Nikola Kohl: „Innovation entsteht nicht in der Komfortzone“

Für das ZDF-Format „Deepfake Diaries“ hat die Münchner Produktionsfirma south[&]browse historische Persönlichkeiten mithilfe künstlicher Intelligenz zum Leben erweckt. Doch Technologie allein erzählt noch keine gute Geschichte. Geschäftsführerin Nikola Kohl spricht im Interview über die Rolle von Storytelling im KI-Zeitalter – und warum Medien den Mut brauchen, neue Tools klug und verantwortungsvoll zu nutzen.

22.07.2025 7 Min. Lesezeit

Frau Kohl, bei South [&] Browse machen Sie relevanten Content, der inspiriert“, wie Sie auf Ihrer Website schreiben. Was macht relevanten Content aus?

Nikola Kohl: Relevanter Content ist für uns Inhalt, der im Kern eine gesellschaftliche Relevanz hat, der emotional berührt und gleichzeitig neue Perspektiven eröffnet. Uns geht es immer darum, den Zuschauer:innen etwas mitzugeben, sei es eine neue Erkenntnis oder ein noch nicht dagewesener Zugang zu einem Thema. Relevanz entsteht für uns immer dann, wenn Inhalte nicht nur informativ sind, sondern auch Resonanz erzeugen. Sie müssen in der Gegenwart verankert sein und gleichzeitig in gewisser Weise in die Zukunft verweisen.

Was steht für Sie bei einer Produktion an erster Stelle: gutes Storytelling oder moderne Technologie?

Kohl: Ganz klar das Storytelling. Die erste Frage muss immer lauten: Ist die Geschichte stark? Ist das nicht der Fall, bleibt jede Technologie nur eine Spielerei. Bei einer guten Geschichte wiederum kann modernste Technik das Storytelling massiv unterstützen. Wir sehen Technologie als ein Werkzeug, das emotionale Tiefe, visuelle Kraft oder den Zugang zu neuen Perspektiven ermöglicht – Perspektiven, die vielleicht bis dahin unerzählbar waren.

Gen Z und Gen Alpha: Medien müssen sich an neue Needs und Nutzung anpassen

 

Und wie geht gutes Storytelling?

Kohl: Gutes Storytelling lebt von der Authentizität, emotionaler Resonanz und einer klaren Perspektive. Für uns beginnt alles mit diesen Fragen: Warum erzählen wir diese Geschichte? Warum erzählen wir sie jetzt? Und wer ist das Zielpublikum? Dafür sind immer unverzichtbar eine gründliche Recherche, ein gutes dramaturgisches Gerüst, glaubwürdige Protagonist:innen und eine visuelle Sprache, die den Inhalt trägt.

Junge Zielgruppen wie Gen Z und Gen Alpha haben andere Erwartungen an Content als ältere Generationen. Inwiefern ändert sich die Art, Geschichten zu erzählen?

Kohl: Junge Generationen wachsen mit interaktiven, schnellen und visuell starken Inhalten auf. Sie wollen nicht belehrt werden, sondern vor allem emotional involviert sein. Das bedeutet für uns als Geschichtenerzähler:innen kürzere Spannungsbögen, direktere Ansprache, eine stärkere visuelle Sprache und hybride Formate. TikTok, Reels, Streaming, Dokus, Podcast – Gen Z und Gen Alpha haben wenig Berührungsängste, wenn Form und Stil wechseln. Im Gegenteil: sie erwarten Vielfalt und eine moderne Bildsprache. Diese Sehgewohnheiten müssen wir ernst nehmen, wenn wir die Zielgruppe erreichen wollen.

Gerade Themen in den Bereichen Geschichte und Wissenschaft eignen sich hervorragend für den Einsatz von KI-gestützten Sequenzen oder Animationen. Unser Ziel ist es dabei, Inhalte eindrücklicher, zugänglicher und manchmal auch überraschender zu gestalten.

Foto: south[&]browse

Nikola KohlGeschäftsführerin south[&]browse

Inwiefern hebt sich south&browse von anderen Produktionsfirmen ab?

