Scanline VFX aus München: Preisgekrönte visuelle Effekte

Von Martin Fraas

Weltuntergang aus dem Scanline VFX-Studio: Der Netflix-Blockbuster „Don't Look Up” überzeugte mit gewaltigen Bildern aus München. Foto: Scanline VFX

Das 1989 in der Bavaria Filmstadt München gegründete Unternehmen Scanline VFX ist heute einer der Weltmarktführer im Bereich der visuellen Effekte für Film, TV und Streaming. Wegweisende Innovationen werden hier konzipiert und realisiert. Ein Gespräch mit der Vizepräsidentin Jasmin Hasel.

Sie hat große Chancen auf eine Nominierung zur lässigsten Vizepräsidentin eines Unternehmens, das weltweit zu den führenden VFX Häusern gehört: Jasmin Hasel verbreitet bei ihrer Ankunft im Konferenzraum von Scanline auf dem Gelände der Bavaria Filmstudios in München vom ersten Moment an gute Stimmung. Die 40 Jahre alte Managerin ist eine dynamische Macherin, auf die sogar berühmte Regisseur:innen in Hollywood hören. Gleichzeitig ist sie nahbar, humorvoll und allürenfrei. Schnell noch ein doppelter Espresso zum zweiten Wachwerden, dann auch schon die erste Frage an sie:

Frau Hasel, Scanline VFX ist längst ein international tätiges Unternehmen. Kommen Sie gerade aus der großen weiten Welt?

Jasmin Hasel: Im Gegenteil, ich bin heute Morgen buchstäblich aus der kleinen Welt angereist. Denn zu Beginn der Corona-Pandemie bin ich aufs Land gezogen und betreibe dort mit meinem Partner sogar eine kleine Hobby-Landwirtschaft. Es ist schon ein großer Spagat zu meiner Tätigkeit, denn ich halte dort Bienen, Hühner, Schafe und vier Ziegen.

Was waren die Anreize dafür, dass das Unternehmen Scanline, das inzwischen Hollwood aufmischt, 1989 in München gegründet wurde?

Hasel: Nun, die Gründer von Scanline, Thomas Zauner und Stefanie Stalf, leben hier. Und München ist schon immer eine Filmstadt. Es gab und gibt die entsprechenden Produzent:innen und Kreativen. Man ist auch ein bisschen positiv verrückt. In dem Sinne, dass man den Mut hat, Neues zu wagen. Und auch die Filmförderung erkannte die Bedeutung der visuellen Effekte im Film frühzeitig. So hat der FFF Bayern in unserem Bereich eine Dienstleister-Förderung möglich gemacht, wie das beispielsweise auch in Kanada der Fall war. Das hat uns wettbewerbsfähig gemacht und wir konnten Spitzenleute in Deutschland ausbilden und halten, sowie zusätzliche Fachkräfte nach Deutschland holen.

 

»Visuelle Effekte sind künftig nicht mehr ein Thema für die Postproduktion. Man muss sich mit Ausstattung, Kamera und SFX-Stunt bereits in der Planungsphase zusammensetzen.«

Jasmin Hasel / Foto: Sebastian Arlt

Scanline: Mit neuer Software zum Durchbruch in Hollywood

Welche Entwicklung hat Thomas Zauner damals vorausgesehen?

Hasel: Als Scanline 1989 an den Start ging, war es zum ersten Mal technisch möglich, komplexe fotorealistische Effekte in der Postproduktion rein digital am Computer umzusetzen. Das war damals eine Revolution! Nachdem Scanline mit Industriefilmen und Logo-Animationen begonnen hatte, kam Mitte 1996 die erste VFX Anfrage vom SWR für einen Tatort mit Lena Odenthal. Der Titel war „Tod im All”. Ein Wasserturm im Wald sollte sich in ein Ufo verwandeln. Das war der erste große Visual-Effects-Auftrag für Scanline.

Und es war der Startschuss für den schnellen und großen Erfolg?

Hasel: Ja, denn ein Jahr später kam eine Anfrage von Sat.1 für die Serie „HeliCops – Einsatz über Berlin”. Es ging darum, Helikopter digital einzusetzen. Und es ging weiter mit Hai-Alarm auf Mallorca. Ein RTL-Sommermovie, für das es nötig war, Wassersimulationen zu schaffen sowie Szenen vom Hai unter Wasser.

Ein folgenreicher Auftrag für Scanline.

