Ein Würzburger Startup hilft Chatbots beim Erwachsenwerden
Chatbots sind nun schon eine ganze Weile im Einsatz, ihr Potenzial wird aber von vielen Unternehmen noch nicht komplett ausgeschöpft. Das Würzburger Startup Botfriends sieht hier eine Marktlücke – und hebt die Technologie auf ein neues Level.
Die Liste der Startups mit gutem Start und harter Landung ist lang. Weltweit überleben nur zehn Prozent – Scheitern ist der Normalfall. Anders bei Botfriends: Seit der Gründung vor drei Jahren führt die Erfolgskurve nach oben. Die IT-Spezialist:innen entwickeln Chatbots und Voice Assistants auf KI-Basis. Inzwischen beschäftigt das Team in Würzburg 25 Leute und arbeitet mit großen Unternehmen wie Porsche, Bosch und Telekom zusammen.
Von Beginn an schwarze Zahlen
Die Botfriends, das sind die vier Gründer:innen Michelle Skodowski, Kevin Dees, Daniel Rösch und Tobias Gansler. Alle haben in Würzburg studiert, die drei Männer Wirtschaftsinformatik, Michelle Skodowski E-Commerce. Das Businessmodell für ihre Agentur für automatisierte Kommunikation entstand im Zuge eines Praktikums. „Daniel und ich waren 2016 Praktikanten bei Porsche in Stuttgart. Chatbots steckten damals noch in den Kinderschuhen und wir haben uns nach Feierabend ein bisschen damit beschäftigt“, sagt Kevin Dees. „Wir haben einen Prototyp programmiert, den wir für Porsche im Digitallabor in Berlin zur Marktreife bringen durften.“
Aus der Freizeitbeschäftigung wurde schnell ein solides Business, das vom Start weg schwarze Zahlen schreibt.
„Chatbots waren zuerst nur ein Feierabendspaß, dann wurden sie unser Business.“ (Michelle Skodowski)
In ihrem Geschäftsfeld „Automatisierung von Kommunikation“ gehören die Botfriends zu den Taktgebern. Als eine der ersten IT-Buden in Bayern lösten sie ein Problem, mit dem sich viele Firmen herumschlagen. „Es hakte beim zentralen Verwalten von Chatbots“, erklärt Dees. „Jedes größere Unternehmen nutzt sie in unterschiedlichen Abteilungen und Standorten und hat kaum eine Kontrolle oder Wissen darüber, wo die einzelnen Chatbots angedockt sind.“ Die Lösung entwickelten die Botfriends mit der Plattform Botfriends X, die alle bestehenden und auf KI basierenden Programme zusammenführen kann. Klingt harmlos, ist aber ein echter Meilenstein. „Jetzt können unsere Kunden ihre Chatbots und Voice Assistants nicht nur auf einer einzigen Plattform zusammenlegen, sondern sie auch produktiv nutzen“, sagt Dees. „Wir sind somit einer der wenigen Anbieter in Deutschland, der in der Lage ist, Kunden im Bereich Chatbot-Operations gezielt zu unterstützen“, erklärt der Jungunternehmer.
Eine zentrale Datenbank als Schnittstelle zwischen Content und Bot
Mit der Plattform können Konzerne, die international aktiv sind, die Funktionen in mehreren Sprachen verwalten und in die einzelnen Länder ausrollen. Auch das Dialogdesign wird angepasst: Werden die Kund:innen geduzt oder gesiezt, ist die Ansprache eher nüchtern oder locker? Die Conversational Guidelines jeder Firma sind dafür die Leitlinie. „Chatbots aufzusetzen ist das eine, sie aber nach dem Go-live ständig nachzubessern und sie an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen, das ist die eigentliche Herausforderung“, so Dees. Ein Thema, das den Würzburgern ebenfalls wichtig ist und mit dem sie sich bei ihren Kund:innen bereits Meriten verdient haben: Sie bleiben am Ball, trainieren deren Mitarbeiter:innen auf die neue Technik und befähigen sie so, auf die raschen Veränderungen in ihrem Geschäftsfeld zu reagieren.
