„Diversität hilft den Medienhäusern selbst“

Von Julia Hägele

Nabila Abdel Aziz und Julia Ley

Nabila Abdel Aziz, 31, und Julia Ley, 32, sind Journalistinnen in München. Sie vertreten den Neue deutsche Medienmacher*innen e.V. in Bayern – ein Verein, der sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen. Ein Gespräch über Vielfalt, guten Journalismus und den Wert präziser Sprache.

Über wen reden wir, wenn wir von Menschen mit Migrationshintergrund sprechen?

Julia Ley: Wir reden über ein Viertel der deutschen Gesellschaft. 26 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund. Das sind Menschen, deren Eltern- oder Großelterngeneration nach Deutschland eingewandert ist. Das wird von Medien heute immer noch nicht genug mitgedacht – weder bezogen auf die Inhalte noch auf das Personal. Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen setzen sich dafür ein, diese Menschen sichtbarer und Redaktionen diverser zu machen.

Wieso brauchen Medien überhaupt Diversität?

Nabila Abdel Aziz: Jeder hat blinde Flecke, jeder geht ein bisschen mit Scheuklappen durch die Welt, auch Journalist*innen, und auch die mit internationaler Geschichte. Deswegen brauchen wir diese unterschiedlichen Perspektiven, um einen realistischeren Blick auf die deutsche Gesellschaft hinzubekommen.

Wie setzt Ihr dieses Anliegen konkret um?

Abdel Aziz: Wir schreiben Texte, mischen uns in Debatten ein, halten Vorträge und Workshops zum Thema Vielfalt im Journalismus. Die Neuen deutschen Medienmacher*innen versuchen, Zahlen zu schaffen – zum Beispiel Studien, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in den Chefetagen sitzen, es sind nur sechs Prozent. Wir geben auch Workshops für migrantische Organisationen zu Öffentlichkeits- und Pressearbeit. Es gibt ein Mentorenprogramm und Projekte zum Thema Hate Speech.

Ley: Für Journalist*innen ist der Vielfalt-Finder ein interessantes Tool, weil man da eine Datenbank mit Expert*innen diverser Backgrounds findet, und zwar zu vielen Themen, nicht nur zum Thema Migration. Wir haben außerdem Bliq gegründet, ein Online-Magazin, das Medienkritik in diesem Kontext betreibt.

Abdel Aziz: Und es gibt ein Glossar der NdM, welche Begriffe problematisch sind und welche Alternativen es gibt.

Was können Journalist*innen sonst noch tun, wenn sie diverser sein wollen, aber nicht wissen, wie?

Abdel Aziz: Eigene Scheuklappen hinterfragen, sich weiterbilden. Mal andere Interviewpartner oder Expertinnen anfragen. Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben ein großes Angebot zur Frage „Wie gebrauche ich Sprache, ohne bestimmte Gruppen pauschal zu diffamieren?“ und bieten Unterstützung für Medienhäuser, die eigene Programme aufsetzen wollen, um diverser zu werden. Denn Diversität hilft am Ende den Medienhäusern selbst, den Anschluss an gesellschaftliche Entwicklungen und auch große Zielgruppen nicht zu verlieren.

Ley: Zahlen zu erheben und sich zu fragen, wie repräsentativ das Unternehmen ist, wäre ein guter erster Schritt.

Geht es in Eurer Medienkritik hauptsächlich um präzise Sprache?

Abdel Aziz: Die ist wichtig, wenn es darum geht, die Gesellschaft respektvoll abzubilden, aber auch um einfach Realitäten zu benennen. Beispielsweise werden aus Unachtsamkeit oft Schwarze Menschen, die keinen Migrationshintergrund haben, als „Menschen mit Migrationshintergrund“ beschrieben. Oder türkischstämmige Deutsche als Türken bezeichnet. Oder alle mit arabischem Namen als Muslime verstanden, auch wenn sie Atheisten sind.

„Man kann antirassistische Arbeit nicht nur auf die Betroffenen auslagern, denn es geht um unser aller Gesellschaft.“ Julia Ley

Steht es wirklich so schlecht um diese Sensibilität in den Medienhäusern?

Abdel Aziz: Wir sehen die Offenheit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Am Tag des Anschlags in Hanau beispielsweise, an dem ein Täter zehn Menschen und sich selbst erschoss, hieß es morgens noch an vielen Stellen, der Täter habe aus „fremdenfeindlichen“ Motiven gehandelt. Gegen Abend hatten viele Medien das Wort „fremdenfeindlich“ durch das Wort „rassistisch“ ersetzt. Mit dem Wort „fremdenfeindlich“ benutzt man nämlich die Perspektive des Täters und impliziert, die Menschen, die ermordet wurden, sind Fremde, sie gehören nicht zu unserer Gesellschaft. Da haben sich Redaktionen Gedanken über ihre blinden Flecke gemacht.

