Radio vs. Podcast: Diese Audiomedien will die Gen Z hören

Radio versus Podcast: Wer trifft den Nerv der jungen Hörer:innen? Flo Kerschner, Moderator bei Radio ENERGY Nürnberg und Berater bei EMS Experts Managed Services, und Alina und Jani vom Podcast „Wine Wednesday“ zeigen, dass es kein Entweder-oder geben muss, sondern dass der Schlüssel zum Erfolg in gegenseitiger Inspiration und im Austausch liegt.

29.10.2025 7 Min. Lesezeit

Alle Welt streamt, alle Welt podcastet – und vor allem die jüngeren Generationen hören zu. Der vermeintliche Verlierer dabei: das Radio. Doch ein Münchner Sender zeichnet ein anderes Bild. Radio ENERGY führt laut „Funkanalyse Bayern 2025“ bei den 14- bis 49-Jährigen die Liste der lokalen Konkurrenten an: Rund 38.000 Hörer:innen schalten pro Stunde ein. Hören junge Zielgruppen also doch noch Radio? Und wie sehr konkurriert das mit dem Podcast-Boom? Dem „Podcast Report 2025“ von Seven.One Audio zufolge haben Podcasts erstmals mehr Hörer:innen in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen als das Radio. Mit 73 Prozent, die „mindestens selten“ Podcasts hören, liegt dieses Format nun vor dem Radio mit 70 Prozent. Die Studie belegt den Boom der Podcasts, zeigt aber auch, dass das Radio nach wie vor relevant ist. So sieht das auch Flo Kerschner, Moderator bei ENERGY Nürnberg und Head of Broadcast & Audio Solutions bei EMS (Experts Managed Services GmbH). Er berät Marken strategisch in den Bereichen Radio, Podcast und Corporate Sound und führt den Erfolg von ENERGY auf dessen klare Markenposition zurück: Hit Music Only. Der Haupteinschaltgrund beim Radio sei auch bei der jungen Zielgruppe nach wie vor die Musik. „Die Hits entstehen mittlerweile bei TikTok. Die sammeln und kuratieren wir und bieten sie dann im Stream an.“ Ganz anders die Podcast-Welt: Dort stehen keine Markenclaims im Vordergrund, sondern die Stimmen selbst. Wie beim Podcast „Wine Wednesday“. Die Hosts Alina und Jani (Anm. d. Red.: möchten nur mit Vornamen genannt werden) sind Freundinnen und sprechen einmal die Woche unverblümt über persönliche Geschichten aus ihrem Alltag. Dabei spielen sie mit ihren Gegensätzen: Alina lebt in der Großstadt und ist Single, Jani wohnt eher ländlich und ist in einer festen Beziehung. Ein Konzept, das aufgeht: Sie verzeichnen 300.000 bis 400.000 Streams im Monat. Ihre Hörer:innen sind primär weiblich und Anfang bis Mitte 20. „Das Schöne ist, wir sind selbst nur ein paar Jahre älter als unsere Zielgruppe. Wir interessieren uns für die gleichen Dinge, leben ähnliche Leben“, sagt Alina. 

Keine Scheinwelt: Wer authentisch bleibt, gewinnt die Aufmerksamkeit der jungen Hörer:innenschaft, sowohl im Radio als auch im Podcast. / Fotos: Sebastian Arlt
Alina und Jani sind auch auf Instagram aktiv: zu finden unter @alinasophieee und @janihager. / Fotos: Sebastian Arlt
Kaffee und Radio am Morgen, Wein und Podcast am Abend – zwei Alltagsbegleiter, die ins Ohr gehen und im Kopf bleiben. / Fotos: Sebastian Arlt

