Kicker-Herausgeber Rainer Holzschuh
Rainer Holzschuh: „Wir dürfen das Gespür für unsere Leser nicht verlieren“
Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Erfolgsrezept, findet Rainer Holzschuh. Der Kicker-Herausgeber erklärt, wie die Zeitschrift es geschafft hat, zur Institution zu werden, die seit 100 Jahren deutschlandweit Fußballfans erreicht. Außerdem verrät er, wie der Kicker auch in Zukunft überzeugen will – und wie es mit Berti Vogts in der Sauna ist.
Wie würden Sie beschreiben, wofür der Kicker steht?
Rainer Holzschuh: Als ich den Kicker das erste Mal gelesen habe, faszinierte mich am meisten, dass er erklärt, was den Fußball ausmacht. Ich habe damals verstanden, dass es bei diesem Sport um mehr geht, als dass Spieler 90 Minuten lang einem Ball hinterherlaufen. Mit dem Kicker kann man sich in den Fußball vertiefen. Das ist heute immer noch so.
Der Kicker wird dieses Jahr 100 Jahre alt, er ist eine Marke, die für Fußballfans so zur deutschen Medienwelt gehört wie für andere die Tagesschau. Wie hat der Kicker es geschafft, zu so einer Institution zu werden?
Holzschuh: Als Fußball in den 20er-Jahren in Deutschland immer populärer wurde, fehlte eine Zeitschrift, die über den Sport berichtete. Walther Bensemann hat damals diese Lücke erkannt und gespürt, was die Fans interessiert – so wie alle seine Nachfolger. Gleichzeitig ist der Kicker immer mit der Zeit gegangen. Ich habe mir neulich mal die Mühe gemacht und in unserem Archiv alle Bände aus den vergangenen 100 Jahren durchgeblättert. Am Anfang war es eine richtige Bleiwüste. Dann wurde der Kicker immer bunter. Uns ist es gelungen, auch optisch, technisch und inhaltlich das umzusetzen, was der Leser in der jeweiligen Zeit von uns erwartete. Wir hatten also immer ein feines Gespür für unsere Zielgruppe.
Der Kicker hatte schon in den 90er-Jahren einen eigenen Online Auftritt. Woran haben Sie erkannt, dass die Zukunft im Internet liegt?
Holzschuh: Ich selbst bin technisch nicht so auf Zack. Aber wir besaßen im Verlag damals viele leitende Angestellte, die erkannt hatten, dass sich eine gedruckte Zeitschrift und ein Online-Auftritt gut ergänzen können – ohne, dass dadurch Jobs verloren gehen. Als Chefredakteur fand ich das überzeugend, geradezu visionär. Gleichzeitig war mein Draht zum Verleger immer gut. Dass eine Familie den Verlag führte und die Wege kurz waren, bildete sicherlich ein Erfolgsrezept.
Bezahlschrank für den Kicker stand nie zur Debatte
Inzwischen erzielt der Kicker etwa zwei Drittel seiner Erlöse digital. Doch es gibt keine Bezahlschranke, keine Abos. Wie gelingt es dem Kicker wirtschaftlich trotzdem erfolgreich zu sein?
Holzschuh: Unsere Erlöse generieren wir über die Masse. In Fußball-Monaten erhalten wir bis zu 2,3 Milliarden Klicks. Im Stadion hält fast jeder sein Handy in der Hand und schaut auf unserer Seite, wie die anderen Vereine gespielt haben. Mit einem Bezahl-Abo könnten wir das niemals erreichen. Dass wir ein Massenmedium werden müssen, um erfolgreich zu sein, erkannten wir schon, als wir die Website aufbauten. Es stand schon damals nie zur Debatte, eine Bezahlschranke einzuführen.
Besonders gefragt sind Live-Ticker. Doch was dort steht, haben mittlerweile Roboter geschrieben. Wie sehen Sie die Rolle von Sport-Journalisten in der Zukunft?
Holzschuh: Der Kicker ist ein Fachblatt, das den Fußball mit all seinen Zusammenhängen und Hintergründen erklärt. Ich bin davon überzeugt, dass es für so eine tiefe Analyse Journalisten braucht.
„Ich bin ein echtes Glückskind und war im Laufe meines Lebens immer wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
Wie sind Sie eigentlich selbst zum Kicker gekommen?
Holzschuh: Eigentlich habe ich in Regensburg Jura studiert. Als Nebenjob rechnete ich damals am Wochenende für eine kleine Zeitung die Fußball-Tabellen aus. Als ich keinen Fehler machte, durfte ich mit der Zeit immer mehr schreiben und wurde die rechte Hand des Sportredakteurs. Eines Tages rief die Augsburger Allgemeine an, um mir ein Jobangebot zu machen und später bekam ich vom Kicker ein Angebot. Als ich danach als Pressechef des DFB anfing, bedeutete das für mich den Sprung in die Elite des Fußballs. 1988 überredete mich der Kicker schließlich zurückzukehren. Im Nachhinein würde ich sagen: Ich bin ein echtes Glückskind und war im Laufe meines Lebens immer wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Zwischen PR und Journalismus hin- und herzuwechseln gilt als problematisch. Hat Ihnen jemals jemand vorgeworfen, dass Sie nach Ihrer Zeit als Pressesprecher nicht mehr objektiv sein könnten?
