100. Geburtstag: Sophie Scholl in Farbe und Echtzeit

Am 9. Mai 2021 wäre die Studentin und Widerstandskämpferin Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. SWR und BR haben das Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl realisiert, mit dem Zuschauer:innen die letzten zehn Monate im Leben der 21-jährigen Widerstandskämpferin, gespielt von Luna Wedler, miterleben können. Lydia Leipert hat das Projekt beim BR redaktionell betreut.

07.05.2021 6 Min. Lesezeit

Frau Leipert, das Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl von SWR und BR will Geschichte erlebbar und vor allem für ein jüngeres Publikum lebendig machen – haben Sie viele kritische Briefe von Geschichtsprofessor:innen bekommen?

Lydia Leipert: Überhaupt nicht. Tatsächlich haben wir von Anfang an vor allem positive Rückmeldungen bekommen zu dieser neuen Art, Geschichte lebendig zu machen. Und um die historische Korrektheit sicherzustellen, konnten wir auch die Historikerinnen Barbara Ellermeier und Maren Gottschalk gewinnen, das Projekt zu begleiten. Wir lesen auch jetzt – wo das Projekt läuft – viele Kommentare von Geschichtslehrer:innen, die gerne aufs Material zugreifen. Uns freut deshalb sehr, dass ein Teil unserer Inhalte auch auf „mebis“, der Schulplattform des Bayerischen Kultusministeriums, zu finden sein wird und auch Unterrichtseinheiten darum gebaut werden. So findet Sophie Scholl in Farbe und Echtzeit ihren Weg in die Klassenzimmer.

Inwiefern ist das Projekt wegweisend für die gesamte Digitalstrategie der Öffentlich-Rechtlichen?

Leipert: Wir wollen natürlich alle Menschen mit unseren Angeboten erreichen; also auch die, die kein klassisches lineares Fernsehen mehr schauen. Und wenn man hochwertige und informative Inhalte für junge Menschen produzieren möchte, muss das somit auch auf Social Media – in unserem Fall Instagram – passieren.

Welche Herausforderungen hat das neue Format mit sich gebracht?

Leipert: Eine wirkliche Herausforderung war die Produktion. Denn wir mussten das gesamte Bewegtbildmaterial – alles im Hochformat – vorab produzieren und spielen es jetzt zehn Monate lang aus. Also eigentlich erstmal wenig Insta-typisch. Das liegt einfach daran, dass wir auf Spielfilmniveau gedreht haben und das geht eben in historischen Kostümen, Maske und eingerichteten Locations nur in einem bestimmten Drehzeitraum. Richtig spannend war auch die Bildgestaltung: Denn Luna Wedler, die Sophie Scholl spielt, hat zum großen Teil die Kamera selbst gehalten beim Spielen – sie war also Hauptdarstellerin und Kamerafrau in einem. Nur so konnte ein echter authentischer Selfie-Look erzeugt werden.

Anlass war Sophie Scholls 100. Geburtstag am 9. Mai 2021. Normalerweise gibt es zu solch einem Jubiläum Veranstaltungen und Medienberichte, die schnell wieder verpuffen. Denken Sie, dass das Interesse am Account @ichbinsophiescholl weiterhin wachsen wird?

Leipert: Das hoffen wir natürlich sehr. Sophie Scholl eignet sich aber mit ihrer Geschichte besonders als Protagonistin: Sie über zehn Monate lang zu begleiten, wie sie langsam als Studentin in der Großstadt München ankommt und dann in den Widerstand geht. Wie sie zwischen Liebeskummer und Wut über die diktatorische Struktur beschließt, mitzumachen bei der Weißen Rose. Uns Macher:innen hat es sehr viel Spaß gemacht, die Geschichte dieser modernen und mutigen junge Frau zu konzipieren in der Hoffnung, dass die User:innen dann genau so viel Spaß damit haben.

Das Projekt lässt die Follower:innen an den letzten zehn Monaten von Sophie Scholls Leben teilhaben. Wird @ichbinsophiescholl auch aus ihrer Haft posten, kurz vor ihrer Hinrichtung?

Leipert: Auch wenn das historische Ende von Sophie Scholl bekannt ist, möchte ich hier nicht zu viel verraten. So viel sei gesagt: Wir haben im Team lange darüber gesprochen und uns entschlossen, der Haltung des Kanals treu zu bleiben, dass Sophie selbst aus ihrer Perspektive radikal subjektiv erzählt. Was denken Sie, wie lange hätte Sophie gefilmt nach ihrer Verhaftung? Was wäre mit ihrem Handy geschehen?

Ist der Bayerische Rundfunk nun inspiriert, vergleichbar aufwändige „Social only“-Projekte anzustoßen? Können Sie uns hier schon etwas verraten?

