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BR-Expertin Tanja Hüther: „Unser Auftrag ist ein Programm für alle”
Als öffentlich-rechtlicher Sender hat der BR einen Auftrag zu erfüllen, zu dem zählt, mit den eigenen Inhalten alle Generationen anzusprechen. Kein leichtes Unterfangen, weiß auch Tanja Hüther, Streaming-Expertin und Head of ARD Distribution Board. Im Interview sprach sie darüber, welche Ausspielwege immer relevanter werden, wie sich die öffentlich-rechtlichen Sender gegen die großen Privatstreamer behaupten und wie Gen Z und Gen alpha das Streamingverhalten in Zukunft verändern werden.
Frau Hüther, lineares Fernsehen erreicht die Generation 55+, digitale Angebote die jüngeren Zielgruppen – diese Annahme ist weit verbreitet. Aber stimmt das so überhaupt noch?
Tanja Hüther: Das stimmt tatsächlich beides. Die jüngeren Menschen erreicht man mit linearem Fernsehen nicht mehr gut. Mit wirklich traditionellem Fernsehen über Kabel, Satellit oder Terrestrik erreichen wir vor allem älteres Publikum. Mit unserem linearen Angebot in der Mediathek sprechen wir aber auch jüngeres Publikum an. Dort ist das lineare Fernsehprogramm in Streams auch abrufbar.
Nutzer:innen-Analyse: „Wir arbeiten jetzt wesentlich datenbasierter“
Wie schwierig ist es als öffentlich-rechtlicher Sender, den Spagat zu schaffen und allen gerecht zu werden?
Hüther: Diese Aufgabe ist uns nicht neu. Es war schon immer eine Herausforderung, ein Programm für alle Menschen zu machen. Wir nehmen das sehr ernst, das ist der Kern unseres Auftrages. Was sich aber sehr ändert, ist die Marktumgebung. Digitale Plattformen eignen sich hervorragend, um zielgerichtete Angebote zu machen und spezifische Zielgruppen zu erreichen. Aber wir haben auch eine vollkommen andere Wettbewerbssituation. Dadurch, dass mit der Digitalisierung auch die Globalisierung kam, haben wir ein viel breiteres Angebot an professionellen Medienunternehmen, aber auch User-generiertem Content oder Angebote von kleinen, unabhängigen Publishern.
Wie gehen Sie mit dieser starken Konkurrenz um?
Hüther: Wir gucken verstärkt im Verbund mit den anderen Landesrundfunkanstalten der ARD, dass wir ein genaues Bild davon bekommen, wen wir gut erreichen. Wer die Angebote nutzt, die wir haben. Sowohl die linearen Radio- und Fernseh-Programme als auch unsere digitalen Plattformen: die Mediathek, die Audiothek, tagesschau.de etc. Da arbeiten wir jetzt wesentlich datenbasierter, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Wir untersuchen, wo wir ein gutes Angebot haben und wo es noch Lücken gibt. Dann nehmen wir diese Lücken strategisch ins Visier und entwickeln gezielt Programmangebote.
„Wir haben durch unseren Auftrag eine sehr spezifische Positionierung. Das gibt uns eine Unverwechselbarkeit, die uns jetzt in einem sehr wettbewerbsstarken und globalisierten Markt hilft. Wir grenzen uns durch die Bandbreite unserer Inhalte, aber auch durch den hohen Qualitätsanspruch und den Grad an lokalen Inhalten von kommerziellen Angeboten ab.“
Tanja Hüther
Im Gegensatz zu privaten Streaminganbietern haben Sie als öffentlich-rechtlicher Sender durch den Rundfunkstaatsvertrag einen Auftrag, den Sie erfüllen müssen. Sehen Sie das als Herausforderung oder als Vorteil?
Hüther: Das war während der Marktentwicklung der letzten zehn, fünfzehn Jahre ein großer Vorteil für uns. Wir haben durch unseren Auftrag eine sehr spezifische Positionierung. Das gibt uns eine Unverwechselbarkeit, die uns jetzt in einem sehr wettbewerbsstarken und globalisierten Markt hilft. Wir grenzen uns durch die Bandbreite unserer Inhalte, aber auch durch den hohen Qualitätsanspruch und den Grad an lokalen Inhalten von kommerziellen Angeboten ab.
Man darf sich aber nicht darauf ausruhen. Als Netflix 2014 in Deutschland gestartet ist, hieß es gerne mal von den alteingesessenen TV-Anbietern: „Die machen was ganz anderes als wir, da können wir wunderbar koexistieren.” Tatsächlich ist es nicht so. Kommerzielle Unternehmen machen das, was erfolgreich ist, und wenn man mit Dokumentationen, Kinderinhalten, Unterhaltung oder Sport Erfolg hat, werden sie sich dorthin bewegen. Wir als Öffentlich-Rechtliche müssen dann schauen, dass wir weiterhin unseren Qualitätsanspruch erfüllen.
Großer Wettbewerb um Auffindbarkeit und Wahrnehmbarkeit auf Benutzeroberflächen
Mit Eintritt der Streamer startete vor einigen Jahren eine große Belebung der Branche. Hat sich der Markt heute ein Stück weit konsolidiert?