Auch für Medienunternehmen ist das Know-how der Würzburger interessant – sie nutzen Chatbots vor allem im Servicebereich. Dort werden sie beispielsweise beim Verwalten von Abos eingesetzt, wo täglich die gleichen Fragen auflaufen. Doch auch beim Anzapfen neuer Umsatzströme dient die Technologie als wichtiges Vehikel: Ganz aktuell tauschen sich die Botfriends mit der Marke Kicker über eine Zusammenarbeit aus. Das Unternehmen verfügt über einen großen Schatz an Detailinformationen zu Spielern, Spieltagen und Spielergebnissen. Diese Inhalte sind über die App und die Website für Kund:innen abrufbar. „Unser Ansatz ist es, all diese Informationen über eine zentrale Datenbank nutzbar zu machen“, so Dees. Der Plan: Mithilfe der Plattform Botfriends X kann über eine Schnittstelle Content via Chat oder Voicebot abgerufen werden. „So wird dieses Hintergrundwissen, über das die Redaktionen ohnehin verfügen, als zusätzliche Erlösquelle für Verlage aufbereitet.“
„Mit KI lassen sich neue Umsatzströme anzapfen, etwa bei einer Sportzeitschrift wie Kicker.“ (Kevin Dees)
Aktuell arbeiten die Botfriends am Thema Telefonautomatisierung. Hat man als Unternehmen im Monat 100.000 Anfragen, ist es extrem nützlich, einen Großteil davon zu automatisieren. Deshalb programmieren die Spezialist:innen jetzt Voicebots, die Anrufer:innen nicht auffordern, zu ausgewählten Themen nur die 1, 2 oder 3 zu drücken, sondern sich das Problem „anhören“ und darauf reagieren.
Realistisch bleiben: Chatbots müssen lernen
Doch genau hier hapert es nach wie vor. Eine im Sommer 2020 erschienene Studie des Softwareherstellers Freshworks stellte der künstlichen Intelligenz kein besonders tolles Zeugnis aus: 26 Prozent der Befragten gaben an, dass Chatbots beim Lösen ihrer Probleme versagt hätten. Da ist also noch eine Menge Luft nach oben. Vor allem, wenn es darum geht, ein natürliches Gespräch am Laufen zu halten. „Für Chatbots ist es eine echte Herausforderung, zwischen den Inhalten hin- und herzuspringen und sich an vorherige Gesprächsinhalte zu erinnern. Daran arbeiten wir“, erklärt Mit-Gründerin und COO Michelle Skodowski.
Sie vergleicht die Entwicklung eines Chatbots mit dem Aufwachsen eines Kindes: „Auch die KI lernt ja mit jedem Gespräch dazu und wird dadurch quasi ‚intelligenter‘.“ In diesem Bereich sind die Botfriends im engen Austausch mit Google. Der US-Konzern hat bei der Weiterentwicklung von KI international die Nase vorn und bringt laufend neues Wissen auf den Markt, das die Würzburger auch für sich zu nutzen wissen.
Insgesamt hat sich die Technologie in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt. Trotzdem sei wichtig, ihre Grenzen zu verstehen, finden die beiden IT-Spezialist:innen. Jeder, der sich mit einem Chatbot oder Voice Assistant unterhält, sollte wissen, was er erwarten kann. „Wer dem Energieversorger den Zählerstand melden will, darf sich nicht wundern, wenn der Chatbot die Frage nach dem Pokalgewinner der Champions League nicht beantworten kann“, sagt Skodowski.
„Wir brauchen mehr Spezialisten, vor allem Entwickler und Programmierer. Deshalb schauen wir uns intensiv an der Hochschule um.“ (Michelle Skodowski)
Für die Zukunft haben die vier Botfriends, von denen übrigens jeder seinen 30. Geburtstag noch vor sich hat, einen klaren Plan: Sie möchten ihr Business internationalisieren. Sollte ein Investor anklopfen, werde man sich das Angebot ansehen. „Und wenn’s passt“, so Dees, „sagen wir nicht Nein.“ Was sie dringend brauchen: zusätzliche Spezialist:innen. „Vor allem Entwickler:innen und Programmierer:innen sind Mangelware“, sagt Skodowski. Der Standort Würzburg ist von Vorteil: Der Botfriends-Nachwuchs ist oft ‚homemade‘ – über Praktikant:innen, die sie an der Hochschule kontaktieren. Zum einen über die Stellenplattform oder über Infoveranstaltungen der Uni. Zum anderen betreuen die Botfriends auch Bachelor- und Masterarbeiten aufstrebender Talente. Was das Startup attraktiv macht: „Wir haben ein spannendes, neues Thema und sind nicht der 27. App-Entwickler, das zieht“, sagt Dees. Denn durch den Digitalisierungsschub, den Corona mit sich gebracht hat, erhielt das noch junge Feld der intelligenten Automatisierung von Kommunikation einen neuen Stellenwert. Hier geht es gerade in großen Schritten voran – die ideale Spielwiese für neugierige IT-Expert:innen.
