Amazon Studios investiert in den Produktionsstandort Bayern
Amazon Video baut sein Angebot an deutschen Produktionen aus. Philip Pratt leitet die Abteilung „Deutsche Originals“ bei Amazon Studios. Im Interview spricht er darüber, welche Projekte gerade in Bayern realisiert werden, unter welchen Umständen Amazon Studios etwas Neues wagt und wie es ihn in die Filmwelt verschlagen hat.
Herr Pratt, Amazon Prime Video hat sein Investment in Deutsche Originals erhöht – warum?
Philip Pratt: Unsere Zuschauer:innen haben ein Bedürfnis nach deutschen Inhalten. Lokaler Content ist ein wichtiger Baustein, nicht nur in Deutschland, deshalb investiert Amazon hier.
Welche Produktionen entstehen gerade in Bayern?
Pratt: Mit Neuesuper und Betafilm machen wir „Luden“. Ende der Siebziger, Anfang der Achzigerjahre, hatten die Luden – kleinkriminelle Zuhälter auf der Hamburger Reeperbahn – fast Popstar-Status. Eine junge Frau ermittelt in diesem Milieu. Obwohl die Serie in Hamburg spielt, wird sie größtenteils in Bayern produziert. „Der Greif“ ist die Bestseller-Verfilmung von Wolfgang Hohlbein, die Wiedemann & Berg produzieren. Auch mit Wiedemann & Berg und in Kooperation mit dem FC Bayern München entsteht eine Dokumentation über den Verein, die diesen Herbst ausgestrahlt wird. Das ist ein spannender Blick hinter die Kulissen: Karl-Heinz Rummenigges letzte Saison und die Historie des FC Bayern – das interessiert Leute auf der ganzen Welt.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit von Amazon Studios und klassischen Produktionsfirmen vorstellen?
Pratt: Wir sind mit Produktionsfirmen wie den Leonine Studios, Constantin, Neuesuper, Betafilm und vielen mehr im Austausch über mögliche Kooperationen. Es gibt zwei Wege, die ich am Beispiel unserer Zusammenarbeit mit Constantin schildern kann. Bei der Comedy-Show „LOL: Last One Laughing“, übrigens dem erfolgreichsten Titel aller Zeiten bei Prime Video, sind wir von Amazon aus auf die Constantin zugegangen, weil wir dachten, sie ist die richtige Produktionsfirma für diese Amazon-Eigenentwicklung. Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ hingegen ist Oliver Berben von Constantin auf mich zugekommen und hat gesagt: „Philip, ich habe hier ein tolles Projekt.“
Oliver Berben sagte in einem Interview, dass Constantin und Amazon die bestehende Zusammenarbeit weiter ausbauen wollen. Was planen Sie?
Pratt: Es besteht gegenseitiges Interesse an einer Intensivierung der Zusammenarbeit und wir führen fruchtbare Gespräche. Wir haben u.a. eine weitere Staffel von „LOL: Last One Laughing“ mit Constantin Entertainment in der Vorbereitung. Mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ankündigen.
„Wir sind derzeit etwa ein Dutzend Leute bei Amazon Studios, Ende des Jahres werden wir etwa zwei Dutzend sein.“
Wie ist Amazon Studios intern aufgestellt?
Pratt: Wir haben erfahrene Produzierende, die die kreative Entwicklung verschiedenster Genres leiten. Alle Bereiche der Produktion werden zudem von Kolleg:innen in den Feldern Business Affairs, der Rechtsabteilung, Herstellungsleitung oder Post-Produktion abgedeckt. Das Team befindet sich gerade im Aufbau. Wir sind derzeit etwa ein Dutzend Leute bei Amazon Studios, Ende des Jahres werden wir etwa zwei Dutzend sein.
Gibt es trotz der guten Kooperationen mit bayerischen Produktionsfirmen auch Konkurrenz?
Pratt: Nein, wir brauchen die bayerischen Produktionsfirmen, weil sie den kreativen Prozess gemeinsam mit den kreativen Talenten vorantreiben. Auch wenn das Team von Amazon Studios wächst, haben wir gar nicht die Ressourcen, um Projekte ausschließlich inhouse zu betreuen.