Hasel: Richtig, denn der Umgang mit der Wasserwelt bewegte unseren damaligen Supervisor und heutigen Firmenchef Stephan Trojansky dazu, Flowline zu entwickeln. Das erste Fluid Dynamic Software Programm, das es möglich machte, aufwändige Filmszenen auf und unter Wasser bis ins kleinste Detail virtuell zu gestalten. Damals gab es für diese Art von Aufnahmen noch keine konventionelle Software zu kaufen. Das heißt, alles wurde bei Scanline inhouse programmiert und realisiert. Flowline war damals der Zeit weit voraus. Wir waren weltweit die einzigen, die visuelle Effekte so extrem fotorealistisch und individuell kreieren konnten.

War Flowline auch die Eintrittskarte für Hollywood?

Hasel: Im großen Stil auf jeden Fall. Denn dadurch wurde auch Wolfgang Petersen auf uns aufmerksam und hat Scanline 2006 am Blockbuster „Poseidon” mitarbeiten lassen. Es folgte eine weitere Anfrage aus Hollywood, für die Comicverfilmung „300” von Zack Snyder fünf Shots zu machen. Uns wurde gesagt: „Wenn die nichts werden, sind sie halt nicht im Film.” Aber sie waren im Film. Der endgültige Durchbruch in Hollywood erfolgte 2008, als Flowline mit einem Academy Award für wissenschaftliche und technische Leistungen ausgezeichnet wurde. So wurde Clint Eastwood auf Scanline aufmerksam und gestaltete mit uns 2010 den Film „Hereafter” mit großen Tsunami-Szenen. Für unsere Arbeit wurden wir 2011 für „Beste visuelle Effekte” auch für einen Oscar nominiert.

Stranger Things © ScanlineVFX

Don't Look Up © ScanlineVFX

The Batman © ScanlineVFX

Marvel's The Eternals © Scanline VFX

 

Standortvorteile für Bayern überwiegen

Scanline hat inzwischen internationale Produktionsbüros in Los Angeles, Montreal, Vancouver, London und Seoul. Warum spielt der Münchner Standort nach wie vor eine entscheidende Rolle?

Hasel: Wir sind immer noch gut vernetzt mit deutschen Produzent:innen. Bully (*Herbig) ist beispielsweise schon immer einer unserer Hauptkunden. Ich habe viel von ihm gelernt , seit ich 2008 bei Scanline angefangen habe und wir zusammen „Wickie und die starken Männer” produziert haben. Bully hat die Bedeutung von VFX sehr früh erkannt. Denn visuelle Effekte sind künftig nicht mehr ein Thema für die Postproduktion. Man muss sich mit Ausstattung, Kamera und SFX-Stunt bereits in der Planungsphase zusammensetzen und überlegen, wie man Herausforderungen am besten lösen kann. Bully macht das. Er schreibt ein Exposé und erste Drehbücher, schickt uns die und möchte dann eine Einschätzung haben: Ist das realisierbar oder eventuell zu kompliziert oder teuer? Muss ich etwas umschreiben? Er hat in diesem Bereich viel Innovationsarbeit geleistet.

Arbeitet Scanline auch mit der renommierten Hochschule für Fernsehen und Film in München zusammen?

Hasel: Ja, die HFF ist sicher ein großer Standortvorteil. Es gibt immer wieder Kooperationen und wir freuen uns, wenn Student:innen der Filmhochschule bei uns ein Praktikum machen. So bin übrigens auch ich in den Job gerutscht. Allerdings studierte ich damals an der Hochschule der Medien in Stuttgart, zu der Scanline auch intensive Beziehungen hat.

Ist es aktuell schwer, geeignete Mitarbeitende für den Standort München zu finden?

Hasel: Da hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Früher gingen Talente, die bei uns ausgebildet wurden, nach Neuseeland und Kanada, weil es da die großen und gutbezahlten Jobs gab. Mittlerweile haben wir auch in München internationale Aufträge und können Topleute hier halten. Zudem lockt die hervorragende Lebensqualität viele internationale Mitarbeitende
nach München.

An welchen internationalen Produktionen ist Scanline aktuell beteiligt?

Hasel: 2022 starteten die Filme „The Gray Man” und „Slumberland”, an denen wir mitgewirkt haben. Auch für die Blockbuster „Aquaman 2” und „Meg 2” werden wir maßgeblich VFX Szenen beisteuern. Und wir haben große Sachen mit Netflix vor, über die ich aber konkret noch nicht sprechen kann.