Holzschuh: Ich habe mir meine Neutralität immer bewahrt. Bis heute gibt es für mich keinen Lieblingsverein. Ich liebe einfach den schönen Fußball, egal wer ihn spielt. Die Zeit beim DFB hat mir geholfen, mein Netzwerk auszuweiten. Heute sind in meinem Telefonbuch mehr als 1000 Kontakte gespeichert. Doch ich bin damit immer vertraulich umgegangen und deshalb wurde mir im Gegenzug auch immer Vertrauen entgegengebracht. Das war in meiner Zeit als Chefredakteur extrem wertvoll.
Glaubwürdigkeit und Seriosität beibehalten
Sie waren 21 Jahre lang Chefredakteur, seit 2010 sind sie Herausgeber des Blattes. Wie schwer fällt es Ihnen, sich zurückzuhalten?
Holzschuh: Den Sprung vom Chefredakteur zum Herausgeber habe ich damals gut vorbereitet und deshalb gut verdaut. Jetzt bin ich vor allem für die Repräsentation zuständig. Ich bekleide etliche Ehrenämter und habe selbst verschiedene Verbände mitgegründet, um den Fußball zu fördern. Zum Glück besitzt er in Deutschland so einen hohen Stellenwert. Sie würden gar nicht glauben, wie viel unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über Fußball weiß.
Wann sprechen Sie heute im Redaktionsalltag noch mit?
Holzschuh: Mein Kontakt zur Chefredaktion ist immer noch eng. Rainer Franzke und ich kennen uns seit den 70er-Jahren. Wir sind durch dick und dünn gegangen und diskutieren regelmäßig, manchmal drei, vier Stunden lang. Wenn ich gefragt werde, sage ich immer meine ehrliche Meinung. Doch ich würde mich hüten, ungefragt Tipps und Ratschläge zu geben.
„Später als Chefredakteur hätte ich niemanden gebrauchen können, der nur über den FC Bayern schreiben kann. Ich habe deshalb immer als Erstes wissen wollen, welcher der Lieblingsverein ist und dann getestet, was der Bewerber darüber hinaus noch wusste.“
Stimmt es, dass Sie als Chefredakteur früher in Bewerbungsgesprächen die Aufstellungen wichtiger Spiele abgefragt haben?
Holzschuh: Für uns gibt es nichts Schlimmeres, als Fehler zu machen. Deshalb war es mir wichtig, nachzubohren, ob sich ein Bewerber wirklich mit dem Fußball beschäftigt hat oder ob er versucht, eine große Seifenblase vor mir aufzubauen. Als Schüler war ich nie der Klassenbeste, aber ich war der Beste in unserem Fußballquiz. Ich wusste von jedem Verein die Ergebnisse. Später als Chefredakteur hätte ich niemanden gebrauchen können, der nur über den FC Bayern schreiben kann. Ich habe deshalb immer als Erstes wissen wollen, welcher der Lieblingsverein ist und dann getestet, was der Bewerber darüber hinaus noch wusste. Gemein waren die Fragen aber nie. Und Aufstellungen habe ich, vielleicht bis auf WM-Endspiele, nie erfragt.
Kicker steht bis heute für eine Zeitschrift, die stets Fachblatt blieb und nie Lifestyle-Magazin wurde. Ist das noch zeitgemäß?
Holzschuh: Ich bin davon überzeugt, dass jemand, der etwas über den Lifestyle lesen will, andere Gazetten kaufen soll. Der Lebenswandel eines Spielers ist deshalb für uns nur dann ein Thema, wenn es einen Zusammenhang zum Spiel gibt. Zum Beispiel: wenn jemand bis drei Uhr morgens in der Disco feierte und dann am nächsten Morgen schlecht trainiert oder spielt, berichten wir natürlich darüber. Unsere Grundtendenz muss die Seriosität bleiben.
Warum sehen Sie das so?
Holzschuh: Unsere Glaubwürdigkeit ist der Grund dafür, warum uns die Menschen lesen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das für mich prägend war: In den Siebziger Jahren war Berti Vogts der weltbeste Verteidiger und spielte bei Gladbach. Er bekam von niemandem eine schlechtere Note als eine Eins oder Zwei. Aber dann lieferte er bei einem Spiel die äußerst schwache Leistung ab, weil sein Gegenspieler drei Tore schoss. Ich habe lange hin- und her überlegt, was ich ihm geben soll. Ich entschied mich für eine glatte Fünf. Damals wurde ich von den Gladbacher Spielern regelmäßig zu ihrem Saunanachmittag eingeladen. Als ich zwei Tage später wieder dorthin fuhr, hatte ich richtig Beklemmung. Aber Berti Vogts lakonische Bemerkung war nur: „Wenn du mir etwas Besseres als eine fünf gegeben hättest, hättest du nie mehr hier auftauchen dürfen." Ein seltenes Beispiel aus Spielermund für Eigenkritik. Fazit: Unsere Neutralität und Seriosität sind das, was unsere Leser an uns schätzen.
Was muss sich verändern, dass der Kicker noch 100 weitere Jahre besteht?
Holzschuh: Es muss sich gar nichts verändern. Die wichtigste Herausforderung für die Zukunft wird aus meiner Sicht sein, dass wir auch künftig nicht jeder Mode hinterherrennen, und gleichzeitig unser Gespür für unseren Leser nicht verlieren.
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