TikTok-Expertin Marion Uschold: Journalismus auf Augenhöhe

TikTok ist die Plattform, auf der man die Young Audience erreicht – und trotzdem trauen sich noch nicht alle Medienhäuser dorthin. Warum nicht? Wie können Hürden abgebaut werden und wie sieht guter TikTok-Content aus? Marion Uschold ist Digital Expertin beim BR (BR24, Bayern 3) und verrät im Interview, worauf es ankommt.

09.09.2025 6 Min. Lesezeit

LinkedIn, Instagram, TikTok, YouTube – welche Plattform ist heute die vielversprechendste für ein Medienunternehmen, um die eigene Marke auszubauen?

Marion Uschold: Als Medienunternehmen muss ich erst einmal gucken: Wo ist meine Zielgruppe und was sind meine Ziele als Marke? Dann kann ich mir im zweiten Schritt überlegen, welche Plattform für mich am besten passt. Bei LinkedIn halten sich Fachpublikum und ältere Zielgruppen auf,  Instagram und TikTok hingegen richten sich an junge Generationen und sind nach wie vor sehr stark wachsende Plattformen. Eine Plattform, auf der ich alle Altersgruppen erreiche, ist YouTube. Hier punktet vor allem Long Content. Generell kann man sagen: Die optimale Lösung ist nie nur eine Plattform, sondern immer die richtige Kombi.

Bei jungen Generationen ist TikTok ganz vorne. Warum ist die Plattform für Medienhäuser heute unverzichtbar?

Marion: Weil Social Media heute zur Informationsquelle geworden ist – das zeigen aktuelle Reportings wie der Reuters Digital News Report. Demnach konsumieren 35 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Nachrichten und andere Infos hauptsächlich auf den sozialen Netzwerken. Als Medienhaus ist es aber auch wichtig, auf TikTok vertreten zu sein, weil man dort von Trends und Themen erfährt, die die Menschen aktuell bewegen.

Der TikTok-Algorithmus lernt alleine von der User Interaction

 

Wie funktioniert die Plattform bzw. ihr Algorithmus?

Marion: Der Fokus des TikTok-Algorithmus liegt auf dem Content und lernt allein durch User Interaction. Wie viele Likes und Kommentare bekommt mein Content, wie lange und wie oft wird er geschaut, wie viele folgen mir, nachdem sie meine Inhalte gesehen haben? All das spielt eine große Rolle. Grundsätzlich ist der Algorithmus wie eine Treppe aufgebaut: Zuerst wird mein Content einem kleinen Publikum ausgespielt. Wenn dieses ausreichend interagiert, wird der Zuschauer:innen-Kreis ausgeweitet.

Welche Voraussetzungen muss ein Inhalt denn erfüllen, damit User:innen möglichst viel interagieren?

Marion: Erstens: Er muss relevant sein und zu meiner Zielgruppe passen. Zweitens: Er braucht einen starken Hook. Wenn ich mein Publikum nicht in der ersten Sekunde catche, scrollt es sofort zum nächsten Video. Außerdem ist gutes Storytelling wichtig, das die Nutzer:innen im Video hält. Denn für den Algorithmus ist es natürlich gut, wenn sich User:innen möglichst lange mit meinen Inhalten beschäftigen.

In fast jeder Redaktion gibt es Praktikant:innen und Volontär:innen – viele davon sind sehr TikTok-affin und haben Lust, sich auszuprobieren. Es macht nur Sinn, sie einzubeziehen und gemeinsam nach Ideen für Content zu suchen.

Foto: Leah Ruprecht

Marion UscholdDigital-Expertin beim BR

Welche Trends beobachtest du gerade auf TikTok, auf die man aufspringen sollte? In welche Richtung entwickelt sich die Plattform allgemein?

Marion: Der Trend, den ich gerade sehr stark beobachte, ist der 16:9-Trend. Das heißt, TikTok pusht das neue Format gerade enorm und versucht dadurch, eine starke Konkurrenz zu YouTube zu werden. Wir haben das mit Bayern 3 ausprobiert und konnten sechsstellige Reichweiten erzielen. Eine andere Entwicklung, die sich schon seit Längerem abzeichnet, ist, dass TikTok als Suchplattform genutzt wird. Die Plattform reagiert darauf, indem sie die Suchfunktion weiter ausbaut. Und natürlich ist KI ein großes Thema: TikTok hat vor ein paar Wochen das Feature „Symphony” ausgespielt, mit dem man zum Beispiel digitale Avatare verwenden und seine Inhalte in verschiedene Sprachen übersetzen kann.

TikTok-Affinität nutzen: Praktikant:innen und Volontär:innen geben wertvollen Input

 

Einige Medienunternehmen trauen sich noch immer nicht auf die Plattform. Welche Bedenken begegnen dir immer wieder?