KI, Machine Learning und LEDs halten Einzug in Studios

Wohin geht derzeit der Trend bei visuellen Effekten?

Hasel: Das Wachstum und die Entwicklung in der Branche erfolgen rasend schnell. Die Corona-Hochphase war nochmal ein Booster für neue Technologien – auch, um statt vor Greenscreen in LED-Stages zu produzieren. Man dreht beispielsweise die Plates in Island und hat sie dann im Studio als Hintergrund. So kann man die Schauspieler:innen auch getrennt aufnehmen und dann mit dem Hintergrund zusammenführen. Auch digitale Hintergründe werden vorab gebaut und zugespielt. In vielen Studios wird inzwischen sogar mit LED-Boden und LED-Decke gearbeitet, das ist total abgefahren.

Gehört den LED Stages auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit die Zukunft?

Hasel: Sie werden sicherlich eine große Rolle spielen. Denn damit kann auf viele Dienstleistungen und Wege verzichtet werden. Man muss auch nicht mehr große Crews von A nach B bringen, sondern kann über die LED-Studios die Sets minimieren. Das kommt letztlich sicher der CO2-Bilanz zugute.

Und an welchen Innovationen arbeitet Scanline?

Hasel: Computerlernprozesse und artifizielle Intelligenz werden künftig eine immer größere Rolle spielen. Und auch automatisierte Prozesse, die alles noch schneller und effizienter machen. Unsere Computer werden immer mehr darauf trainiert, Bewegungsabläufe zu lernen und sie auf andere Objekte zu übertragen, besonders auch bei Animationen.

Weltmarktführer Netflix setzt auf Scanline-Technik

Scanline VFX wurde 2021 von Netflix übernommen. Wie kam es dazu?

Hasel: Wir fühlen uns geehrt, dass ein so erfolgreiches Unternehmen wie Netflix uns als Ergänzung haben wollte. Wir arbeiten mit Netflix schon lange zusammen. Unser erster Auftrag „Stranger Things”, Staffel 3, bekam gleich eine Emmy-Nominierung. Das war ein guter Start. Es gibt eine intensive Partnerschaft sowie einen umfangreichen kreativen Austausch. In Zeiten, in denen der Content so wichtig ist, ist es für Netflix umso wichtiger, sich Ressourcen und Know-How zu sichern. Und das hat das Unternehmen mit dem Kauf von Scanline getan. Netflix arbeitet jedoch weiterhin auch mit anderen Studios und wir ebenso. Besonders auch für unsere Artists ist es wichtig, dass die Vielfalt gewahrt bleibt.

Das Software-Programm Flowline hat 2008 sogar einen Technik Oscar bekommen. Waren Sie denn schon mal bei der Verleihung der Academy Awards?

Hasel: 2022 durfte ich tatsächlich mal dabei sein, denn Scanline war für „Free Guy” mitnominiert. Auf dem Hinweg habe ich zum CEO Stephan Trojansky gesagt: „Wenn ich heute Steven Spielberg treffe, dann gehe ich in Rente.” Dann habe ich ihn wirklich getroffen, und er war sehr freundlich und herzlich. Das war für mich das Highlight des Abends. Mit der Rente warte ich aber trotzdem noch ein paar Jährchen.

Glossar: Fachbegriffe in der Kunstform visueller Effekte

VFX: Visuelle Effekte, die auf digitaler Basis entstehen.
SFX: Spezialeffekte, die während des Drehs am Set realisiert werden.
SFX Stunt: Stuntszenen, die (meist in Kombination mit Spezialeffekten) real am Set stattfinden.
Fluid Rendering-System: mit Flowline entwickelte Scanline weltweit das erste Softwareprogramm, mit dem digitale Wasser- und Unterwassersimulationen gebaut werden konnten.
VFX Artist: VFX-Künstler:in bzw. Mitarbeiter:in, der visuelle Effekte am Rechner digital umsetzt.
LED Stage: Eine Lichtkuppel mit Milliarden LEDs. Sie ermöglicht es, reale Umgebungen oder virtuelle Welten fotorealistisch einzuspielen.
Plates: Filmmaterial, das als Element in einer zusammengesetzten Aufnahme für visuelle Effekte vorgesehen ist. Plates bestehen oft aus Drehorten oder Kulissen, die je nach Bedarf als Hintergrund oder für andere Elemente verwendet werden.
Sachtrick: Animation von dreidimensionalen Objekten in einem tiefenschärfeempfindlichen Raum.

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