WANTED: Neue Kolleg:innen
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Conversational User Interface Designer konzipieren und implementieren Schnittstellen zum Datenaustausch und entwickeln selbstständig Algorithmen, die die sogenannte User Experience sicherstellen – überall da, wo anstelle von Mouse und Fingertouch die Sprache die gemeinsame Kommunikationsebene zwischen Mensch und Maschine bildet. Wenn zum Beispiel Chatbots oder Sprachassistenten wie Siri oder Alexa eine Pizzabestellung aufnehmen, das Wetter oder den Kontostand ansagen, müssen Conversational User Interface Designer im Vorfeld einiges erarbeitet haben: Mit welchen Problemen wird sich der Chatbot voraussichtlich befassen, wen spricht er wie an, wie repräsentiert er Wertesystem und Tonalität des Unternehmens? Conversational User Interface Designer tüfteln an Lösungen und Apps für die unterschiedlichen Endgeräte: Sie steigen am Anfang der Produktentwicklung ein und begleiten den gesamten Zyklus.
Damit der Chatbot überhaupt weiß, was er antworten soll, muss er wie ein Kleinkind ständig dazulernen. Je älter er wird und je mehr Wissen er hat, desto besser sind seine Antworten. Denn die künstliche Intelligenz ist gerade zu Beginn immer nur so leistungsfähig wie der Datenbestand, auf den sie zugreifen kann. Deshalb braucht es Redakteur:innen oder Expert:innen, die das Content Management System mit sinnvollen Inhalten füttern. Sie bereiten die Themen und alle möglichen Fragen und Antworten in einer Exceltabelle auf, überführen sie dann inhaltlich in ein Chatbot-Format und optimieren sie durch Training. Das anschließende Testing zeigt dann, wie schlau der auf KI basierende Kommunikationskanal wirklich ist.
Daten sind das Öl der Zukunft, doch wenn dies verunreinigt ist, lässt sich damit nicht vernünftig arbeiten. Fehlerquellen gibt es viele, sie können an jedem Punkt der Dateneingabe, -speicherung und -verwaltung entstehen. Datenhygieniker:innen können die Datensätze auf Reinheit prüfen und verzerrte Daten entfernen, bevor automatisierte Systeme mit diesen gefüttert werden. Damit das Öl der Zukunft sortenrein bleibt und der Motor weiter schnurrt, werden doppelte Datensätze, unvollständige oder veraltete Daten ausgefiltert.
Diese Spezialist:innen wissen, welcher Pfad angelegt werden muss, um Kund:innen am besten und schnellsten zu bedienen. Sie kennen das sogenannte Erwartungsmanagement und wissen, wie die Nutzer:innen mit dem Chatbot interagieren. Dazu gehört beispielsweise das Wissen, nicht einfach zehn Seiten FAQs einzustellen, sondern den Inhalt so aufzudröseln, dass eine flüssige Kommunikation entsteht, die die Nutzer:innen mit allen gewünschten Informationen versorgt.
Ausgefeilte Chatbots sind heute so ausgelegt, dass sie die Stimmung der Gesprächsteilnehmer:innen messen können. Eine Software führt im Hintergrund permanent eine Sentiment-Analyse aus, die die geschriebenen oder gesprochenen Sätze analysiert. Wenn ein:e Kund:in zum dritten Mal dieselbe Frage stellt und sich zu lange im Loop befindet, merkt das System, dass was nicht stimmt. Auch Sätze wie „So ein Mist, jetzt muss ich auf meine Bestellung zwei Wochen warten“ deuten einwandfrei auf verärgerte Kund:innen hin. Auch Beschimpfungen und Beleidigungen kommen nicht selten vor. Dann erfolgt das sogenannte Human Handover, der Service Agent übernimmt von der Maschine.
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