Hüther: Ja, der Markt hat eine gewisse Konsolidierung erlebt, wobei sich diese weniger auf das Nutzerangebot auswirkt. Es gibt nach wie vor sehr viele Plattformen, Apps und Einzelangebote. Die Konsolidierung hat einen Schritt davor in der Wertschöpfungskette stattgefunden: Es haben zum Beispiel Studios fusioniert. Hinter vielen Angeboten ist also sehr viel Contentkraft versammelt. Dass sich der Markt zu den Nutzerinnen und Nutzern hin noch nicht verschlankt, hat man so nicht vorhergesehen. Uns beschäftigt diesbezüglich aktuell vor allem ein Thema: Viele Plattformen wie Sky, Magenta oder auch die Gerätehersteller versuchen, gemeinsame Lösungen für Nutzer zu finden, damit diese nicht ewig suchen müssen, was sie gucken wollen.
Inwiefern ist das für die Öffentlich-Rechtlichen relevant?
Hüther: Es besteht ein großer Wettbewerb um die Auffindbarkeit und Wahrnehmbarkeit auf Benutzeroberflächen. Das ist für alle Marktteilnehmer eine Herausforderung. Wir müssen darauf achten, dass man die verschiedenen Plattformen versteht, dass man die erforderliche Technologie bereithält, dass man ein gutes Miteinander mit den Plattformen pflegt und gute Beziehungen aufbaut. Wir haben uns in den vergangenen Jahren sehr gut behaupten können. Die ARD Mediathek ist enorm gewachsen und gehört in Deutschland zu den Top 4 der Streamingplattformen.
In einem Interview mit XPLR: MEDIA 2020 haben Sie angekündigt, an der Personalisierbarkeit Ihrer Angebote zu arbeiten. Wie viel hat sich seitdem getan?
Hüther: Da ist sehr viel passiert, aber das ist nach wie vor ein langer Weg und eine große Herausforderung. Die Personalisierung unserer Inhalte ist eines unserer großen Langzeitprojekte. Die Voraussetzung, damit wir überhaupt personalisierte Inhalte anbieten können, ist die Registrierung der Nutzerinnen und Nutzern. Bei Bezahlplattformen ist das völlig selbstverständlich, auf unseren Plattformen ist das anders. Eine große Aufgabe für uns ist es, Menschen davon zu überzeugen, sich bei uns freiwillig zu registrieren, dabei pflegen wir natürlich einen sehr sauberen Umgang mit Nutzungsdaten. Da sind wir einen guten Schritt vorangekommen. Zum anderen haben wir uns mit dem erforderlichen Datenmanagement beschäftigt, übrigens auch in Partnerschaft mit dem ZDF. Um personalisierte Inhalte anzubieten, braucht es Nutzungsdaten und Metadaten. Sie erlauben uns aktuell, Empfehlungen auszuspielen und unseren Nutzerinnen und Nutzern, persönliche Merklisten anzulegen.
„Wir sehen auch Gaming als starke Konkurrenz zu Video und Audio”
Welche Verbreitungswege sind aktuell für Sie am relevantesten? Welche werden in Zukunft eine größere Rolle spielen?
Hüther: Wir stecken mitten in der digitalen Transformation und haben aktuell noch starke Standbeine im Rundfunk. Im Radio sehen wir zum Beispiel noch sehr viel UKW- und DAB+-Nutzung. Im Streaming haben wir vor einigen Jahren unsere sogenannte „Big Five-Strategie” verabschiedet. Darin haben wir beschlossen, dass wir uns auf fünf eigene Plattformen für die Ausspielung unserer Inhalte im digitalen Bereich fokussieren: die ARD Mediathek, die ARD Audiothek, tagesschau.de, sportschau.de und zusammen mit dem ZDF KiKa.
„Die Mediennutzung wird sehr stark personalisiert werden, vor allem deshalb, weil sie gerade viel KI-getriebener wird. Man wird sich daran gewöhnen, dass man durch persönliche Smart Assistents, die das eigene Nutzungsverhalten sehr gut kennen, sehr individuell und situationsbezogen mit Medienangeboten versorgt wird.“
Tanja Hüther
Wie wird sich das Streamingverhalten von Gen Z, Gen alpha und Co. zukünftig entwickeln?
Hüther: Wir haben schon ein recht hohes Level an Streamingnutzung, wenn man sich anschaut, wie viele Stunden gerade junge Menschen mit Medien beziehungsweise im Internet verbringen. Wir sehen aber auch, dass sich nach wie vor ganz neue Nutzungsformen herausbilden, die nicht mehr viel mit den linearen Programmen ‚von früher‘ zu tun haben. Ein gutes Beispiel sind hier die Social-Media-Plattformen: TikTok funktioniert ganz anders als Instagram, und Instagram funktioniert ganz anders als Facebook. Diese Entwicklung wird nicht aufhören. Die nächste Plattform mit einer eigenen Nutzungsart wird kommen.
Wir sehen auch Gaming als starke Konkurrenz zu Video und Audio. Das ist ein großes Feld, in dem wir als Medienhaus sehr gut überlegen müssen, wie wir uns aufstellen. Wir haben zum Beispiel Pilotprojekte auf Twitch. Gerade ist die Apple Vision Pro auf den deutschen Markt gekommen, auf der die ARD Mediathek integriert ist, und ich könnte mir vorstellen, dass sich in diesem Bereich in Zukunft noch einiges entwickelt. Sehr sicher ist aber, dass die Mediennutzung, vor allem, weil sie gerade viel KI-getriebener wird, sehr stark personalisiert wird. Man wird sich daran gewöhnen, dass man durch persönliche Smart Assistents, die das eigene Nutzungsverhalten sehr gut kennen, sehr individuell und situationsbezogen mit Medienangeboten versorgt wird. Das müssen wir genau beobachten, um auch in Zukunft präsent sein zu können.
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