Bild: Verena Kathrein
Articly: Wie die „Zeitung zum Hören” den Durchbruch schaffte
Die Idee ist simpel: ausgewählte Zeitungsartikel werden eingelesen und auf einer App angeboten. Will das jemand hören? Und ob! Innerhalb von drei Jahren wurde das Münchner Startup Articly in Deutschland Marktführer im Audio-Qualitätsjournalismus. Wir haben mit den Gründern Wolf Weimer und Lukas Paetzmann über den Erfolg von Zeitung zum Hören gesprochen.
Lukas und Wolf, ihr bezeichnet Articly als die Zeitung zum Hören, gebündelt in einer App. Wieso ist vor euch niemand auf diese Idee gekommen und hat sie erfolgreich umgesetzt?
Lukas Paetzmann: Das Modell, einen Aggregator für Zeitungen zu haben, wurde sicher schon 20-mal gebaut. Uns unterscheidet, dass wir nicht den Anspruch haben, die ganze Zeitung zu vertonen. Wir präsentieren nur einen kleinen Auszug an Qualitätsjournalismus. Meist sind das etwas längere Texte, die in die Tiefe gehen und in die viel journalistische Arbeit geflossen ist. Sie werden in gedruckter Form oft auf dem Stapel „Das les ich später“ abgelegt und verstauben dort. Das Hören senkt die Schwellenangst, sich auch komplexer Texte anzunehmen.
Wolf Weimer: Entscheidend war, wie bei vielen erfolgreichen Startups, das richtige Timing. Wir hatten Glück, dass das Audiothema richtig groß geworden ist. Seit ein paar Jahren gibt es einen Podcast-Boom. Die Leute sind es gewöhnt, immer die Kopfhörer dabeizuhaben und Dinge anzuhören. Und so entsteht bei vielen auch der Wunsch, Nachrichten hören zu können. Es funktioniert auch deshalb so gut, weil der Text durch die Stimme, die Betonung, den Sprachrhythmus emotionalisiert wird. Inhalte, die vorgelesen werden, merkt man sich besser.
Was ist euer Finanzierungsmodell?
Lukas: Wir setzen auf Abos. Damit hat man einen Freifahrtschein und kann sich kreuz und quer durch unser Angebot von aktuell circa 1.000 Artikeln hören. Articly ist aber kein Nachrichtenportal. Die meisten unserer Artikel sind zeitlos, es sind Hintergrundberichte oder auch Kommentare.
»Entscheidend war, wie bei vielen erfolgreichen Startups, das richtige Timing.«
Wolf Weimer, Mitgründer Articly / Foto: Verena Kathrein
Lukas Paetzmann: Echte Sprecher:innen sind unser USP
Viele Zeitungen, Magazine und Nachrichtenportale bieten schon länger solche Audioartikel an. Was schätzen eure Kund:innen an einer eigenen Plattform dafür?
Wolf: Wir können inhaltlich eine hohe Qualität bieten, weil wir von Anfang an etablierte Verlage mit an Bord geholt haben. Entscheidend ist, dass die Inhalte gut umgesetzt und präsentiert werden. Das gab es in dieser Form in Deutschland bisher nicht. In England und den USA haben sich mit Curio und AUDM fast zeitgleich ebenfalls zwei erfolgreiche Formate entwickelt.
Arbeitet ihr deshalb auch mit realen Sprecher:innen und nicht mit Computerstimmen?
Lukas: Wir sind mit Articly während der Coronaphase an den Start gegangen. Damals waren viele Schauspieler:innen mit ausgebildeten Sprechstimmen ohne Arbeit. Ihnen konnten wir mit dem Einlesen der Artikel einen kleinen Verdienst ermöglichen. Bei dieser Zusammenarbeit ist es dann geblieben. Dass wir mit professionellen Sprecher:innen arbeiten, ist zu unserem USP geworden.
Wolf: Damit unterscheiden wir uns auch von vielen Angeboten auf Websites. Wenn du dort den Play-Knopf drückst, hörst du eine abgehackte Roboterstimme. Trotzdem sind Computerstimmen kein Thema, vor dem wir die Augen verschließen. Im englischsprachigen Raum und in China sind sie zum Teil bereits nicht mehr von realen Stimmen zu unterscheiden.
Die Texte, auf denen die Audios bei Articly basieren, stammen von aktuell 30 Medienpartnern. Welche Anforderungen stellt ihr an sie?
Lukas: Sie müssen seriös sein. Und sie sollten keine extrem radikalen Positionen vertreten, dürfen aber durchaus kontroverse Ansichten zum Mainstream haben. Wir beobachten auch, dass im Moment der Stellenwert von Autor:innen, die Texte erkennbar prägen, an Wichtigkeit gewinnt. Deshalb sind wir gerade dabei, herausragende Journalist:innen an uns zu binden, die auch exklusiv für uns Texte schreiben.
Bezahlt ihr den Verlagen für die Texte ein Pauschalhonorar?
Wolf: Im Moment ist das bei den großen Verlagen meist so. Wir versuchen aber, die Verlage künftig für Modelle zu begeistern, bei denen sie, abhängig von der Zahl der Abrufe, finanziell beteiligt werden. Also eine Art Spotify für Texte. Sehen euch die Medienhäuser als Konkurrenz oder als Unterstützung?