Kohl: Wir sind modern, innovativ und technisch versiert. Von der Konzeption bis zur Postproduktion haben wir unterschiedliche KI-Tools gezielt in unseren täglichen Workflow eingebaut, von der Ideenentwicklung und Visualisierung bis zur Postproduktion. Wenn es die Geschichte trägt, nutzen wir auch on-screen innovative Tools. Gerade Themen in den Bereichen Geschichte und Wissenschaft eignen sich hervorragend für den Einsatz von KI-gestützten Sequenzen oder Animationen. Unser Ziel ist es dabei, Inhalte eindrücklicher, zugänglicher und manchmal auch überraschender zu gestalten – etwa durch digital animierte Figuren oder Szenarien, die historische Zusammenhänge visuell neu erfahrbar machen.

In welcher Dokumentation kann man das sehen?

Kohl: Das haben wir zum Beispiel in unserer mehrfach ausgezeichneten „Terra X”-Produktion „Das Grab der Schamanin“ für das ZDF gemacht. Sie erzählt die Geschichte einer Frau, die vor rund 9.000 Jahren in Mitteldeutschland als Schamanin gelebt hat. Wissenschaftler:innen haben durch die Analyse ihres Skeletts rekonstruiert, wie sie vermutlich ausgesehen hat. Statt eines klassischen Reenactments haben wir uns für eine virtuelle Produktion entschieden. Auf Basis dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse haben wir einen realistisch animierten Avatar der Frau erschaffen. Auch ihre Umgebung – Wälder, Lichtstimmungen, Landschaft – wurde digital gestaltet, um die damalige Welt möglichst realitätsnah erfahrbar zu machen.

„Deepfake Diaries“: Eine Produktion, bei der KI und Mensch zusammenarbeiten

 

Auch in Ihrer aktuellen ZDF-Produktion „Deepfake Diaries“, nutzen Sie digitale und KI basierte Techniken, um historische Personen wie Rosa Luxemburg, Oskar Schindler und Otto von Bismarck auf den Bildschirm zu bringen und ihre eigene Geschichte erzählen zu lassen. Wie genau funktioniert das?

Kohl: Wir haben uns für dieses Format die Frage gestellt: Was wäre, wenn wir diese historischen Persönlichkeiten interviewen könnten? Weil wir nichts fiktionalisieren wollten, haben wir uns bewusst für Personen entschieden, von denen es viele persönliche Schriftstücke gibt, aus denen sie zitieren können. Am Set haben wir mit professionellen Schauspieler:innen gearbeitet, die die historischen Figuren zuerst gespielt haben. Diese Interviewaufnahmen haben wir im Nachhinein mit einer Reihe von KI-Tools bearbeitet – darunter Swap-Technologien und Face Tracking, sodass am Ende Rosa Luxemburg, Oskar Schindler und Co. scheinbar selbst vor der Kamera sitzen. Grundlage waren Originalfotos, Illustrationen oder restaurierte Porträts, aus denen mithilfe künstlicher Intelligenz realistische Gesichtsausdrücke generiert wurden. Wo Originaltonmaterial vorhanden war, haben wir dieses zunächst restauriert und dann genutzt, um mithilfe von Speech-to-Speech-Technologie die Stimmfarbe der Schauspieler:innen an die der historischen Personen anzupassen.

Hätte man die Figuren nicht auch komplett mit generativer KI erstellen können?

Kohl: Doch, die Technologie würde das hergeben. Wir haben uns aber ganz bewusst für eine hybride Produktionsweise entschieden, weil wir die emotionale Präsenz der Schauspieler:innen im Endergebnis bewahren wollten. Uns war außerdem wichtig, die Produktionsweise transparent zu machen. Den Titel „Deepfake Diaries“ haben wir ganz bewusst gewählt und wir erzählen in den Folgen, dass wir KI verwenden und wie wir sie verwenden. Damit möchten wir zum einen zeigen: Nicht alles, was man sieht, ist real. Und zum anderen wollen wir anregen, darüber nachzudenken, wie man die Technologie verantwortungsbewusst nutzen kann.

