Michael Schaffrath: Für mehr Vielfalt im Sportstreaming
Fußball ist beim Streamingplattformen immer noch die beliebteste Sportart. Um wichtige Spiele zeigen zu können, überlegen sich immer mehr Player innovative Rechtepakete. Doch die Logik hinter Rechtevergabe und Plattformstrategien hat auch Auswirkungen auf die mediale Präsenz einzelner Sportarten. Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Michael Schaffrath verrät im Interview, warum Vielfalt im Sportstreaming unverzichtbar ist.
Prof. Dr. Schaffrath, wie funktioniert die Rechtevergabe im Sport derzeit – und warum ist sie strategisch so relevant?
Prof. Dr. Michael Schaffrath: Sportrechte sind die zentrale Währung im Mediengeschäft. Gerade beim Fußball – der mit Abstand wichtigsten Sportart in Deutschland – gibt es einen echten Markt mit vielen Interessenten: ARD, ZDF, Sky, DAZN, Amazon und noch mehr. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) vergibt stark ausdifferenzierte Rechtepakete – darin enthalten sind etwa Rechte zur Ausstrahlung von Live-Übertragungen, Live-Konferenzen und zeitversetzte Zusammenfassungen. Live ist immer am teuersten, zeitversetzte Rechte günstiger – aber auch die bleiben kostspielig. In anderen Sportarten wie Handball oder Leichtathletik gibt es oft nur einen oder zwei Sender, die überhaupt Interesse zeigen. Dort ist die Verhandlungsmacht deutlich schwächer. Je größer der Wettbewerb um eine Sportart, desto höher die Preise – und desto kleinteiliger die Pakete.
Bei Wettbewerben wie der Champions League kaum noch Live-Bilder im Free-TV
Gibt es dafür gesetzliche Grenzen?
Schaffrath: Ja, auf EU-Ebene können Mitgliedsstaaten Listen sogenannter „Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ definieren. In Deutschland regelt § 13 des Medienstaatsvertrags, dass bestimmte Spiele – beispielsweise alle Begegnungen der deutschen Nationalmannschaft bei einer Fußball-WM, das Eröffnungsspiel, die Halbfinals und das Finale – im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt werden müssen. Diese Regelung soll verhindern, dass zentrale gesellschaftliche Ereignisse hinter Paywalls verschwinden. Bei deutscher Beteiligung müssen auch die Endspiele der Champions League und der Europa League im Free-TV ausgestrahlt werden. Aber die Bundesliga kann exklusiv vergeben werden und ausschließlich im Pay-TV laufen.
Viele Premiumrechte liegen heute hinter Paywalls. Was bedeutet das für die öffentliche Zugänglichkeit?
Schaffrath: Bei Wettbewerben wie der Champions League gibt es kaum noch Live-Bilder im Free-TV. Zwar sendet das ZDF am Mittwoch Zusammenfassungen – aber wer live schauen will, braucht ein Abo bei DAZN oder Amazon. Diese Verknappung ist Teil der Strategie kommerzieller Plattformen. Für die Zuschauer:innen heißt das: Sie müssen immer tiefer in die Tasche greifen.
Welche Folgen hat das für andere Sportarten – jenseits des Fußballs?
Schaffrath: Die Konzentration der Finanzmittel auf den Fußball hat direkte Auswirkungen auf andere Sportarten: Handball, Schwimmen oder Tischtennis verlieren an Sichtbarkeit und geraten weiter ins publizistische Abseits. Was nicht gezeigt wird, findet im Bewusstsein vieler Menschen schlicht nicht statt. Die mediale Präsenz entscheidet längst darüber, was gesellschaftlich wahrgenommen und langfristig weitergetragen wird.
Sollte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin um Fußballrechte bemühen?
Schaffrath: Ich bin da radikal: ARD und ZDF sollten vollständig aus der Fußballberichterstattung aussteigen und ihre Mittel in andere Sportarten investieren. Ihr öffentlich-rechtlicher Grundversorgungsauftrag beinhaltet auch mediale Vielfalt. Natürlich zeigen sie viele Sportarten, die auf privaten Plattformen keine Chance hätten. Aber wenn man sich die konkreten Sendezeiten diverser Randsportarten dann mal genau anschaut, merkt, wie dünn die tatsächliche TV-Präsenz vieler Disziplinen pro Jahr ist.
Was passiert, wenn Sender zugleich Rechteinhaber und Produzenten sind?
Schaffrath: Dann entsteht ein klarer Zielkonflikt. Plattformen wie DAZN oder Sky investieren hohe Summen in Übertragungsrechte – da fällt es schwer, in der eigenen Berichterstattung kritisch mit Spielern, Trainern oder Funktionären umzugehen. Wer Millionen für ein Produkt zahlt, will es nicht „kaputtreden“, wie es der ehemalige ZDF-Redakteur Michael Palme einmal formulierte. Kritik an Kommerzialisierung oder sportlichen Strukturen bleibt oft aus. Der journalistische Auftrag, auch Missstände aufzuzeigen, gerät leicht ins Hintertreffen. Gleichzeitig wächst durch Social Media der Druck: Kommentatoren, die Kritik äußern, werden in Echtzeit bewertet – das kann eine „Schere im Kopf“ erzeugen und führt zu einem Sportjournalismus, der eher unterhält und immer weniger kontrolliert. Dabei ist Kontrolle essenziell: Sport ist ein milliardenschwerer Markt mit gesellschaftlicher Relevanz. Es gehört zu den normativen Funktionen des Journalismus den Sport kritisch zu hinterfragen, nicht nur zu begleiten.
Sportarten, die nicht im Fernsehen stattfinden, verlieren an gesellschaftlicher Relevanz
Welche Verantwortung haben Medien und Politik für die Zukunft des Sports im Fernsehen?
Schaffrath: Wenn wir Vielfalt im Sport wollen, braucht es eine neue Balance in der Rechtevergabe. Denn der Euro, der für Fußball ausgegeben wird, fehlt bei anderen Sportarten. Was nicht im Fernsehen stattfindet, verliert langfristig an gesellschaftlicher Relevanz. Gerade bei Kindern und Jugendlichen hinterlässt das Spuren: Was nicht sichtbar ist, wird auch nicht nachgeahmt. So entscheidet am Ende nicht nur der Markt, was wir sehen – sondern auch, welchen Sport wir als Gesellschaft machen und weitertragen.
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