Leipert: Der BR hat ja im digitalen Bereich schon viele erfolgreiche Projekte an den Start gebracht. Ich denke da an preisgekrönte Digitalproduktionen wie „Die Befreiung“ „Ich, Eisner!“, „Do Not Track“ oder „Homo Digitalis“. Und natürlich haben wir weiter den Ansporn unseren Zuschauer:innen und User:innen Information und Unterhaltung zu liefern – egal über welchen Ausspielweg.

Kreative brauchen Freiraum, Amazon braucht Stoffe, die weltweit funktionieren – ein Spannungsfeld, oder?

Pratt: Meine Mission ist, für die Prime-Video-Kunden herausragende Filme, Serien und Shows zu machen. Wie kommen wir dahin? Dramaturgie ist nichts Neues. Seit Aristoteles gibt es dramaturgische Gesetzmäßigkeiten, wie Menschen Geschichten rezipieren, wie man Spannung aufbaut, unterhält oder lustig ist. Wir wollen so viele Menschen wie möglich ansprechen. Wir haben weltweit über 200 Millionen Prime-Mitglieder und im letzten Jahr haben 175 Millionen Prime-Mitglieder Serien und Filme bei Prime Video geschaut.

Schwer vorstellbar, dass man in diesem Kontext etwas Neues ausprobiert.

Pratt: Das ist letztlich eine Frage der gesamten Content-Strategie. In der Summe von Projekten brauchen wir immer etwas, das die breite Masse unterhält. Dann können wir auch mal was Neues wagen.

Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sagten Sie, dass Sie nur Schauspieler:innen sehen wollen, die man noch nicht kennt.

Pratt: Stimmt. Ich kucke mit meinen Kindern immer „The Voice Kids“. Und ich bin jedes Mal baff, wie viele hochtalentierte Kinder dort singen. Und genauso ist das in der Schauspielerei. Wir müssen nicht immer dieselben Gesichter zeigen. Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ wussten wir, dass der Stoff eine sehr große Strahlkraft hat. Deshalb konnten wir neue Gesichter wagen und auch mit den dramaturgischen Regeln spielen.

Natürlich bauen wir auch auf Starpower, auf die großen Namen, die die Zuschauer lieben. Aber wir können den Zuschauern sowohl ihre Lieblingsstars bieten und zugleich in den Aufbau von zukünftigen Stars investieren.

Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gab es eine 360°-Auswertung: ein Soundtrack bei Amazon Music, Original-Interview-Mitschnitte mit Christiane F. bei Audible und einen Dokumentarfilm. Welchen Stellenwert hat diese crossmediale Auswertung?

Pratt: Wir denken all diese Kanäle früh mit und überlegen, was Sinn macht. Amazon hat hier eine große Stärke: Twitch, Alexa, IMDb, Audible, Amazon Music und vieles mehr – das ist ein Universum an Möglichkeiten.

Sie studierten Film- und Fernsehproduktion an der Filmuniversität Potsdam Babelsberg. Was hat Sie in die Welt des Films gezogen?

Pratt: Seit ich als Kind „Star Wars“ gesehen habe, hat mich die Welt des Films nicht mehr losgelassen. Ich habe 1999 bei TV Total und der Wochenshow als Kabelträger angefangen, ich war Ausstattungsassistent, Beleuchter und Aufnahmeleiter. Das Produktionsstudium habe ich dann 2002 begonnen. Ich denke, ich bin ein Entrepreneur-artiger Allrounder, der gerne Dinge aufbaut – also genau richtig für meinen Job.

Wir sitzen hier in einer ehemaligen Klinik. Ist das auch eine der Veränderungen, die E-Health mit sich bringt: dass wir weniger Krankenhäuser brauchen?

Buschek: Nicht unbedingt. E-Health soll keine Praxis und keine Klinik ersetzen. Es wird sich aber vieles verändern und es entstehen neue zusätzliche Zugangswege zur medizinischen Versorgung. Eine sinnvolle Entwicklung kann zum Beispiel sein, dass es weniger Feld-Wald-und-Wiesen-Krankenhäuser und mehr Schwerpunkt-Kliniken gibt, die telemedizinisch vernetzt sind und mit ihren Expert:innen kleinere Häuser unterstützen. So kommt also die Expertise eines Schlaganfall-Zentrums durch den digitalen Wandel auch in die Provinz.

Sie erleben in Ihrem Bereich gleich einen doppelten digitalen Wandel – den der Medien und den der Medizin. Welcher verändert unser aller Leben mehr, welcher ist schwieriger?

Buschek: Ich würde das gar nicht vergleichen. In den Medien ist dieser Wandel einfach schon weit fortgeschritten; auch durch die Nutzenden, die andere Bedürfnisse entwickelt haben. Medienunternehmen haben also längst auf einen veränderten Markt und eine veränderte Nachfrage reagiert. Im Gesundheitswesen stehen wir noch ganz am Anfang.

Video-Interview mit Chefredakteurin Dr. Nina Buschek

Über den Autor/die Autorin

Julia Hägele

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