Bayerische Spieleentwickler bringen viel mehr voran als „nur“ Videogames. / Bild: Gentle Troll Entertainment
Innovationstreiber: Wie Spielestudios mehr voranbringen als Games
App-Entwicklung, Spielwaren-Design, interaktive Museumserlebnisse, pädagogische Anwendungen. Bayerische Spieleentwickler bringen viel mehr voran als „nur“ Videogames. Die Projekte, die über Games als Unterhaltungsmedium hinausgehen, helfen den Studios ebenso wie anderen Branchen.
Was haben eine App-unterstützte Kunststoff-Hand aus dem Tim Burton Horror-Hit „Wednesday”, ein Virtual-Reality-Wagner-Museumsgame und Unterrichtsmaterialien zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Sylt gemeinsam? Sie alle wurden von Studios in Bayern entwickelt, deren Geschäft eigentlich die Spieleentwicklung ist. „Eigentlich”, weil die Projekte dieser Unternehmen tatsächlich weit über das reine Games-Development als Unterhaltungsmedium hinausgehen. Weit gefehlt, wer denkt, dass Spielestudios den ganzen Tag am nächsten Ego-Shooter oder einer Free2Play-Games-App feilen. Das Portfolio vieler Spieleentwickler ist bunt und reicht von klassischer Spieleentwicklung über App-Dienstleistungen bis hin zu Spielwaren-Design, pädagogischen Anwendungen und innovativen digitalen Hilfestellungen für spiel-ferne Unternehmenskontexte.
Auf die harte Tour gelernt
Und davon profitieren nicht nur die Studios selbst. „Die Spieleentwicklung ist ja multidisziplinär. Viele der dort gelernten Skills können wir in anderen Industrien und Bereichen einbringen”, weiß Max Muthig, Mitgründer und Entwickler der Crit Crew aus Würzburg. Neben der studioeigenen Spieleentwicklung arbeitet das junge Unternehmen viel mit Spielzeugfirmen zusammen. Eine naheliegende Symbiose. Aber auch eine, die sich genauso gut auf spielferne Bereiche übertragen lässt. „Neben der Entwicklung liegt unsere Stärke im User Experience Design und User Testing. Wir haben mit Free2Play-Spielen angefangen, und da lernt man auf die harte Tour“, erinnert sich Muthig. „Wenn man es da nicht innerhalb von ein paar Sekunden schafft, die Kund:innen zu überzeugen, dann sind sie wieder weg.“ Und: „Das ist natürlich ein Learning, was sich in vielen Industrien und Bereichen gewinnbringend einsetzen lässt.“
Digitale Erweiterungen von Echtwelt-Produkten
Bis vor kurzem haben die Würzburger an einer Auftragsarbeit für Spielzeughersteller Playmobil gearbeitet. Was nachgefragt wird: „Es kommen immer mehr Anfragen von Spielzeugfirmen, die ein Echtwelt-Produkt haben und dem eine digitale Dimension verpassen wollen.“ Zuletzt entwickelte die Crit Crew etwa eine Video-App für eine Spielzeugumsetzung der körperlosen Hand, genannt „Eiskaltes Händchen”, aus dem Netflix-Hit „Wednesday”. Mittels eines mitgelieferten GreenScreen-Handschuhs und der von der Crit Crew entwickelten Video-App können gruselig-lustige Videos mit dem Spielzeug erstellt werden und auf Social Media und Co. hochgeladen werden. Diese Kombination zwischen analogem und digitalem Spiel fasziniert Muthig und sein Team. „Solche Projekte machen unheimlich viel Spaß, weil das für uns die ideale Verbindung zwischen Oldschool-Spielzeug und digitaler Erweiterung ist.“
Gamification: Serious Games als Markt
Aber es geht auch ernst(er): Gentle Troll Entertainment, ebenfalls in Würzburg ansässig, hat sich etwa auf Serious Games spezialisiert. Also Lernspiele und Lernanwendungen für Unterricht, Schule, Weiterbildung und Training. Spielend lernen liegt uns Menschen nämlich im Blut – das zeigt die Studienlage deutlich. Umso beliebter wurden in den letzten Jahren spielerische Anwendungen in eigentlich spielfernen Kontexten – Gamification heißt das Zauberwort. Gentle Troll bietet Serious Games für verschiedenste Kunden. Für die Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmt Kind wurde etwa das preisgekrönte Mobile-Game „The Unstoppables“ entwickelt. Oder das Spiel „Klim:S²¹ – Das Spiel zur Klimaanpassung“. Es entstand gemeinsam mit der PH Heidelberg und vermittelt spielerisch, wie in unterschiedlichen Naturräumen in Deutschland auf den Klimawandel adaptiert werden könnte. Daneben arbeitet Gentle Troll aber auch an eigenen Spieleprojekten – zuletzt hat die cozy Visual Novel Tavern Talk ein äußerst erfolgreiches Kickstarter-Debüt hingelegt.
