Braucht es eine Polizei im Metaverse?
In Zukunft könnten wir immer mehr Zeit im Metaverse verbringen. Wie gehen wir dabei mit Gefahren bei der Nutzung des Web3 um? Cybercrime-Experte Cem Karakaya und ZEIT-Journalistin Tina Groll sprechen über die Risiken im Metaverse und ob eine digitale Polizei für mehr Sicherheit sorgen kann.
Frau Groll, Herr Karakaya, welche Gefahren lauern im Metaverse?
Cem Karakaya: Die Menschen denken, im digitalen Raum seien sie anonym. Im Metaverse könnte das eine neue Dimension annehmen: Vielleicht machen sie dort Dinge, die sie in der realen Welt nicht tun würden. Im virtuellen Raum gibt es das Tatortprinzip nicht. Das heißt zum Beispiel: Ein Opfer lebt in Deutschland, der Server steht in China und der oder die Täter:in sitzt in Russland. Das führt zu einer entscheidenden Frage, die noch geklärt werden muss: Gilt der Tatbestand dort genauso wie in Deutschland und führt er zu der gleichen Strafe? Für digitale Welten braucht es klare Regeln, die für jedes Land und jeden Menschen gelten.
Tina Groll: Es gibt immer wieder neue Phänomene. Meint man, eine Betrugsmasche gut im Griff zu haben, gibt es schon die nächste Variante. Wie erfinderisch Betrüger:innen im Netz sind, hat zum Beispiel der Fall mit Franziska Giffey und dem falschen Vitali Klitschko gezeigt. Deepfakes sind nur ein Beispiel für technische Möglichkeiten, auf die man vorbereitet sein sollte.
„Deepfakes sind nur ein Beispiel für technische Möglichkeiten, auf die man vorbereitet sein sollte.“
Tina Groll, Journalistin
Wie unterscheiden sich die Risiken von denen in sozialen Medien heute?
Karakaya: Im Metaverse lassen sich theoretisch Bewegungsprofile erstellen. Wo gehe ich lang, welche Dinge schaue ich mir wie lange an? Das sind noch mehr Daten, die sich wiederum für Algorithmen nutzen lassen: Big Data weiß mehr über die Leute, als sie selbst über sich wissen. Grundsätzlich gilt: Wenn Sie ein Produkt nicht bezahlen, bezahlen Sie mit Ihren persönlichen Daten. Die technische Entwicklung ist so schnell, dass die Verabschiedung von Gesetzen hinterherhinkt. Bis das passiert, haben Betrüger:innen ihre Methoden mehrfach verändert. Aber auch moralische Grundsätze entwickeln sich mit Verzögerung. Wir sprechen erst dann darüber, welche Bilder in sozialen Medien geteilt werden dürfen, wenn anstößige Inhalte verbreitet werden. Bei allen Risiken sollte man aber nicht vergessen, dass neue Medien den Menschen auch helfen können. Soziale Medien ermöglichen einen Austausch, wo er unterdrückt wird, wie in Ländern mit starker Zensur.
Metaverse: Risiken kennen und Schutzmaßnahmen treffen
Wie kann das Netz sicherer werden?
Karakaya: Wenn wir zum Beispiel kritische Infrastruktur wie die Energieversorgung digitalisieren wollen, müssen wir immer an die Menschen denken, die sie nutzen: Sind die Nutzer:innen dafür bereit, kennen sie die Risiken im Umgang mit den digitalen Systemen und haben sie ausreichend Schutzmaßnahmen getroffen? Wer diese drei Fragen mit Ja beantwortet, ist gut geschützt. Das ist aber meist nicht der Fall. Der Computer rechnet mit allem, aber nicht mit den Benutzer:innen. Nicht die Technologie ist gefährlich, sondern der Mensch, der sie nutzt. Ich brauche heute nur Namen, Geburtsdatum und Anschrift. Diese Daten gebe ich in ein Programm und erhalte einen Ordner voller Daten: mit Bildern, Videos und Meinungsbeiträgen. Das ist besonders heikel für Kinder und Jugendliche. Sie sind die Entscheidungsträger:innen von morgen. Daten lassen sich manipulieren, zudem kann ich die Personen erpressen.