Die Gen Z und ihre Audiovorlieben 

Warum nutzen junge Menschen überhaupt so viel Audio? Der „Online-Audio-Monitor 2024“ zeigt, dass Audio für unter 30-Jährige vor allem ein Stimmungsbooster ist. Es hilft ihnen, abzuschalten und zu entspannen. Zudem haben Audioformate eine hohe Alltags- und soziale Relevanz: Das heißt, die Hörer:innen haben das Gefühl dazuzugehören, sie fühlen sich weniger allein und entdecken Neues. Kerschner, Alina und Jani sind sich einig: Audio ist das intimste und emotionalste Medium und deshalb so beliebt. „Jemanden wortwörtlich im Ohr zu haben, ist in Alltagssituationen einfach sehr persönlich“, sagt Jani. Und: Audioformate sind einfach und unkompliziert zu konsumieren, etwa über das Smartphone: Sie lassen sich auch nebenbei bei der Hausarbeit, im Auto oder beim Sport hören. Das bestätigt Radiomoderator Kerschner: „Die Jungen hören unsere Streams mobil.“ 

Der direkte Draht zur Zielgruppe 

Um mehr Informationen über das Hörverhalten zu bekommen, arbeitet ENERGY mit einem effizienten Feedbacksystem: Neben Anrufen, Kommentaren und Co. werden regelmäßig Formate evaluiert und Hörer:innenumfragen gestartet. Vor allem Themen wie Liebe, Job, Lifestyle, Popkultur und Selbstoptimierung finden beim jungen Radiosender großen Anklang in der Gen Z. Bei „Wine Wednesday“ geht das Feedback über Direktnachrichten auf Instagram oder über Kommentare bei den Streaming-Diensten ein. Wünsche und Anregungen nehmen sich die beiden zu Herzen: Anfangs hatten Alina und Jani beispielsweise noch nicht gegendert, doch auf die Bitte der Community passten die Hosts ihre Sprache an. „Uns hören ja fast nur Frauen – daher wurde uns schnell klar, wie wichtig das ist“, erklärt Alina. 

Jemanden wortwörtlich im Ohr zu haben, ist in Alltagssituationen einfach sehr persönlich.

Podcast-Host Jani

Was junge Menschen hören wollen 

Inhaltlich möchte die junge Generation vor allem eins von ihren Audioformaten: Authentizität. Moderator:innen und Hosts, die mit Profil und klarer Haltung auftreten, sind entscheidend. „Junge Menschen wollen nicht belehrt werden, sie wollen mitgenommen werden“, sagt Kerschner. Ihm fehle das hin und wieder im Radio. Kerschner weiß, wovon er spricht, neben seiner Radiotätigkeit verantwortet er die Realisierung von fünf erfolgreichen Corporate Podcasts. Laut ihm müssten Programmmacher:innen im Radio Moderator:innen freie Hand lassen und sie selbst zu Marken aufbauen. Die zwei Moderatorinnen von „Wine Wednesday“ etwa haben keinen Redaktionsplan, keine Regeln und äußern sich zu allen Themen, die sie interessieren – frei raus und ohne sich zu verstellen. Diese Offenheit ist nicht nur erfrischend, sondern hat auch Einfluss. Laut dem „Podcast Report 2025“ haben 81 Prozent der Gen Z ihre eigene Meinung aufgrund der Meinung eines Podcast-Hosts bereits häufig oder sehr häufig geändert. 

Mit der Community zum Erfolg 

Einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg eines Podcasts wie den von Alina und Jani ist eine gute Verbindung zur Community. Viele ihrer Hörer:innen sind mit den beiden Hosts groß geworden: Vor 15 Jahren spielten sie in der Kinderserie „Die Mädchen-WG“ auf KiKA mit. Diese enge Beziehung aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen, hat für die beiden oberste Priorität. „Wine Wednesday“ nutzt dafür nicht nur Social Media und Merchandise, sondern auch Live-Shows. Wie wichtig ihnen jede:r einzelne Hörer:in ist, zeigen beispielsweise ihre Come-alone-Tickets: Frauen aus der Community, die nicht allein zur Show kommen möchten, werden mit anderen Fans vernetzt. „Daraus sind schon echte Freundschaften entstanden“, sagt Alina. Auch ENERGY ist nah an der Zielgruppe – auf TikTok und Instagram, aber auch auf Festivals, Events und bei Campus-Aktionen sind sie mit Eventbühnen oder Interviewzelten präsent. „Wir schaffen echte Begegnungen, ergänzend zur täglichen Interaktion on air. Das baut Vertrauen und Identifikation auf, und zwar nachhaltig“, sagt Kerschner. Trotzdem sieht er genau hier noch Verbesserungspotenzial. Seine Vision: Die Moderator:innen müssen raus aus dem Studio. „Nehmt die Morningshow, packt sie in ein Wohnmobil und lasst sie durch das Sendegebiet fahren. Nur so bleibt man im Kopf.“ Ebenso entscheidend sei die Live-Interaktion: Wenn Hörer:innen anrufen und die Moderator:innen sich auf den Moment einlassen, würden Radiosender wie Hörer:innen oft positiv überrascht. 