Innovation made by Games
Den umgekehrten Weg hat das Nürnberger Spielestudio Pixel Maniacs genommen. „Wir haben mit Apps angefangen und sind heute bei der reinen Spieleentwicklung angekommen“, sagt CEO Benjamin Lochmann. Aber: Die langjährige Erfahrung in der Games-Branche hat zugleich ein Tool hervorgebracht, das mittlerweile auch außerhalb von Spieleanwendungen Verwendung findet. „Wir haben das Influencer-Marketing- Tool ,Contacts Tool’ entwickelt.“ Entstanden ist es aus der Erkenntnis, dass die Art und Weise, Produkte zu promoten, im Gaming-Bereich ganz anders ist als im App-Marketing. „Bei Games läuft viel über Influencer- und Social Media-Marketing. Wobei ich mit Influencer alle Menschen meine, die irgendwie Reichweite haben – also etwa auch Journalisten. Da habe ich festgestellt, dass Leute in der Branche oft einfach Excel-Tabellen mit Kontakten rumschicken. Das fand ich ganz furchtbar. Und so entstand die Idee, dafür ein Tool zu entwickeln.“ Das stellen Pixel Maniacs mittlerweile Firmen als Software as a Service-Anwendung zur Verfügung. Das Tool ist finanziell zum zweiten Standbein geworden und hat unlängst eine EU-Förderung erhalten.
Zauberwort Gamification
Besonders breit aufgestellt ist das Bayreuther Unternehmen Emergo Entertainment um Gründer Paul Redetzky. Und das, obwohl es erst zwei Jahre alt ist. „Jenseits der Spieleentwicklung entwickeln wir eine Vielzahl von Anwendungen. Zum Beispiel für Museen, Industrie oder auch öffentliche Einrichtungen“, erzählt Redetzky. Kern des Geschäftskonzepts: „Wir teilen 50/50 auf. Also zu 50 Prozent widmen wir uns Games als Entertainment und die anderen 50 Prozent sind andere Dienstleistungen.“ Kunden sind führende Unternehmen wie etwa BOSCH. Für die haben die Bayreuther ein Vertriebstool-Spiel konzipiert, das auf der Branchenmesse IAA Transportation ausgestellt wurde. Für das bayerische Landesamt für Wein- und Gartenbau schuf Emergo Entertainment ein Serious Game zum Thema Fassadenbegrünung und für das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung einen virtuellen Escape Room. Die Bayreuther wirken international wie lokal. Für das Goethe-Institut Kairo entwickelten sie ein Serious Game und für das Richard Wagner Museum im heimischen Bayreuth eine VR-Anwendung, mit der man sich am Dirigieren versuchen kann.
Die Bandbreite der Kunden ist enorm. Ebenso die Vorteile, die auch branchenferne Unternehmen von Games-Anwendungen haben. „Der wesentliche Vorteil von interaktiven Anwendungen ist eine erhöhte Engagement- und auch Conversion-Rate, „so Redetzky. Heißt: „Wenn ich ein Unternehmen bin und ein Spiel anbiete und das jemand spielt, dann wird der am Ende eher auf den Link klicken, auf den er klicken soll, als wenn er einen Text liest oder ein Video schaut.“ Redetzky sieht außerdem einen ganz besonderen Vorteil von Spielen gegenüber anderen Anwendungen: „Was Spiele im Gegensatz zu anderen Medien hervorragend können, ist interkulturelle Kommunikation – das ist ein Vorteil der Interaktivität.“ Gerade auch internationale Unternehmen könnten das gewinnbringend für sich nutzen.
Enorme Chancen für alle Seiten
Die breite Aufstellung wird zuweilen aber auch zur Herausforderung – zumindest für die Umsetzung eigener Spieleprojekte. „Unser Spiel ,Fireside’ ist jetzt seit drei Jahren in der Entwicklung. Wenn wir uns ausschließlich darauf konzentriert hätten, wären wir da jetzt wahrscheinlich bei der Hälfte der Zeit“, meint Redetzky. Als Nachteil begreift er das aber nicht. „Dafür haben wir einen verlässlichen Cashflow und sind nicht nur von Gönnern wie Publishern oder Förderungen abhängig.“ Und: „Die Synergien sind von großem Vorteil.“ Die Unternehmenskunden profitieren vom Know-how der Spieleentwickler. Denn: Die kennen sich nicht nur mit großen Zielgruppen aus – die Games-Branche erreicht rund drei Milliarden Menschen weltweit und ist in vielen Bereichen Innovationstreiber – sie können auch die Tools, die sie zur Entwicklung ihrer Entertainment-Games nutzen, in vielen anderen Kontexten einsetzen, um für ihre Kunden Mehrwert zu erzeugen. Die Games-Studios arbeiten am Puls der Zeit. In Bayern und global. Davon können Unternehmen sowohl als auch öffentliche Träger profitieren. Und damit letztlich auch die Gesellschaft als Ganzes. Viele Chancen also – für alle Seiten.
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