Foto: Kay Blaschke
Tina Groll, Sie mussten am eigenen Leib erfahren, dass Cybercrime ein ernst zu nehmendes Problem ist. Ihnen wurde die Identität gestohlen.
Groll: Mir wurde nicht nur die Identität gestohlen, ich wurde auch Opfer von Identitätsmissbrauch. Das sind zwei unterschiedliche Sachen. Den Diebstahl merkt man oft nicht, bis massiver Missbrauch damit betrieben wird. In meinem Fall hatten die Betrüger:innen nur meinen Namen und mein Geburtsdatum – das reichte schon aus, um meine Identität in Hunderten von Fällen für Warenkreditbetrug zu nutzen. Es lagen Haftbefehle gegen mich vor, ich stand im Schuldnerregister, ich wurde polizeilich und behördlich gesucht. Das habe ich erst ein Jahr später bemerkt, als die ersten Mahnschreiben kamen. Das war echt die Hölle.
Mit Datensparsamkeit Übergriffe vermeiden
Wie können sich Privatpersonen vor solchen Übergriffen schützen?
Groll: Das eigene Nutzungsverhalten so datensparsam wie möglich gestalten. Übertriebene Angst und Vorsicht sind im Zeitalter der Digitalisierung zwar fehl am Platz: Nutzer:innen sollten sich aber immer die Frage stellen, warum ein Unternehmen bestimmte Daten braucht. Außerdem sollte jeder eine Firewall installieren, sich mit Zwei-Faktor-Authentifizierung einloggen und im Idealfall einen Passwort-Manager nutzen. Oder zumindest sehr lange, kryptische Passwörter festlegen.
Karakaya: Datensparsamkeit ist wichtig. Ansonsten immer die Software aktuell halten und daran denken: Nicht nur Computer und Smartphone müssen aktualisiert werden, sondern auch der Smart TV, die Webcams und das Babyphone.
„Die Leute dürfen nicht zu der Auffassung kommen, dass sie in digitalen Welten eher straffrei wegkommen als in der Welt, in der wir uns körperlich bewegen.“
Cem Karakaya, Cybercrime-Experte
Braucht es eine Polizei im Metaverse?
Karakaya: Ja und nein. Nein, weil Straftaten wie Beleidigung, Bedrohung oder Erpressung bei der Polizei angezeigt werden können. Das gilt jetzt schon, dafür braucht es nicht unbedingt eine Polizei im Metaverse. Für die Prävention kann das aber helfen. Im Metaverse würden sich Personen zum Beispiel mit Belästigungen eher zurückhalten, wenn sie jemanden in Uniform sähen. Sie steigen auch in der Fußgängerzone nicht aufs Fahrrad, wenn Sie dort einen Polizisten oder eine Polizistin sehen. Die Leute dürfen nicht zu der Auffassung kommen, dass sie in digitalen Welten eher straffrei wegkommen als in der Welt, in der wir uns körperlich bewegen. Das muss aber gut umgesetzt werden. Dafür braucht es mehr Befugnisse für die Polizei. Heute haben wir Cybercrime-Dezernate. Dort arbeiten Beamt:innen, die IT studiert haben. Die wissen zum Beispiel, wie sie digital Spuren sichern. Sie haben auch alle technischen Mittel, um Täter:innen zu finden. Sie könnten zum Beispiel Smartphones orten – dürfen es aber nicht immer.
Groll: Grundsätzlich ist das Metaverse eine faszinierende Vision. Es muss aber Regeln geben, da wird staatliche Regulierung notwendig. Und wenn eine solche Welt von Konzernen geschaffen wird und den nationalstaatlichen Raum verlässt, muss das neu verhandelt werden. Ich persönlich will nicht ständig Warnungen aussprechen, sondern bin sehr zuversichtlich, dass die Menschheit es schaffen wird, Innovationen so zu entwickeln, dass wir gut damit leben können.
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