Wir schaffen echte Bedingungen, ergänzend zur täglichen Interaktion on air. Das baut vertrauen auf.

Flo Kerschner

Lernen vom anderen Format 

Wer kommt nun besser an bei der jungen Zielgruppe? Zeit, ein Fazit zu ziehen: Radio und Podcasts haben ihre jeweiligen Stärken, können aber auch viel voneinander lernen. „Radio ist schnell und auf den Punkt. Nach der Musik hat man als Moderator:in nur sieben Sekunden Zeit, um zu fesseln“, sagt Kerschner. Diese Prägnanz könnten Podcasts übernehmen, die hin und wieder thematisch abdriften. „Ein bisschen mehr Struktur würde unserem Podcast sicherlich guttun – als Sicherheitsnetz, das uns zum roten Faden zurückführt“, gibt Jani zu. Podcasts wiederum bieten eine Plattform, um tiefer in Themen einzutauchen und Geschichten zu erzählen. Dadurch können sie eine authentische Verbindung zur Community aufbauen. Hiervon können Radiosender lernen: Sie müssen ihre Talents fördern und mutiger in der Ausgestaltung ihres Programms sein. Wer als Moderator:in glaubwürdig ist, gibt der Marke ein Gesicht. „Jedes Wort, das man als Moderator:in sagt, ist eine Marketing-Botschaft für den Sender, dessen muss man sich bewusst sein“, sagt Kerschner. Damit meint er: Die eigene Persönlichkeit soll nicht hinter der Marke verschwinden – sie macht die Marke erlebbar. Klar, die Reichweiten des Radios bei der jüngeren Zielgruppe liegen längst nicht mehr auf früherem Niveau: Die Werberelevanz sinkt, während ein Überangebot anderer Medien die Aufmerksamkeit junger Menschen bindet. Radio muss sich laut Kerschner anpassen, Berührungspunkte mit der jungen Generation suchen und nutzen. Er widerspricht aber der These, dass Podcasts das Radio langsam ersetzen werden: Die Live-Komponente, die unmittelbare Interaktionsmöglichkeit und der regionale Bezug seien nach wie vor Alleinstellungsmerkmale des Radios, die auch bei den Jungen ankommen. Die Zukunft sehen Kerschner, Alina und Jani nicht im Wettbewerb der beiden Medienformate, sondern vielmehr in einer Zusammenarbeit – durch Cross-Plattform-Formate, gemeinsame Hosts, geteilte Themen und plattformübergreifen – des Storytelling. Kerschner betont: „Nur wenn wir als Branche kooperativ zusammenarbeiten und uns auf die neuen Herausforderungen einlassen, können wir die Zukunft des Radios nachhaltig weiterentwickeln.“

Bannerbild: Sebastian Arlt

Über den Autor/die Autorin

Lena Kaeß

Lena Kaeß ist Redakteurin mit Neugier für das, was sich zwischen den Zeilen abspielt. Sie interessiert sich für Menschen, Ideen und Medientrends, die zeigen, wohin sich unsere Kommunikationswelt bewegt. Als studierte Medienwirtschaftlerin bringt sie analytische Klarheit und journalistisches Gespür zusammen – immer mit dem Blick auf das, was sich wandelt.

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