NFT-Künstler Max Haarich über Kryptokunst: Euphorie trifft Skepsis

Von Nina Brandtner

Konzeptkünstler Max Haarich (links) und Künstler und Erfinder Gleb Divov / Foto: Michael Förtsch

Wie verändern NFTs den Kunstmarkt? Wer profitiert wirklich von der neuen Technologie? Und welche ethischen Fallstricke lauern im NFT-Universum? Wir haben mit dem Münchner Konzeptkünstler und Ethiker Max Haarich einen Blick auf die Kryptokunst-Szene geworfen.

Die Diskussion über Sinn und Sinnlosigkeit von NFTs spaltet die Medienbranche: Während sich die einen sicher sind, dass wir es mit Zukunftstechnologie zu tun haben, kritisieren andere den hohen Energieverbrauch der Blockchain und hinterfragen den Nutzen der digitalen Eigentumszertifikate. Dabei kratzen wir gerade erst an der Oberfläche unzähliger Anwendungsbereiche und Möglichkeiten der NFT-Technologie, sagt Max Haarich. Der Konzeptkünstler aus München will in seinen Werken die Brücke zwischen Technologie und Kunst schlagen und hat sich 2019 zum ersten Mal intensiver mit NFTs beschäftigt.

„Ich dachte damals: Es ist voll krass, was hier passiert. Ich weiß nicht, ob es cool ist, dämlich oder total genial, aber ich muss mich da irgendwie annähern.” Also informierte Haarich sich, testete und erstellte schließlich seinen ersten NFT: einen transparenten Pixel. Mittlerweile hat er eine Vielzahl an Werken umgesetzt. Eine Sammlung einfarbiger Pixel („Single Pixels”) ist ebenso Teil seines NFT-Portfolios wie eine digitale Version der Verfassung der Künstlerrepublik Užupis, deren Münchner Botschaft er gegründet hat, oder die Reihe „Cryptomustaches”.

„Ich bin sehr euphorisch, was die Anwendungen angeht”, sagt Haarich. Dennoch beobachtet er gewisse Entwicklungen auch skeptisch und sorgt sich, dass Künstler:innen aus dem Space hinausgedrängt werden könnten.

Ein Gespräch über die Chancen von NFT-Kunst, ethische Implikationen und Gefährder der Dezentralität.

»Die großen Player und etablierten Konzerne kommen mit aus meiner Sicht zu großen NFT-Projekten, die Liquidität absaugen

Max Haarich

NFT-Kunst: Royalties und Smart Contracts bieten große Chancen

Max, NFTs sind gerade in aller Munde. Ist die Kunstszene da etwas Großem auf der Spur?

Max: Nicht nur die Kunstszene. Die treibt es gerade extrem voran, da kommt nicht nur das Technologische, sondern auch das Geldvolumen her. Das ist in unzähligen Nachtschichten von armen Künstler:innen und Pixelschieber:innen in den Space hineingebracht worden. Jetzt kommen die großen Player und etablierten Konzerne mit aus meiner Sicht zu großen NFT-Projekten, die Liquidität absaugen. All das Geld, dass sie im Kryptospace erwirtschaften, werden sie wieder in Fiatwährungen tauschen. Sobald das Geld rausgeht, sinkt der Kurs und der Wert für alle. Bei dem Bored Ape Yacht Club Landsale sind 130 Millionen US-Dollar nur an Gasgebühren verbrannt worden, die sind für immer weg. Die steckten vorher in Kunstwerken.

Warum sollte sich trotzdem jede:r Künstler:in mit NFTs auseinandersetzen?

Max: Aus einem praktischen Grund: Sie haben gerade große Aufmerksamkeit. Es gibt viele Institutionen, die jetzt merken, dass man sich zumindest mal damit befassen sollte. Wenn man als Künstler:in parat steht und in dem Bereich etwas machen kann, ist das auf jeden Fall ein Vorteil. Künstler:innen werden jetzt auch als Berater:innen für Großkonzerne angefragt. Weil anerkannt wird, dass die meiste Expertise bei ihnen liegt.

Max Haarich, "Will you", 2022

Welche Chancen bietet digitale Kunst, die physische Kunst nicht bietet?

Max: Den direkten Marktzugang. Du brauchst keinen Gatekeeper wie eine Galerie. Und du hast den Vorteil, dass du an der Preisentwicklung partizipierst. Über Royalties, also Provisionen, die du bei Weiterverkäufen automatisch auf dein Konto bekommst. Wenn du viele Werke hast und erfolgreich bist, hast du ein Grundeinkommen, von dem du leben kannst. Ich gehöre leider noch nicht dazu, aber ich kenne Leute, die verdienen ein Vielfaches von dem, was sich manch anderer als Ingenieur wünschen würde, durch Weiterverkäufe. Es gibt so viele Künstler:innen außerhalb des NFT-Bereichs, die verkaufen ihr Werk für 1.000 Euro und sehen es auf einer Auktion für was weiß ich wie viel weggehen, und kriegen davon gar nichts.