Marion: Viele sagen, sie verstehen die Plattform und ihren Algorithmus nicht, weil sie selbst keinen Account haben. Diese Hürde kann man nur abbauen, indem man sich traut, neue Dinge auszuprobieren und sich auszutoben. Ein häufiges Argument ist fehlendes Personal, das den TikTok-Account betreuen kann. Ich appelliere dann immer dafür zu überlegen, welche Kapazitäten man umschichten könnte. Klar – Content macht sich nicht von alleine, aber oft kann man auch mit relativ wenig Aufwand einen Nerv treffen und gute Reichweiten erzielen. Es muss nicht immer ein zeit- und kostenintensives Hochglanz-Video sein.

Wie kann man sich den Einstieg etwas erleichtern?

Marion: In fast jeder Redaktion gibt es Praktikant:innen und Volontär:innen – viele davon sind sehr TikTok-affin und haben Lust, sich auszuprobieren. Es macht nur Sinn, sie einzubeziehen und gemeinsam nach Ideen für Content zu suchen. Ich würde mir dann gewisse Strategieziele überlegen und einfach anfangen, Inhalte online zu stellen. TikTok gibt mir viele Informationen dazu, wie mein Content ankommt. Damit lässt sich evaluieren, welche Videos besser funktionieren als andere, was ich ändern und neu ausprobieren könnte. Dabei finde ich es wichtig, dass man als Medium nicht zwangsweise „auf jung macht” und sich damit anbiedert, sondern authentisch bleibt. Dann findet man auch die Community, die man ansprechen möchte.

Mit genau dieser kann man sich auf Social Media austauschen. Wie funktioniert gutes Community-Management?

Marion: Das Wichtigste ist, dass man Community-Arbeit als wichtig erachtet und mit den Menschen auf Augenhöhe kommuniziert. Wir als Medienmacher:innen kommunizieren nicht mehr von oben herab, sondern werden zu Begleiter:innen, zu Mentor:innen. Das macht Journalismus viel nahbarer. Dass die Community mit ihren Ideen und Bedürfnissen auf uns zukommt, gibt uns die Möglichkeit, in den Austausch zu gehen, Unklarheiten zu beseitigen, herauszufinden, welche Themen die Leute beschäftigen. Das Schöne ist: Unsere Community ist unser Multiplikator. Wenn sie unseren Content gut findet, liked, teilt und speichert, wirkt sie dadurch positiv auf den Algorithmus ein.

Du bist nicht nur Digital-Expertin beim BR, sondern gehst auch in Schulen, um Medienkompetenz zu vermitteln. Was beobachtest du dort – wie gehen Kinder und Jugendliche mit Medien heute um?

Marion: Dadurch, dass viele User:innen Social Media als Nachrichtenquelle nehmen, ist es umso wichtiger, eine gewisse Medienkompetenz zu schaffen. Das ist nämlich das, was meiner Erfahrung nach oft nicht da ist. Ich glaube zwar, dass Gen Z und Alpha ein gewisses Grundverständnis davon mitbringen, wie soziale Medien funktionieren. Aber KI-generierten Content und Fake News zu erkennen, ist ja auch für Medienprofis schwer – teilweise arbeiten ganze Teams daran, Fakten zu checken. Ich sehe noch viel Bedarf darin, junge Menschen aufzuklären und ihnen beizubringen, wie man Inhalte kritisch hinterfragt.

Nachrichten müssen auf TikTok snackable und gut aufbereitet sein

 

Journalistischer Content teilt sich auf Social Media die Bühne mit Lifestyle, Comedy, Shopping, Werbung etc. Ist das vor allem eine Herausforderung, oder steckt darin auch eine Chance für Medienunternehmen?

Marion: Ich sehe das als Chance, weil Medien damit auch diejenigen erreichen können, die müde von trockenen Nachrichten sind. Mit gut und prägnant aufbereiteten snackable News können sie auf TikTok und Co. im Feed von jungen Menschen landen und haben dadurch die Möglichkeit, die Leute wieder für Nachrichten zu begeistern. Das ist zwar eine Herausforderung, aber alternativlos – denn junge Zielgruppen erreicht man über lineare Medien einfach nicht mehr.

Bannerbild: BR/Ralf Wilschewski

Florentina Czerny
Über den Autor/die Autorin

Florentina Czerny

Florentina ist Teil des Content-Teams bei XPLR: MEDIA und Geschichtenerzählerin aus Leidenschaft. Für unser Onlinemagazin spürt sie regelmäßig Erfolgsstorys über Medienmacher:innen und innovative Projekte am Medienstandort auf. Zuvor hat sie in Eichstätt Journalistik studiert, im Lokaljournalismus volontiert und drei Jahre lang als Redakteurin bei der Passauer Neuen Presse gearbeitet.

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