Wie definiert Amazon Studios Erfolg für sich?
Pratt: Erfolg besteht für uns im Wesentlichen aus drei Werten: Wie viel Prozent der bestehenden Prime-Mitglieder schauen eine Show? Wie viele Menschen werden wegen des Titels neue Prime-Mitglieder? Wie viele kucken die Folgen durch? Ein vierter Wert ist neu: Inzwischen haben wir auch ein Auge darauf, wie viele Menschen die Show außerhalb von Deutschland sehen.
„Wir haben weltweit über 200 Millionen Prime-Mitglieder und im letzten Jahr haben 175 Millionen Prime-Mitglieder Serien und Filme bei Prime Video geschaut.“
Kreative brauchen Freiraum, Amazon braucht Stoffe, die weltweit funktionieren – ein Spannungsfeld, oder?
Pratt: Meine Mission ist, für die Prime-Video-Kunden herausragende Filme, Serien und Shows zu machen. Wie kommen wir dahin? Dramaturgie ist nichts Neues. Seit Aristoteles gibt es dramaturgische Gesetzmäßigkeiten, wie Menschen Geschichten rezipieren, wie man Spannung aufbaut, unterhält oder lustig ist. Wir wollen so viele Menschen wie möglich ansprechen. Wir haben weltweit über 200 Millionen Prime-Mitglieder und im letzten Jahr haben 175 Millionen Prime-Mitglieder Serien und Filme bei Prime Video geschaut.
Schwer vorstellbar, dass man in diesem Kontext etwas Neues ausprobiert.
Pratt: Das ist letztlich eine Frage der gesamten Content-Strategie. In der Summe von Projekten brauchen wir immer etwas, das die breite Masse unterhält. Dann können wir auch mal was Neues wagen.
„Seit ich als Kind „Star Wars“ gesehen habe, hat mich die Welt des Films nicht mehr losgelassen.“
Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sagten Sie, dass Sie nur Schauspieler:innen sehen wollen, die man noch nicht kennt.
Pratt: Stimmt. Ich kucke mit meinen Kindern immer „The Voice Kids“. Und ich bin jedes Mal baff, wie viele hochtalentierte Kinder dort singen. Und genauso ist das in der Schauspielerei. Wir müssen nicht immer dieselben Gesichter zeigen. Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ wussten wir, dass der Stoff eine sehr große Strahlkraft hat. Deshalb konnten wir neue Gesichter wagen und auch mit den dramaturgischen Regeln spielen.
Natürlich bauen wir auch auf Starpower, auf die großen Namen, die die Zuschauer lieben. Aber wir können den Zuschauern sowohl ihre Lieblingsstars bieten und zugleich in den Aufbau von zukünftigen Stars investieren.
Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gab es eine 360°-Auswertung: ein Soundtrack bei Amazon Music, Original-Interview-Mitschnitte mit Christiane F. bei Audible und einen Dokumentarfilm. Welchen Stellenwert hat diese crossmediale Auswertung?
Pratt: Wir denken all diese Kanäle früh mit und überlegen, was Sinn macht. Amazon hat hier eine große Stärke: Twitch, Alexa, IMDb, Audible, Amazon Music und vieles mehr – das ist ein Universum an Möglichkeiten.
Sie studierten Film- und Fernsehproduktion an der Filmuniversität Potsdam Babelsberg. Was hat Sie in die Welt des Films gezogen?
Pratt: Seit ich als Kind „Star Wars“ gesehen habe, hat mich die Welt des Films nicht mehr losgelassen. Ich habe 1999 bei TV Total und der Wochenshow als Kabelträger angefangen, ich war Ausstattungsassistent, Beleuchter und Aufnahmeleiter. Das Produktionsstudium habe ich dann 2002 begonnen. Ich denke, ich bin ein Entrepreneur-artiger Allrounder, der gerne Dinge aufbaut – also genau richtig für meinen Job.
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