Florian Boitin: „Im Jahr 2021 ist Nacktheit selbst keine Nachricht“

Von Julia Hägele

Florian Boitin, Verleger und Chefredakteur des Männermagazins Playboy.

Der Playboy ist weltweit das wohl bekannteste Männermagazin. 1953 in den USA geboren, gibt es die Marke seit 1972 auch in Deutschland. Verleger und Chefredakteur Florian Boitin spricht im Interview darüber, wie der Geist von Hugh Hefner immer noch auf die Marke ausstrahlt und was die Geschichte des Radiomoderators Thorsten Otto über seinen leiblichen Vater mit einem Männerbild zu tun hat, das sich wandelt.

Herr Boitin, an welche Geschichte in Ihrer zwölfjährigen Zeit als Playboy-Chefredakteur erinnern Sie sich immer wieder gerne zurück?

Florian Boitin: Da denke ich beispielsweise an die Titelgeschichten mit Mutter und Tochter, Simone und Sophia Thomalla. Mir kommt Pamela Anderson in den Sinn, die uns auch in der Redaktion besucht hat. Ein Highlight war, als Karl Lagerfeld den Titel mit Natalia Wörner fotografierte. Aber wenn ich mich für eine Geschichte entscheiden müsste, wäre das mein Interview-Besuch bei Hugh Hefner in seiner Mansion in Los Angeles.

Warum ist Ihnen das Treffen mit Hugh Hefner im Gedächtnis geblieben?

Boitin: Das ist jetzt genau zehn Jahre her. Und es war meine erste Begegnung und – das wussten wir damals nicht – auch das letzte große Interview mit ihm. Als der Playboy 1953 gegründet wurde, war Hefner 27 Jahre alt. Ich habe ihn gefragt, was war das für eine Zeit? Er meinte: „Die Amerikaner hatten damals vor zwei Dingen Angst: dass über Nacht der Russe einmarschiert und dass jemand vergisst, beim Sex das Licht auszumachen.“ In dieses angsterfüllte Land platzte er mit der Idee eines freiheitlichen Magazins, das die schönen Seiten des Lebens feiert und Ja zur Sexualität sagt. Hefners Geist hat auf das ganze Playboy-Imperium ausgestrahlt. Er war ein sexueller Aufklärer und hat sich zeitlebens stark gemacht gegen jede Form von Ausgrenzung. Er hat sich für die Rechte von Homosexuellen und Schwarzen eingesetzt – und diese Themen sind ja auch heute noch aktuell.

„Offensichtlich provoziert ein Nippel manche Menschen immer noch mehr als die Abbildung einer Waffe.“

Die Zeiten haben sich zumindest insofern geändert, als der Zugang zu erotischen Bildern über das Internet so einfach ist wie nie – wie übertragen Sie diesen Geist der Offenheit und Freiheit in die heutige Zeit?

Boitin: Nacktheit ist heute zwar viel selbstverständlicher, aber trotz allem bleibt sie eine intime Angelegenheit. Facebook, Apple und Google haben starke Restriktionen, was das Thema Nacktheit angeht. Die Algorithmen sind da gnadenlos. Ich bin selbst schon wochenlang gesperrt worden, weil sich eine unbekleidete Brust in einem Post gefunden hat. Offensichtlich provoziert ein Nippel manche Menschen immer noch mehr als die Abbildung einer Waffe.

Ein Magazin auf Papier und nackte Frauen – man könnte meinen, das Playboy-Konzept wäre in seiner Form und seinem Inhalt überkommen für ein digitales Zeitalter nach #metoo. Trotzdem wächst der Playboy zumindest im Kioskverkauf.

Boitin: Wie kann etwas aus der Mode sein, wenn es erfolgreich ist? Zudem ist der Mann ja auch im Jahr 2021 nicht ausgestorben. Bei #metoo geht es um kriminelles Verhalten und Machtmissbrauch. Im Playboy aber geht es um Sexualität, Erotik und Selbstbestimmung. Jede Fotostrecke ist mit einem Interview verbunden, in der wir auch über die persönlichen Beweggründe sprechen, sich für den Playboy auszuziehen. Letzten Herbst hatten wir beispielsweise die deutsche Weltklasse-Schwimmerin Elena Krawzow auf dem Titel. Sie kommt ursprünglich aus Kasachstan, ist paralympische Athletin, fast blind. Solche bemerkenswerten Frauen haben natürlich etwas zu erzählen. Im Jahr 2021 ist Nacktheit selbst nicht die Nachricht, sondern ein Statement.

„Wahrscheinlich ist Thorsten Ottos Text eine Geschichte, die es so vor 20 Jahren im Playboy noch nicht gegeben hat.“

Sie sind vor kurzem zum vierten Mal Vater geworden – sind „softe“ Themen wie Vaterschaft als moderner Mann auch ein Thema im Playboy?

Boitin: In der kommenden Ausgabe werden wir ein Stück veröffentlichen, das beispielhaft als Antwort auf Ihre Frage dient. Der Radiomoderator Thorsten Otto erzählt darin sehr persönlich, wie er mit 13 Jahren erfahren hat, dass sein angeblicher Vater gar nicht sein leiblicher Vater ist. Er hat sich dann Jahre später auf die Suche gemacht nach seinem leiblichen Vater und er beschreibt nun im Playboy sehr emotional, wie es ihm gelang, eine Beziehung zu dem fremden Mann aufzubauen. Wahrscheinlich ist Thorsten Ottos Text eine Geschichte, die es so vor 20 Jahren im Playboy noch nicht gegeben hätte.

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Wie bleiben Sie nicht nur bezüglich des Männerbildes, sondern auch technologisch am Puls der Zeit?

Boitin: Mir ist ja vollkommen bewusst: Wir haben die Macht der Marke Playboy nur geliehen und gehen aus diesem Grund an Veränderungen und Weiterentwicklungen immer mit Demut und Respekt. Wir scheuen uns aber auch nicht, neue Formate wie etwa „Clubhouse“-Abende auszuprobieren. Die fortschreitende Digitalisierung spielt täglich eine Rolle in unserer Arbeit und unseren Gedanken. Eine der ersten Amtshandlungen von Myriam Karsch und mir, mit der ich gemeinsam die Kouneli Media gegründet habe, und die die Lizenzrechte für den Playboy in der DACH-Region hat, war, den Relaunch der Playboy-Website anzustoßen. Seit Oktober haben wir auch einen eigenen TikTok-Kanal. Wir wissen, dass TikTok deutlich jüngere und weiblichere Nutzerinnen hat als Playboy. Aber Teil unserer Strategie ist es nun mal, immer wieder neue Dinge auszuprobieren. Auf TikTok veröffentlichen wir mittlerweile Beiträge, die von über einer Millionen Menschen gesehen werden. Fakt ist: Medien wandeln sich stetig. Ich sehe das als Chance und nicht als Bedrohung.

Wenn Sie einen anderen Job als den Ihren in der bayerischen Medienbranche haben könnten – welcher wäre das?

Ich bin Verleger und Chefredakteur des Playboy, es gibt wirklich keinen besseren Job, da würde wahrscheinlich nicht mal der Pressechef des FC Bayern München widersprechen.

Gibt es etwas, dass Sie am Medienstandort Bayern besonders schätzen?

Die größte Innovation kommt aus der Vielfalt. Es hat einen Grund, warum beispielsweise die Internationale Automobilausstellung IAA im Sommer nach München kommt. Hier trifft sie auf ein wirtschaftlich und medial sehr starkes Umfeld.

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