Ley: Ich denke, auf gewisse Grundsätze kann man sich in den meisten Medien inzwischen einigen. Offener Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen oder People of Colour ist zumindest offiziell verpönt, auch wenn es da immer noch Defizite gibt. Bei anderen Gruppen sind Ressentiments viel gesellschaftlich akzeptierter. Das ist zumindest mein Eindruck. Zum Beispiel tarnt sich Rassismus gegenüber Muslim*innen gerne als Religionskritik.

Abdel Aziz: Und diese Vorbehalte – bewusst oder unbewusst – hängen eben auch mit der Medienberichterstattung zusammen. Manchmal wollen wir uns das als Journalist*innen nicht so eingestehen, aber die meisten von uns wissen das, was sie über Minderheiten wissen, durch die Medien, und haben vielleicht gar keinen direkten Kontakt zu jüdischen, muslimischen oder Schwarzen Menschen und so weiter. Dieser Verantwortung müssen wir uns bewusst sein.

Habt Ihr einen persönlichen Bezug zur Idee der Neuen deutschen Medienmacher*innen?

Abdel Aziz: Von klein auf habe ich beobachtet, wie Medienberichterstattung das Bild von unterschiedlichen Gruppen in der Gesellschaft beeinflusst, wie die beschrieben werden, die nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören. Es ist einfach an der Zeit, dass auch sie eine Stimme bekommen.

Ley: Ich habe Middle Eastern Studies studiert mit Schwerpunkt auf der Türkei. Nabila und ich kennen uns schon lange und haben uns oft über die Berichterstattung über Muslim*innen geärgert. Das war für mich der Aufhänger, um mich mit dem breiteren Thema zu befassen. Man kann antirassistische Arbeit nicht nur auf die Betroffenen auslagern, denn es geht um unser aller Gesellschaft.

„Wenn Menschen mit Migrationshintergrund ein Viertel unserer Bevölkerung darstellen, sollen sie auch so repräsentiert werden.“ Nabila Abdel Aziz

Wenn etwa islamistisch motivierte Gewalttaten wie der Mord an Samuel Paty geschehen – wie sehr erschüttert das Eure Arbeit?

Abdel Aziz: Die Themen, mit denen wir uns dauernd auseinandersetzen, werden dann im ganzen Land diskutiert: Wie wichtig ist es, eine Grenze zu ziehen zwischen einer Weltreligion und religiös verbrämten Extremisten? Wie wichtig ist es, präzise zu formulieren? Das wird dann eine Weile diskutiert, auch von Leuten, die mit Medienkritik nicht viel am Hut haben. Und dann versandet es wieder.

Wie geht Ihr mit der Kritik um, dass es sich bei den Bemühungen der Neuen deutschen Medienmacher*innen nicht um eine Förderung von Migrantinnen und Migranten handelt, sondern um eine Bevorteilung?

Abdel Aziz: Wir sprechen davon, dass sich Türen öffnen sollten, es geht um Gerechtigkeit. Wenn Menschen mit Migrationshintergrund ein Viertel unserer Bevölkerung darstellen, sollen sie auch so repräsentiert werden. Und zwar auf allen Ebenen: Als Expert*innen, Interviewpartner*innen und Journalist*innen.

Ley: Wir sind von einer Bevorteilung weit entfernt, wir machen etwas gegen die Benachteiligung.

Wie entgegnet Ihr dem Argument, dass es doch nur auf Leistung ankäme und spezielle Förderprogramme für Migrant*innen unnötig seien?

Abdel Aziz: Es gibt eine strukturelle Benachteiligung gegenüber marginalisierten Gruppen, das fängt schon in unserem Bildungssystem an. Medienhäuser können das nicht alleine verändern, aber sie können ihren Beitrag dazu leisten, unsere Gesellschaft gerechter und demokratischer zu machen.

Ley: Vielleicht braucht es eine andere Ansprache, damit sich Migrant*innen in Redaktionen oder auf Journalistenschulen bewerben. Viele haben den Eindruck, dass es dort keinen Platz gibt für sie und ihre Stimmen.

Abdel Aziz: Ich zum Beispiel hätte mich nie an einer Journalistenschule beworben, wenn Julia mir nicht Mut gemacht hätte.

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