller und besser erledigen. Aber Algorithmen müssen auch entwickelt, gesteuert und geprüft werden. Agendasetting und Themenführung dagegen sind immer noch Stärken menschlicher Journalisten. Die Zusammenarbeit von Menschen und Maschine ist im digitalen Journalismus die nächste große Aufgabe.
Macht das nicht Sinn? Gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen müssen doch angesichts der Corona-Krise gut überlegen, wofür sie Geld ausgeben.
Jens: Das stimmt. Nur bietet die derzeitige Situation gerade für Unternehmen Chancen, die ansonsten vergleichsweise wenig Geld für Social Media Marketing zur Verfügung haben. Ich denke da an das Café an der Ecke oder den Buchladen in der Kleinstadt – an all diejenigen also, die besonders unter der Ausgangssperre leiden.
Das liegt daran, dass sich gerade viele Unternehmen mit digitaler Werbung auf Kanälen wie Facebook oder Instagram zurückhalten, obwohl sie ihr Budget nicht zwangsläufig gekürzt haben. Gleichzeitig verbringen die Leute aufgrund der eingeschränkten Freizeitaktivitäten mehr Zeit in den sozialen Netzwerken. Diese Faktoren führen dazu, dass der Wettbewerb um Impressions, Link-Klicks und Interaktionen abnimmt.
Heißt: Wer jetzt investiert, zahlt weniger für Klicks und Conversions als sonst?
Jens: Genau. Dazu kommt, dass man mit geringen Budgets ein wenig experimentieren kann. Schon mit 15 oder 20 Euro am Tag können sich diejenigen ausprobieren, die sonst die Finger von Facebook Ads lassen: So kann das Café an der Ecke schon mit wenig finanziellen Aufwänden die Anwohner*innen in der Nachbarschaft darüber informieren, dass es einen Lieferservice eingerichtet hat und der Kuchen jetzt an die Haustür gebracht wird.
Im Übrigen bietet Facebook gerade viele Infos für Geschäfte, Läden und Unternehmen an, um bisher analog ablaufende Prozesse zu digitalisieren.
Hast du den Eindruck, Corona bringt gerade auch die letzten Digitalisierungsskeptiker ins Web?
Jens: Es gibt auf jeden Fall einen Schub. Die Digitalisierung wird vorangetrieben. Besonders erfreulich ist dabei die Fantasie, mit der auch Unternehmen, die bisher nicht sonderlich Social Media-affin waren, mit ihrer Community in Kontakt treten.
Zum Beispiel hat ein LKW-Hersteller kürzlich Ausmalbilder für Kinder auf seiner Facebook-Seite gepostet. Das ist kreativer Content, der jede Menge zur Markenbindung beiträgt. Die derzeitige Situation zwingt die Unternehmen zum Umdenken. Plötzlich geht all das, was vorher vielleicht aus strategischen Gründen nicht ging. Die Menschen trauen sich jetzt etwas im Netz. Die Ergebnisse sind großartig.
Auch Allfacebook musste aufgrund von Corona kreativ werden. Die Allfacebook Marketing Conference fand im März statt in München virtuell statt. Die „Vor Ort“-Konferenzausgabe ist in den August gewandert. Wie waren eure Erfahrungen mit der digitalen Konferenz?
Jens: Zehn Tage vor der Konferenz haben wir entschieden, das Event virtuell stattfinden zu lassen. Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen. An der virtuellen Konferenz haben knapp 450 Leute teilgenommen, also rund die Hälfte der Personen, die wir vor Ort erwartet hätten. Mit einer so hohen Beteiligung haben wir nicht gerechnet. Wir dachten, dass die Leute derzeit nicht den Kopf für so etwas haben. Aber das Gegenteil war der Fall. Zusätzlich findet vom 24. bis zum 26. August erstmals eine Sommer-Ausgabe der Konferenz statt.
Ist die virtuelle Ausgabe eine Option für die Zukunft?
Jens: Ich persönlich bin ein Freund von physischen Events. Der persönliche Austausch ist doch nochmal etwas anderes, auch wenn es inzwischen tolle digitale Networking Tools gibt. Die virtuelle Konferenz war eine gute Erfahrung und das Feedback war durchweg positiv. Aber dennoch: Ich freue ich mich auf die Allfacebook Marketing Conference im Sommer.