Sie haben wenig Berührungsängste mit KI, andere Medienunternehmen und -schaffende zeigen mehr Skepsis. Kreative wie Schauspieler:innen und Sprecher:innen fürchten zum Beispiel um ihre Jobs. Können Sie ein gewisses Misstrauen in die Technologie nachvollziehen?

Kohl: Ja, generell kann ich diese Skepsis nachvollziehen und in gewisser Weise ist die Sorge berechtigt. KI bietet ja auch in negativen Bereichen wie Fake News neue Möglichkeiten: Sie kann Inhalte fälschen, Stimmen klonen, Gesichter manipulieren – und all diese Dinge werden nun leider auch gemacht.

Warum ist es so wichtig, dass Medienunternehmen trotzdem am Puls der Zeit bleiben?

Kohl: Damit sie zeigen, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit KI aussehen kann. Medien sind ein Spiegel ihrer Zeit und wenn man als Medienunternehmen den Anschluss verliert, verliert man an Relevanz. Bei uns ersetzt die KI keine Kreativen, sondern eröffnet neue Ausdrucksformen. Wir fragen uns ganz bewusst: Wann nutzen wir KI und zu welchem Zweck? Wann arbeiten wir mit synthetischem Bildmaterial? Was bedeutet das für die Wahrnehmung und das Vertrauen des Publikums? Gerade im Bereich Dokumentation gilt: Je größer die technischen Möglichkeiten, desto größer auch die erzählerische Verantwortung. Gleichzeitig braucht es den Mut, neue Wege zu gehen. Bei aller technologischen Innovation sind es vor allem Menschen mit Haltung, Fachwissen und künstlerischer Vision, die den Unterschied machen.

Doku-Markt in der Zukunft: Produktionen werden immersiver und hybrider

 

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sieht der Doku-Markt in zehn Jahren aus?

Kohl: Zehn Jahre ist ein langer Zeitraum, vor allem im Hinblick darauf, wie rasant sich diese Technologien weiterentwickeln. Ich gehe davon aus, dass die Doku-Produktion in Zukunft noch hybrider, immersiver und stärker von synthetisch erzeugten Inhalten geprägt sein wird, zumindest dort, wo mit visuellen Rekonstruktionen gearbeitet wird. Technologien wie generative KI, holometrisches Video und Echtzeit-Engines werden dann fester Bestandteil des filmischen Werkzeugkastens sein. Schon heute lässt sich nahezu alles visualisieren – unabhängig davon, ob Originalmaterial existiert oder nicht – und die Möglichkeiten steigen exponentiell an. Umso wichtiger wird es, transparent zu machen, wie Inhalte entstanden sind, was real ist und was rekonstruiert oder gestaltet wurde.

Mit welcher Strategie möchten Sie mit South [&] Browse in die Zukunft gehen? Was wünschen Sie sich für Ihre Produktionsfirma?

Kohl: Wir wollen weiterhin Geschichten entwickeln, die neue Wege gehen – inhaltlich, formal und technologisch. Für uns stellt sich die zentrale Frage: Wie können wir auch in Zukunft Dokumentationen erzählen, die überraschen und Menschen bewegen? Wir glauben daran, dass echte Innovation nicht in der Komfortzone entsteht. Wir suchen immer den Bruch mit dem Erwartbaren und das Spiel mit den Formaten. Dafür wünschen wir uns Sender und andere Partner, die genauso neugierig, experimentierfreudig und mutig sind wie wir. Unser Ziel für die Zukunft ist es nicht, Trends hinterherzulaufen, sondern selbst neue Impulse zu setzen – und dadurch Geschichten zu erzählen, die im Gedächtnis bleiben.

Bannerbild: south&browse

Florentina Czerny
Über den Autor/die Autorin

Florentina Czerny

Florentina ist Teil des Content-Teams bei XPLR: MEDIA und Geschichtenerzählerin aus Leidenschaft. Für unser Onlinemagazin spürt sie regelmäßig Erfolgsstorys über Medienmacher:innen und innovative Projekte am Medienstandort auf. Zuvor hat sie in Eichstätt Journalistik studiert, im Lokaljournalismus volontiert und drei Jahre lang als Redakteurin bei der Passauer Neuen Presse gearbeitet.

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