Wie werden NFTs den Kunstmarkt verändern?

Max: Sie führen zu einer großen Bewegung hin zu digitaler Kunst. Viele Galerien und Museen werden sich etwas zulegen müssen in dieser Richtung. Aber: Es wird gerade die rudimentär-stumpfeste Funktion der Technologie benutzt. Wir benutzen den Smart Contract, um ein Bild handelbar zu machen. Das ist ungefähr so, als hätte einer das Automobil erfunden und wir setzen uns rein, drehen den Zündschlüssel, der Motor brummt und alle sagen: „Boah ist das krass.” Aber keiner checkt, dass man losfahren und Vollgas geben kann.

Was übersehen wir denn?

Max: Ein NFT ist ein Smart Contract auf der Blockchain, der besagt: Hier liegt eine Datei, die gehört einer bestimmten Krypto-Wallet. Wenn für diese Datei eine Zahlung ankommt, dann wird sie automatisch an die Person, von der die Zahlung kommt, verschickt. Das basiert auf einer Wenn-Dann-Logik. Das „Dann” ist aktuell reduziert auf: Der Token wird verschoben. Aber da gäbe es noch tausend andere Möglichkeiten, die automatisiert stattfinden können.

Kryptokunst und Nachhaltigkeit: Der Druck wird größer

Die Möglichkeiten von NFTs sind groß – aber wie wird sich die Branche in Zukunft gegen das Argument des hohen Energieverbrauchs behaupten können?

Max: Die Debatte wurde so hart geführt, dass der Druck auf den Platzhirsch Ethereum, der gnadenlos viel CO2 produziert, sehr groß ist, endlich sein Update auf Proof of Stake hinzukriegen. Gleichzeitig wird auch die Konkurrenz immer stärker, sei es Cardano, Tezos, Oasis Protocol. Es gibt viele Proof of Stake-Blockchains, die das Minting und den Transfer von NFTs so energieeffizient möglich machen, wie das Posten von Inhalten auf Facebook. Ich versuche so wenig wie möglich auf Ethereum zu machen, weil es auch teuer ist. Dafür sind die Verkaufspreise höher, weil dort viel mehr Sammler:innen sind.

Als KI-Verantwortlicher der Gesellschaft für Digitale Ethik e. V. beschäftigst du dich auch mit den ethischen Implikationen von NFTs. Kannst du uns einen kurzen Überblick geben, welche Fragen dich besonders beschäftigen?

Max: Mein wichtigstes Thema ist die Dezentralisierung. Inwieweit ist sie wirklich gegeben? Wenn mit einem Damien Hirst-Werk etwas Komisches passiert, haben dessen Anwälte scheinbar doch eine Standleitung zu den OpenSea-Developern und können schnell und radikal einschreiten.

Max Haarich, "Urinal", 2021

Die Gefährdung der Dezentralität kommt aber nicht nur von außen, sondern auch von innen. Als Yuga Labs, die hinter dem Bored Ape Yacht Club stehen, die CryptoPunks gekauft haben zum Beispiel. Da waren die zwei Top-Kollektionen der NFT-Branche plötzlich in einer Firma. Als die auch noch gesagt hat, wir verkaufen jetzt im Metaverse-Bereich Land, wollten alle ihre Kohle tauschen, um da reinzugehen. Was jetzt gerade passiert: Krypto bricht ein und der ganze NFT-Markt ist komplett platt. Natürlich, denn die Kohle ist begrenzt und sie steckt gerade komplett in den Yuga Lab Projekten.

Aktuell scheint NFT-Kunst vor allem eine elitäre Bubble zu erreichen, weit weg von der breiten Gesellschaft. Ist das ethisch nicht auch ein wenig fragwürdig? Max: Es ist eine reine Wissenshürde, die diese Elite gerade abschirmt: du musst nur wissen, was eine MetaMask-Wallet ist und wie du einen NFT mintest. Ich kenne Leute, die sind ohne einen Cent in den NFT Space reingegangen, haben sich in Discord mit Leuten unterhalten, ein NFT geschenkt bekommen, es verkauft, hatten zwei, drei Mal Glück und jetzt haben sie einen CryptoPunk innerhalb von ein paar Monaten.

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