Lukas: Es war am Anfang manchmal schon Gegenwind zu spüren. Für die Verlage, die sich beteiligen, sind wir eine willkommene Einnahmequelle. Denn es wird für sie immer schwieriger, mit Anzeigen Geld zu verdienen. Und der Artikel ist ja sowieso vorhanden. Zudem sind wir für die Verlage ein schönes Schaufenster und machen mit der vertonten Version der Texte Werbung für die entsprechenden Medien. Ihr wählt nicht nur eure Medienpartner sorgfältig aus, sondern auch die Texte selbst.
Articly: Im Alltag der Zielgruppe ankommen
Welche Kriterien wendet ihr hier an?
Wolf: Wir haben im Laufe der Zeit gelernt, dass nicht jeder Text für Audio geeignet ist. Wenn zum Beispiel viele Zahlen enthalten sind, dann hört man das nicht gerne. Ein Börsenbericht funktioniert weniger gut als eine Reportage aus der Arktis. Damit findet schon eine erste Aussortierung statt. Dann versuchen wir auch, ein breites Themenspektrum zu bieten und politisch möglichst ausgewogen zu sein.
Mit ihrer App Articly reagieren Lukas Paetzmann und Wolf Weimer auf den Audioboom der letzten Jahre. / Bild: Verena Kathrein
Wie lang sind eure Audioartikel?
Lukas: Im Schnitt acht Minuten. Das hat sich als ideales Zeitmaß erwiesen. Wir sind aber nicht total auf diese Länge festgelegt. Es gibt auch kürzere Texte, oder welche, die sogar 20 Minuten lang sind. In einer Session werden meist zwei Artikel gehört. Dann ist man als Hörer:in gesättigt.
Verratet uns mehr über diese Hörer:innen. Wie alt ist eure Kernzielgruppe?
Wolf: Wir sehen sie im Alter zwischen 30 und 45 Jahren. Darüber hinaus haben wir noch Sonderzielgruppen, zum Beispiel Legastheniker:innen oder blinde und sehbehinderte Menschen. Das sind insgesamt etwa zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland. Auch ältere Leute, deren Sehvermögen abnimmt, schätzen unser Angebot.
Wo nutzen diese Menschen Articly?
Wolf: Diese Frage ist für uns extrem spannend. Zwar haben wir noch keine empirischen Daten, aber aus dem Kundenfeedback wissen wir, dass wir gerne beim Kochen und Spazierengehen gehört werden.
Lukas: Und manchmal sogar als Einschlafhilfe.
Wolf: Ein großes Thema ist auch der Weg zur Arbeit. Seit ein paar Monaten sind wir im ICE-Portal vertreten. Interessant für uns ist die Zusammenarbeit mit Automobilkonzernen. Künftig in Autos präsent zu sein, wäre eine Winwin-Situation.
»Wir können kleinen Verlagen helfen, einen Audio-Fußabdruck zu hinterlassen.«
Lukas Patzmann, Mitgründer Articly / Foto: Verena Kathrein
Articly: Erfolg im Format „Die Höhle der Löwen“
Ihr habt im April 2023 im TV-Format „Die Höhle der Löwen“ mitgemacht und Carsten Maschmeyer als Investor gewonnen. Welche Nachwirkungen hatte das?
Lukas: Du bekommst mit „DHDL“ eine Präsenz vor drei Millionen Zuschauer: innen in der Primetime. Das sind Leute, die sich bewusst mit deinem Produkt auseinandersetzen wollen. Wir hatten am Tag der Ausstrahlung fünfstellige Download-Zahlen. Dazu kam der Magnet-Effekt von Carsten Maschmeyer in der Investor:innen-Welt. Viele sagten sich: „Wenn der mitmacht, muss er ja seine Gründe haben.“ Wir wollen und brauchen zwar im Moment kein weiteres Invest, aber es sind gute Kontakte entstanden.
Kann man ein Startup aus eurer Sicht ganz alleine zum Erfolg führen? Oder würdet ihr empfehlen, Hilfe von außen zu holen?
Lukas: Grundsätzlich glaube ich: Wenn du ein paar gute Leute und eine ebenso gute Idee hast, dann kannst du als Startup auch alleine relativ weit kommen.
Wolf: Eine wichtige Unterstützung kam für uns von Anfang an vom Media Lab Bayern. Man lernt dort andere Gründer:innen kennen. Es war für uns die Schnittstelle zu Verlagen und wichtigen Medienmenschen. Das Media Lab hat uns wesentlich dabei geholfen, unser Netzwerk aufzubauen.
Was sind eure Pläne für die Zukunft?
Wolf: Wir haben im Moment eine hohe fünfstellige Zahl an aktiven Nutzer:innen im Monat. Unser nächstes großes Ziel sind 100.000, das wäre eine solide Basis. Und interessant ist auch der große spanischsprachige Raum.
Lukas: Wir sind mittlerweile eine etablierte Firma im Audiojournalismus. Das heißt, wir können kleinen Verlagen helfen, einen Audio-Fußabdruck zu hinterlassen. Natürlich überlegen wir auch: Öffnen wir uns für eine größere Zielgruppe? Machen wir vielleicht selbst einen journalistischen Podcast? Das Interessante an einem jungen Startup wie unserem ist, dass man nie weiß, wo man in ein, zwei Jahren stehen wird.
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